Korrespondenz und Flexion bei mehreren attributiven Adjektiven

Besondere Korrespondenzbeziehungen herrschen in Nominalphrasen mit mehreren attributiven Adjektiven (bzw. Adjektivphrasen) oder Partizipien (bzw. Partizipialphrasen). Bei (Nominalphrasen erweiternden) Adjektivphrasen gelten die Bedingungen für die syntaktische Struktur von Adjektivphrasen: nur der Kopf der attributiv (frz. épithète) verwendeten Adjektivphrase wird flektiert, die den Kopf erweiternden Adjektive bleiben unflektiert (adjektivische Köpfe im Folgenden fett markiert).

(1) ein [angeblich_bayrisches] Bier.

Bei mehreren Adjektiven, die nicht zur selben Adjektivphrase gehören, spielt es dabei keine Rolle, ob es sich um koordinierte, eine Nominalphrase erweiternde Adjektive handelt (2) oder ob das erste Adjektiv sich auf die darauffolgende Verbindung von "Adjektiv + Nomen" bezieht (3). In diesen Fällen werden alle Adjektive flektiert:

(2) [gutes, bayrisches Bier]
(2a) weltbekanntes, gutes, bayrisches Bier

(3) gutes [bayrisches Bier]
(3a) weltbekanntes [gutes, bayrisches Bier].

Weitere Beispiele für die Flexion attributiver Adjektive in Nominalphrasen, in denen mehr als ein Adjektiv vorkommt:

Schwache Flexion:

Yara streichelt ihren großen schwarzen Hund. [die tageszeitung, 03.06.2005]

Starke Flexion:

Die Bäuerin zeigt auf ein großes schwarzes Loch im Felsen. [die tageszeitung, 20.07.2006]

In Leinenhemd, Jeans und mit großer schwarzer Sonnenbrille erschien der Jungstar zu seiner Hochzeit.

In jenem Moment, [...] enterten unzählige große, schwarze, langbeinige Spinnen das Boot und seine Besatzung. [die tageszeitung, 24.08.2006]

Die Beispiele legen folgenden Schluss nahe:

Folgen innerhalb einer Nominalphrase mehrere Adjektivphrasen aufeinander, werden ihre Köpfe parallel flektiert, das heißt sie weisen die gleichen Flexionsendungen auf.

Es gelten dabei die Rektions- (Artikel regieren Adjektive) und Kongruenzbeziehungen, die im Abschnitt Korrespondenz in der Nominalphrase erläutert werden. Abweichungen von der Regel der parallelen Flexion, die das Flexionsmuster ab dem zweiten Adjektiv betreffen, werden im Folgenden erläutert.

Schwankungen zwischen starkem und schwachem Flexionsmuster

Zwischen Artikeln und Adjektiven gibt es fließende Übergangsbereiche, die sich durch unterschiedliche Grade von Adjektiv- oder Artikelhaftigkeit auszeichnen. Dies zeigt sich im Flexionsmuster (Genitivformen) und schlägt sich in den Korrespondenzbeziehungen (z. B. Rektion des Flexionsmusters nachfolgender Adjektive) nieder.

Bei folgenden Artikeln und Adjektiven sind Schwankungen des Flexionsmusters nachfolgender Adjektive (stark/schwach) häufig:
einig-, etlich-, irgendwelch-, manch-, mehrer-, sämtlich- (Quantifikativ-Artikel)
solch-, welch- (Demonstrativ- bzw. W-Artikel)
beide, viel-, wenig-, andere, folgende (Adjektive)

Die Flexion nachfolgender attributiver Adjektive ist zum einen abhängig von den funktionalen Eigenschaften der Wortform, die die Nominalphrase einleitet (Determination bei Artikeln, Attribution bei Adjektiven), zum anderen von den Flexionsmarkern, die diese Wortform trägt.

Syntaktisch ist die erste Position einer Nominalphrase prototypisch durch einen Artikel besetzt, also für die Funktion der Determination prädestiniert. Semantisch gesehen zeichnen sich Artikel, die sich wie Adjektive verhalten, durch das Merkmal der Indefinitheit aus und sind häufig quantifizierend (Quantifikativ-Artikel). Adjektive, die sich wie Artikel verhalten, haben verweisenden Charakter (etwa textverweisende und quantifikative Adjektive wie z. B. folgende, einige, mehrere).

Ist der Artikel oder das Adjektiv in der ersten Position durch den Flexionsmarker-en gekennzeichnet, folgt darauf auch immer -en bei dem nachfolgenden Adjektiv, da sich starke und schwache Flexion hier morphologisch nicht unterscheiden lassen (z. B. mit solchen schönen Blumen). Bei den anderen Flexionsmarkern in der ersten Position (-e, -er, -em, -es) können Schwankungen zwischen starkem und schwachem Flexionsmuster nachfolgender Adjektive aber sichtbar werden (z. B. solche prachtvolle/prachtvollen Blumen).

Tendenziell werden Adjektive, die auf Adjektive mit Eigenschaften von Artikeln oder konsonantischen Flexionsmarkern (wie z. B. -er, -es, -em) folgen, eher schwach flektiert. Dabei existieren Abstufungen je nach Lexem und Flexionsendung, was zu Varianz im Gebrauch starker und schwacher Flexionsmuster bei den nachfolgenden Adjektiven führt. Diese Schwankungen werden von den normativen Grammatiken hinsichtlich ihrer standardsprachlichen Akzeptanz teilweise unterschiedlich bewertet.

Nach der Endung -em (Dativ Singular)

In den folgenden Beispielen wird das zweite Adjektiv entgegen der oben formulierten Regel nicht parallel stark flektiert, sondern folgt dem schwachen Flexionsmuster:

(1) Heute, als ich mit großem schwarzen Hut - "wie Citizen Kane" (N.) - die Paris Bar betrat [...]. [die tageszeitung, 16.02.1996]

(2) Gewalt überschattet den Auftakt zu Südafrikas zweitem demokratischen Wahlkampf. [die tageszeitung, 25.01.1999]

Als Erklärung bietet sich die phonologische Markiertheit der Dativ-Singular-Endung -em an, die eine zweite gleichlautende Endung innerhalb der Nominalphrase (parallel stark flektiert) unnötig macht, stattdessen wird der weniger markierte nasale Marker -en eingesetzt. Standardsprachlich wird die parallele Flexion dennoch vorgezogen (Duden 2005: 974). Zur Flexion bei artikellosen Folgen von Adjektiven siehe auch Grammatik in Fragen und Antworten.

Die durch sein relativ hohes phonologisches Gewicht bedingte Auffälligkeit des Flexionsmarkers -em ist ikonisch, ihr entspricht seine spezifische grammatische Funktion: Es ist der einzige Marker im System der Nominalflexion, der nur in einem Kasus vorkommt (Dativ) und dabei die wenigsten Synkretismen aufweist (Dativ Singular: Maskulinum und Neutrum), d. h. die grammatischen Kategorien der Wortform im Vergleich zu den anderen Flexionsmarkern am eindeutigsten kennzeichnet.

Nach Adjektiven mit Eigenschaften von Artikeln

Systematische Abweichungen gibt es aber auch bei einer Reihe von Adjektiven und zwar auch nach anderen Endungen als -em. Hier lässt sich ebenfalls beobachten, dass nicht immer parallel stark flektiert wird (Beispiel 3), sondern gelegentlich auf ein stark flektiertes ein schwach flektiertes Adjektiv folgt (Beispiel 4):

(3)[...], finden sichfolgende interessante Beispiele: [...] [Mannheimer Morgen, 21.03.1998]
(4)[...] und hat über dieses faszinierende Instrumentfolgende interessanten Tatsachen herausgefunden: [...][Salzburger Nachrichten, 15.05.1999]

Ausschlaggebend hierfür ist, dass bestimmte Adjektive mit Eigenschaften von Artikeln, wenn sie innerhalb einer Nominalphrase die syntaktische Position eines Artikels einnehmen, auch die Funktion der Determination und die syntaktischen Eigenschaften von Artikeln in Bezug auf die Korrespondenzbeziehungen in der Nominalphrase übernehmen. Ein solches stark flektiertes Adjektiv regiert wie ein Artikel die schwache Flexion eines folgenden Adjektivs. In Beispiel (4) verhält sich das erste Adjektiv (folgend) wie ein Artikel, der bei dem zweiten Adjektiv (interessant) das schwache Flexionsmuster regiert. In Beispiel (2) ist das, unabhängig vom Dativ Singular, ebenso der Fall.

Die Artikelhaftigkeit bestimmter Adjektive ist semantisch bedingt. Insbesondere Zahladjektive (wie in Beispiel (2)) und textverweisende Ausdrücke (wie in Beispiel (3) und (4)) weisen eine semantische Nähe zu Artikeln auf (vgl. hierzu Wiese 2004 (pdf-Domument)), da sie wie diese die Funktion des Verweisens auf einen Gegenstand besitzen. Die Flexionseigenschaften des zweiten Adjektivs hängen dabei nicht nur von der Artikelhaftigkeit des ersten Adjektivs ab, sondern auch vom phonologischen Gewicht seiner Flexionsendung. Im Falle der Adjektive mit Eigenschaften von Artikeln wird nach bloßer Schwa-Endung am häufigsten parallel (stark) flektiert, nach der Endung -em hingegen fast durchweg schwach.

Nach Artikeln mit Eigenschaften von Adjektiven

Einige Artikel, z. B. die Quantifikativ-Artikel einig- und etlich-, die nach dem Muster der Adjektivflexion flektieren, verhalten sich teilweise auch syntaktisch wie Adjektive und bewirken bei nachfolgenden Adjektiven starke Flexion, das heißt die Formen werden parallel flektiert.

Mit den Stimmen der Antragsteller und einiger kleiner Parteien wurde der Antrag angenommen. [Frankfurter Allgemeine, 19.09.2003]

Auch in diesen Fällen kommt es zu Schwankungen, wie das folgende, seltenere Beispiel mit schwacher Flexion zeigt:

Beraten will der Senat heute auch die Klagen einiger kleinen Parteien, [...]. [die tageszeitung, 23.08.2005]

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