Bestimmung der Nebensätze

Sätze sind Ausdruckseinheiten mit einem Verbalkomplex und - mindestens - den unter strukturellen und kontextuellen Bedingungen notwendigen Komplementen. Neben selbständigen Sätzen, die als kommunikative Ausdruckseinheiten fungieren, gibt es Sätze, die in anderen Sätzen enthalten sind und kommunikativ unselbständig erscheinen. Sie werden Nebensätze genannt und liegen etwa in folgenden Beispielen vor:

(1) Eine Tatsache ist, dass Versprechen seltener gehalten als gegeben werden.
(2) Das Problem war gelöst, als man sich traf.
(3) Niemand verstand, was mit dieser Behauptung gemeint war.
(4) Man befürchtet, die Aktien fallen schneller als erwartet.
(5) Die Erwartungen, die wir hegten, wurden enttäuscht.
(6) Der Tag, als endlich der Regen kam, war einer der letzten Augusttage.
(7) Die Würfel waren endlich gefallen, was niemanden mehr überraschte.
(8) Hättest du etwas gesagt, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.
(9) Das Problem war gelöst, als wir erkannten, was mit dieser Behauptung gemeint war.

Nebensätze sind die hervorgehobenen Teile der komplexen Sätze. Unter kommunikativem Aspekt lassen sich solche Ausdruckseinheiten folgendermaßen charakterisieren:

Nebensätze sind solche satzförmigen Teile komplexer kommunikativer Einheiten, die
1. isoliert nicht als selbständige Einheiten verwendet werden können bzw.
2. isoliert nur unter Änderung ihres kommunikativen Status selbständig verwendet werden können.

Das Kriterium 1 erfüllen die hervorgehobenen Sätze in (1), (2), (3), (5), (6), (7) und (9) - das Kriterium 2 greift bei den hervorgehobenen Sätzen in (4) und (8). Letztere ändern isoliert gebraucht ihren kommunikativen Status: Aus bloßen Propositionsausdrücken werden dann Propositionsausdrücke mit einem bestimmten Satzmodus, die als kommunikative Ausdruckseinheiten fungieren. Durch eine solche Änderung des kommunikativen Status, die sich in der Änderung der Intonation ausdrückt, kann etwa aus dem hervorgehobenen Satz in (8) ein Wunschsatz werden:

(10) Hättes du (doch) etwas gesagt!

Ausdruckseinheiten wie die in (1)-(9) nicht hervorgehobenen Teile der komplexen Sätze werden oft pauschal Hauptsätze genannt. Allerdings sind sie im Hinblick auf ihren Satzstatus heterogen. Die nicht hervorgehobenen Ausdruckseinheiten in (2), (5), (6), (7), (8) und (9) können als vollständige Sätze angesehen werden, da sie jeweils einen Verbalkomplex und die notwendigen Komplemente enthalten:

(2') Das Problem war gelöst [...].
(5') Die Erwartungen [...] wurden enttäuscht.
(6') Der Tag [...] war einer der letzten Augusttage.
(7') Die Würfel waren endlich gefallen [...].
(8') [...] wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.
(9') Das Problem war gelöst [...].

Die nicht hervorgehobenen Teile von (1), (3) und (4) sind dagegen als Sätze unvollständig, da ihnen notwendige Verbkomplemente fehlen:

(1') Eine Tatsache ist [...].
(3') Niemand verstand [...].
(4') Man befürchtet [...].

Es empfiehlt sich daher nur bei Ausdruckseinheiten der ersten Gruppe, also (2'), (5'), (6'), (7'), (8') und (9') von Hauptsätzen zu sprechen - Ausdrücke wie (1'), (3') und (4') stellen dementsprechend nur Hauptsatzfragmente dar. Unter kommunikativem Aspekt bietet sich also folgende Charakterisierung der Hauptsätze an:

Hauptsätze sind solche satzförmigen Teile komplexer kommunikativer Minimaleinheiten, die isoliert als selbständige Einheiten verwendet werden können, ohne dabei ihren kommunikativen Status zu ändern.

An der Ausprägung des Hauptsatzes als Verbzweit- oder Verberstsatz und an dem Verbmodus ist bereits der Satzmodus des komplexen Satzes erkennbar, das heißt, ob es sich bei diesem um einen Aussagesatz, Fragesatz, Wunschsatz usw. handelt.

Die Unterscheidung von komplexem Satz, Hauptsatz und Nebensatz ist noch nicht ausreichend, wenn es darum geht, genauer diejenigen komplexen Strukturen zu beschreiben, die durch die Rekursivität der Nebensatzbildung entstehen. So sind in

(9) Das Problem war gelöst, als wir erkannten, was mit dieser Behauptung gemeint war.

zwei Nebensätze zu unterscheiden:

(9a) als wir erkannten, was mit dieser Behauptung gemeint war
(9b) was mit dieser Behauptung gemeint war

Der zweite Nebensatz ist dabei im ersten enthalten. Wenn (9a) und (9b) nur einfach als Nebensätze klassifiziert werden, bleibt zweierlei unberücksichtigt: zum einen die spezifische strukturelle Relation zwischen den beiden und zum anderen, die Ähnlichkeit von (9a) als einem Satz, der einen Nebensatz enthält, und dem gesamten komplexen Satz (9). Es empfiehlt sich also neben den bisher eingeführten Termini ein rein relational definiertes Begriffspaar wie Obersatz und Untersatz anzusetzen:

Ein Satz S2 ist Untersatz in einem Satz S1, wenn S2 ein Teil von S1 ist, ohne dass es einen Satz S3 gibt, der S2 enthält und ebenfalls ein Teil von S1 ist. S1 wird dann Obersatz von S2 bezeichnet.

Zwischen dem Untersatz und dem Obersatz darf also kein dritter Satz intervenieren. Laut obiger Definition ist

1. (9a) der Untersatz von (9) und (9) der Obersatz von (9a).

2. (9b) der Untersatz von (9a) und (9a) der Obersatz von (9b).

Die nach Abzug der Untersätze verbleibenden Reste der Obersätze (wie Das Problem war gelöst oder als wir erkannten in obigen Beispielen) werden oft kurz Obersatzreste genannt.

Vor diesem Hintergrund können Hauptsätze bzw. Hauptsatzfragmente als spezielle Obersatzreste auch folgendermaßen definiert werden:

Hauptsätze bzw. Hauptsatzfragmente sind die nach Abzug der Untersätze verbleibenden Reste derjenigen Obersätze, die nicht gleichzeitig Untersätze in anderen Obersätzen sind.

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