Sätze und kommunikative Ausdruckseinheiten
Mit Sätzen werden Sachverhalte dargestellt. Semantisch gesehen ist der Satz die expliziteste grammatikalisierte Realisierungsform von Propositionen. Die konstitutiven Bestandteile einer Proposition, das Prädikat und die Argumente, werden in Sätzen als Verbalkomplex und Komplemente grammatisch kodiert. Den folgenden Beispielen liegt jeweils dieselbe Proposition zugrunde, deren Prädikat man als 'ernennen' und Argumente als 'Papst' und 'neue Kardinäle' fassen kann:
(2) Ernennt der Papst neue Kardinäle? (Fragemodus)
(3) Würde der Papst doch neue Kardinäle ernennen! (Wunschmodus)
(4) Was der Papst für neue Kardinäle ernennt! (Exklamativmodus)
(5) ... dass der Papst neue Kardinäle ernennt. (Nebensatz)
Mit Sätzen (1) - (4) kann direkt sprachlich gehandelt werden: Sie sind Modus-Träger, das heißt, sie weisen jeweils eine spezifische Konfiguration formaler Merkmale wie Verbstellung, Verbmodus, Intonation auf, die erkennbar macht, welcher Art sprachliche Handlung mit dem Satz gemeint sein kann (vgl. Die Formtypen kommunikativer Ausdruckseinheiten). Solche kommunikativ selbständigen Sätze werden auch als Vollsätze bezeichnet. Im Gegensatz zu diesen sind Nebensätze wie (5) kommunikativ unselbständig: Sie sind keine Modus-Träger und werden nur als Teile größerer Ausdruckseinheiten verwendet. Letztere können dabei Träger verschiedener Modi sein, was die Unselbständigkeit der Nebensätze verdeutlicht, vgl.:
(5b) Hast du gehört, dass der Papst neue Kardinäle ernennt?
(5c) Wäre es doch möglich, dass der Papst neue Kardinäle ernennt!
(5d) Wie haben wir darauf gewartet, dass der Papst neue Kardinäle ernennt!
Somit sind zwar Sätze beider Typen explizite Propositionsausdrücke, jedoch nur Vollsätze Realisierungsformen von kommunikativen Ausdruckseinheiten. Aufgrund bisheriger Überlegungen können Letztere wie folgt charakterisiert werden:
Neben Vollsätzen erscheinen als einfache kommunikative Ausdruckseinheiten auch weniger explizite, nicht-satzförmige Ausdrücke, z. B.:
(7) Hierher ↓ (Kontext: Aufforderung einer Wohnungsinhaberin an die Umzugshelfer, die ihr Klavier ins Zimmer bringen)
In (6) ist der propositionale Gehalt klar abgegrenzt, wobei DAX als Argumentausdruck und fester als Prädikatsausdruck fungiert. Auch der Modus - "Aussage" - ist hier klar erkennbar. Verglichen mit entsprechenden Sätzen unterbleiben in (6) allerdings der Artikel und das finite Verb, etwa die Kopula. Solche Konstruktionen sind nur in bestimmten Textsorten wie Schlagzeile oder Telegramm möglich. Die Kontextabhängigkeit von (7) ist noch viel stärker. Die Äußerung kann situationsabgelöst nicht voll verstanden werden, weil wesentliche Aspekte der Proposition nicht verbalisiert und Modusmerkmale nicht genügend ausdifferenziert sind: Das Prädikat ist ausgespart und nur über die Richtungsangabe als eine Handlung wie Kommen oder Bringen erschließbar, die Argumente können ohne Kontext nicht einmal erschlossen werden, und der Modus kann zwischen "Aufforderung" und "Aussage" variieren.
Der Vollsatz ist somit nicht die einzige, aber die expliziteste Realisierungsform einfacher kommunikativer Ausdruckseinheiten: Im Vollsatz wird die Proposition in regelhafter Weise grammatisch kodiert, und es treten hier einige modusrelevante Formmerkmale (z. B. eine bestimmte Stellung des finiten Verbs) auf, die in anderen einfachen kommunikativen Ausdruckseinheiten nicht gegeben sind. Darüber hinaus ist der Vollsatz als kommunikative Ausdruckseinheit nicht an bestimmte Kontexte gebunden.
Sätze können koordinativ verknüpft werden, und zwar mit oder ohne Konjunktor, z. B.:
(9) Dass Bürgermeister Wilhelm Kreß seine Unterschrift gab und dass der FDP-Stadtverordnete Alexander Bobis-Deupmann einer der vier Initiatoren und Vertrauensleute ist, wird dagegen als unbedenklich angesehen. (Frankfurter Rundschau, 22.12.1999, 2)
(10) Der Finanzminister ist immer in der Minderheit, die anderen halten zusammen. (RNZ, 28.10.2003)
(11) Der DAX steigt wieder, aber ist das schon ein Zeichen für die erwartete Konjunkturbelebung?
Werden dabei zwei oder mehr Vollsätze koordiniert wie in (10) und (11), so behalten sie jeweils ihre funktionale Selbständigkeit. Sie bleiben somit je eine einfache kommunikative Ausdruckseinheit. Man vergleiche insbesondere (11), wo der erste Teil der Koordination den Aussagemodus aufweist und der zweite den Entscheidungsfragemodus.