Integration der Nebensätze

Die Integration der Nebensätze in den Obersatz ist ein multidimensionales Verfahren. Die Nebensätze können dabei unter bestimmten Aspekten als integriert erscheinen, unter anderen als nicht-integriert. Es lassen sich folgende Arten der Integration in den Obersatz unterscheiden:

Funktional-syntaktische Integration

Funktional-syntaktisch voll integriert sind obligatorische Komplementsätze wie (1), denn bei ihrer Weglassung wäre der Satz immer strukturell unvollständig. Etwas schwächer integriert scheinen fakultative Komplementsätze wie (2) zu sein.

(1) Man befürchtet, die Aktien fallen schneller als erwartet.
(2) Die Ministerin hoffte, dass sie Mitstreiter im Bauernverband finden würde.

Deutlich schwächer integriert sind Komplementsätze mit einem Korrelat im Obersatzrest, denn bei ihrer Weglassung bliebe der Satz auf alle Fälle strukturell vollständig.

(3) Ich bezweifle es [, dass er morgen kommt].

Der partiellen syntaktischen Desintegration entspricht in Fällen wie (3) keine semantische Abkoppelung (vgl. Semantische Integration). Bei einer Analyse, die auf syntaktisch-semantische Korrespondenz Wert legt, muss daher solchen Korrelatverbindungen ein Sonderstatus eingeräumt werden.

Relativ schwach integriert sind Supplement- und Attributsätze: Nicht nur, dass bei ihrer Weglassung ein strukturell vollständiger Satz verbleibt, sie sind auch nicht im Valenzrahmen des Verbs vorgesehen. Dennoch können diese Nebensätze kaum als funktional-syntaktisch nicht integriert gelten, denn sie übernehmen im Obersatz bzw. in einem Teil des Obersatzes (etwa der Nominalphrase) immer eine syntaktische Funktion.

(4) Das Problem war gelöst, als man sich traf. (satzbezogenes Supplement)
(5) Die Hoffnung, dass die Ablösung bald kommt, kann sie noch fünf Minuten länger durchhalten lassen. (Nomenkomplement)
(6) Niemand kennt die Frau, die heute an der Pforte sitzt. (Supplement in einer Nominalphrase)

Semantische Integration

Semantisch integriert erscheinen Nebensätze, welche die Wahrheitsbedingungen des Obersatzes tangieren, also Nebensätze, die als Teile der gleichen Proposition wie der Obersatzrest zu verstehen sind. In diesem Sinn integriert sind - auf der Ebene der primären Komponenten - Termsätze und propositionsmodifizierende Adverbialsätze sowie - auf der Ebene der sekundären Komponenten ¿ alle Nebensätze mit Ausnahme von nicht-restriktiven Relativsätzen:

(7) Man befürchtet, die Aktien fallen schneller als erwartet. (Termsatz)
(4) Das Problem war gelöst, als man sich traf. (propositionsmodifizierender Adverbialsatz)
(8) Unter sonst gleichen Bedingungen ist diejenige Handlung richtig, die die besten Konsequenzen hat. (restriktiver Relativsatz)

Als semantisch integriert sind auch Nebensätze zu interpretieren, die zusammen mit Korrelaten im Obersatzrest auftreten. Letztere sorgen zwar für die strukturelle Vollständigkeit des Obersatzrestes, weisen ihn aber gleichzeitig durch ihren geringen semantischen Gehalt und durch den Verweis auf den Nebensatz gezielt als semantisch unvollständig aus:

(3) Ich bezweifle es, dass er morgen kommt.
(9) Er ist nur deswegen gekommen, weil er mich Lügen strafen wollte.

Semantisch nicht integriert erscheinen Nebensätze ohne einschränkende Wirkung auf die Wahrheitsbedingungen des Obersatzes. Dazu zählen:

- moduskommentierende Adverbialsätze (vgl. Satzmodus) wie

(10) Weil du es so genau wissen willst - niemand hat sich an die Vorschläge gehalten.

- weiterführende Adverbialsätze wie

(11) Niemand hat sich an die Vorschläge gehalten, was ja zu vermuten war.

- nicht-restriktive Relativsätze wie

(12) Niemand hat sich an die Vorschläge gehalten, die ganz schnell vergessen wurden.

Informationsstrukturelle Integration

Eine volle informationsstrukturelle Integration des Nebensatzes in den Obersatz liegt dann vor, wenn sich der Nebensatz und der Obersatzrest an ein und derselben Informationseinheit beteiligen. Der komplexe Satz bildet dann als Ganzheit eine Fokus-Hintergrund-Struktur heraus, die sich in einer den ganzen komplexen Satz umgreifenden Intonationskontur ausdrückt, z. B:

(13) A: Was sagte Hans zu der Ausstellung? B.: [H Er sagte, sie] [F wäre ein gutes Ziel für einen Sonntagsausflug].
(14) A.: Was wollt ihr denn morgen machen ? B.: [H Morgen wollen wir] [F in den Odenwald fahren, weil es schönes Wetter geben soll].
(15) A.: Warum willst du aufgeben? B.: [H Ich gebe auf, weil] [F ich keine Kraft mehr habe].
(16) A.: Kennst du jemanden in diesem Institut? B.: [H Ich kenne] [F die Frau, die an der Pforte sitzt].

Als partielle informationsstrukturelle Desintegration sind Fälle zu werten, in denen der komplexe Satz in zwei Informationseinheiten zerfällt, die jeweils von dem Hauptsatz und dem Nebensatz gebildet werden. Jeder Teil hat dann seine eigene Fokus-Hintergrund-Gliederung, die sich in einer eigenständigen Intonationskontur ausdrückt. Der Hauptsatz endet mit fallender (↓) oder schwebender (→) Intonation und der Nebensatz folgt oft erst nach einer merklichen Pause. Eine eigene Informationseinheit bilden vor allem nicht-restriktive Relativsätze wie in (18) und weiterführende Adverbialsätze wie in (19) bzw. (20), außerdem auch andere Satzadverbialsätze, sofern sie wie in (21) durch eine merkliche Pause abgesetzt sind:

(17) A.: Mit wem habt ihr euch unterhalten? B.: [H Wir unterhielten uns mit] [F Hans]→ [H der] [F glücklicherweise bester Laune war]↓
(18) A: Womit hat der Dichter seinen Lebensunterhalt verdient? [H Er hat] [F Groschenromane geschrieben]↓ [H was ihm] [F Unbehagen bereitete]↓
(19) A: Womit hat der Dichter seinen Lebensunterhalt verdient? [H Er hat] [F Groschenromane geschrieben]↓ [H wofür er][F sich schämte]↓
(20) A: Was müssen wir noch einmal in der Versammlung beschließen? [H Wir beschließen] [F den neuen Haushalt]↓ [F wenn alle einverstanden sind]↓

Als das wichtigste Mittel der informationsstrukturellen Integration erscheint die Intonation, sodass man hier auch von intonatorischer Integration sprechen könnte.

Lineare Integration

Linear integriert sind Nebensätze, wenn sie im Vorfeld oder Mittelfeld des Obersatzes stehen, also in den beiden Feldern, welche auch für die Positionierung von nichtsatzartigen Konstituenten typisch sind, z. B.:

(4a) Als man sich traf, war das Problem gelöst. (Nebensatz im Vorfeld)
(4b) Das Problem war, als man sich traf, gelöst. (Nebensatz im Mittelfeld)

Linear nicht-integriert sind zum einen Nebensätze in der für sie "normalen" Nachfeldposition, zum anderen Nebensätze, die rechts- bzw. linksversetzt sind, z. B.:

(4) Das Problem war gelöst, als man sich traf. (Nebensatz im Nachfeld)
(4c) Das Problem war gelöst, und zwar als man sich traf. (Rechtsversetzung)
(4d) Als man sich traf, da war das Problem gelöst. (Linksversetzung)

In solchen Fällen ist im Obersatzrest - anders als weiter oben in (4a) - das Vorfeld besetzt, und der Obersatzrest bildet - anders als weiter oben in (4b) - eine geschlossene Einheit, die vom Nebensatz nicht unterbrochen wird. Ob der Nebensatz linear integriert ist oder nicht, kann eine Bedeutung für die Sprachverarbeitung haben. Im Allgemeinen tendieren Nebensätze dazu, linear nicht-integriert zu sein. Diese Tendenz ist je nach Nebensatztyp unterschiedlich stark ausgeprägt. So sind Komplementsätze meist linear nicht-integriert (sie stehen typischerweise im Nachfeld), wogegen Supplementsätze und Attributsätze prinzipiell sowohl nicht-integriert als auch integriert sein können.