Flexion der Artikel

Die Flexion der Artikel kann nur innerhalb einer Nominalphrase betrachtet werden. Als Artikel werden eine Reihe von Wörtern bezeichnet, denen die Funktion der Determination gemeinsam ist und die zusammen mit einem Nomen eine Nominalphrase bilden. Sie stehen am Anfang der Nominalphrase und korrespondieren mit dem Kopf und den möglichen Erweiterungen, die zwischen dem Artikel und dem Nomen stehen (Korrespondenz in der Nominalphrase).

Als Beispiel für Korrespondenzen fungieren die folgenden drei NPs im Nominativ, wobei gleiche Farben auf Korrespondenzen verweisen:

(1) ein [Determination] (Mask. Sg.) tiefer [Qualifikation] (Mask. Sg.) See [nominaler Kopf] (Mask. Sg.)
(2) unsere [Determination, Possess.] (Fem. Pl.) gemeinsamen [Qualifikation] (Pl.) Reisen [nominaler Kopf] (Fem. Pl.)
(3) jedes (Neut. Sg.) durchschnittlich intelligente [modifizierte Qualifikation] ( Sg.) Kind [nominaler Kopf] (Neut. Sg.).

Für den französischen Lerner ist die Sammelbezeichnung 'Artikel' für die verschiedenen, im Folgenden behandelten Einheiten gewöhnungsbedürftig. In der französischen Linguistik und neueren Grammatik wird eher der (leicht mit dem international gebräuchlichen Kürzel "Det" zu verbindende) Begriff (frz.) déterminant verwendet; dies allerdings auch nicht für alle hier unter 'Artikel' erfassten Kategorien. 'Artikel' ist nur für den Kernbereich der Typen von Einheiten gebräuchlich, die keine semantische Zusatz-Spezifizierung haben. Insbesondere Quantoren fallen nicht darunter.

Viele Artikel haben ein Pendant bei den Pronomina (dieser Mensch - dieser; mein Land - meines). Da viele Artikel neben der Funktion der Determination auch eine pronominale Funktion haben (z. B. Possessiv-Artikel), sind Unterscheidungsmerkmale nötig. Artikel und Pronomina haben teilweise unterschiedliche Flexionsparadigmen (frz. paradigmes flexionnels):

Artikel: meinØ Land
Pronomen: meines

Außerdem steht eine Einheit als Artikel an dem dafür typischen Platz auf Position 1 in der NP, während ein Pronomen eine gesamte NP "vertritt":

Jeder Bürgerhat ein Recht auf persönliche Freiheit.
Jederhat ein Recht auf persönliche Freiheit.

Die Markierung der Kategorien an den Artikeln erfolgt mit Hilfe von fünf Affixen (-e, -er, -es, -en, -em) bzw. Endungslosigkeit. Nur die Endungen des definiten Artikels weichen vokalisch davon teilweise ab (das, die, siehe weiter unten).

Artikel flektieren nach den Kategorisierungen Genus (nur im Singular), Numerus und Kasus. Nur wenige Artikel sind nicht flektierbar (lauter, was für) oder können unflektiert verwendet werden (all, manch, welch, wie viel, solch).

all mein Sinnen und Trachten, welch ein Zwitschern, solch traumhaftes Wetter

Die Wortart Artikel kann in semantische Subklassen eingeteilt werden:

  • Definiter Artikel: der/die/das //die
  • Indefiniter Artikel: ein/eine
  • Possessiv-Artikel: mein-, dein-/Ihr-, sein-/ihr-, unser-, euer-/Ihr-, ihr-
  • Demonstrativ-Artikel: der (betont), dies-, derjenige, derselbe, jen-, solch-
  • W-Artikel: was für (ein), welch-
  • Quantifikativ-Artikel: all-, einig-, etlich-, (irgend)(et)was, irgendein-, irgendwelch-, jed-, jedwed-, kein-, lauter, manch-, mehrer-, sämtlich-

Flexionstypen

Für Artikel und Pronomina gibt es ein gemeinsames Grundmuster der Flexion. Dennoch weist die Flexion der einzelnen Artikel einige Varianten auf, und zwar vor allem im Singular. Abweichungen vom Grundmuster finden sich bei Nominativ- und Genitivformen der Maskulina und Neutra, beim definiten Artikel zeigen die Akkusativformen der Neutra Besonderheiten, ebenso die Nominativ- und Akkusativformen der Feminina und im Plural.

Zur Unterscheidung dient als Kennform der Nominativ der Maskulina, der wie der Nominativ/Akkusativ der Neutra beim Grundmuster ein Flexiv besitzt (Flexion mit Nominativendung):
Grundmuster Artikelflexion

Die folgenden Artikel flektieren zwar prinzipiell nach dem Grundmuster, zeigen aber kleinere Besonderheiten, z. B. alternative Formen:

  • die Demonstrativa dies-, jen- und solch- (Artikel und Pronomen)
  • der W-Artikel welch-
  • die Quantifikativ-Artikel: all-, einig-, etlich-, irgendwelch-, jed-, jedwed-, manch-, mehrer-, sämtlich-

Dagegen sind folgende drei wesentliche Arten von Abweichungen vom Grundmuster zu beachten:

  • Flexion nach dem Muster des indefiniten Artikels (ohne Nominativ-/Akkusativ-Endung): Indefiniter Artikel, Possessiv-Artikel, Quantifikativ-Artikel kein-, irgendein-
  • Vokalwechsel als Abweichung (die, das) bei der Flexion des definiten Artikels und seiner akzentuierten Variante als Demonstrativ-Artikel der (betont)
  • Unflektierbarkeit: Quantifikativ-Artikel lauter, (irgend)(et)was, W-Artikel was für

Die fünf Flexionsaffixe verteilen sich auf 16 Positionen, was zu einigen Synkretismen (frz. syncrétismes) führt. Die meisten Synkretismen finden sich erwartungsgemäß bei den Feminina, während Maskulina (im Singular) ein vollständig ausgebautes Paradigma besitzen. Bei den Artikeln ergibt sich diesbezüglich also ein ähnliches Bild wie bei den Nomina. Synkretismen von Kasusmarkern gibt es hierbei genusbezogen bei Maskulina und Neutra sowie kasusbezogen einerseits bei Nominativ und Akkusativ (also bei den Nicht-Obliquus-Formen) bzw. andererseits Dativ und Genitiv (also bei den Obliquus-Formen). Beispiele:

diese kleinen Kinder → Nominativ/Akkusativ Plural

einer jungen Frau → Dativ/Genitiv Singular

Isoliert betrachtet ergeben sich noch mehr Synkretismen, numerusbezogen bei den Feminina und kasusbezogen bei den Neutra (nur der Dativ ist eindeutig markiert), die aber aufgelöst werden, sobald der Artikel in eine Nominalphrase integriert ist. Beispiele:

keiner jungenFrauen→ Genitiv Plural
{Dat./Gen.Sg. // Gen.Pl.} {Plural}
diesesKindes→ Genitiv Sing.
{Nom./Akk./Gen. Sing.} {Gen.}

Flexion nach dem Muster des indefiniten Artikels (ohne Nominativ-/Akkusativ-Endung)

Der indefinite Artikel ein, die Possessiv-Artikel mein, dein/Ihr, sein/ihr, unser, euer/Ihr, ihr sowie die Quantifikativ-Artikel kein, irgendein sind bei Maskulina im Nominativ und bei Neutra im Nominativ/Akkusativ endungslos (Flexion ohne Nominativ-/Akkusativ-Endung). Beispiele:

Das Fußballvolk johlte vor Begeisterung über sein Geschick, seinen Kampfesmut und seine Unbeugsamkeit. [Berliner Zeitung, 02.11.2006]

Wir waren einfach nicht an Politik interessiert. Mein Vater sagte immer: Ein Künstler ist kein Politiker. [die tageszeitung, 08.06.1991]

Flexion des definiten Artikels

Die Formen das [das] und die [di:] des definiten Artikels (bzw. des formgleichen Demonstrativ-Artikels) weichen im Nominativ/Akkusativ der Neutra, Feminina und des Plurals vokalisch, genauer: phonologisch, vom Grundmuster ab, demzufolge man hier jeweils ein -e erwarten würde.

Bei das und die handelt es sich um phonologisch-phonetische Formen, die sich im Laufe der Sprachgeschichte mehrheitlich durchgesetzt haben und als Norm festgesetzt wurden. Für das gibt es im süddeutschen Raum die Varianten dees und dös, im Norddeutschen und Brandenburgischen dat und det/dette. Für die findet man im Südosten des deutschen Sprachraums auch , in den nordwestdeutschen und rheinischen Mundarten die Variante de (mit Schwa), deren betonte (akzentuierte) Form die ist (siehe auch die Verhältnisse im Niederländischen).

Zu beachten ist, dass die genus- und kasus-charakteristischen Endvokale oder -konsonanten erhalten bleiben: bei die nur in der Schreibung das -e, bei das ein -s oder die norddeutsche Variante -t.

Besonderheiten

Genitivformen nach dem Muster der Adjektivflexion

Die Quantifikativ-Artikel einig-, etlich- flektieren im Prinzip nach dem Muster der Adjektivflexion, sie besitzen keine Genitivformen auf -(e)s.

Bei einig ist allerdings dieser Prozess noch nicht ganz beendet. Die Genitivform einiges (es bedarf einiges Geschicks) ist 'veraltend', d. h. sie existiert noch.

Der Demonstrativ-Artikel solch-, die Quantifikativ-Artikel all-, irgendwelch-, jedwed-, jeglich- und der W-Artikel welch- besitzen Genitivformen im Maskulinum/Neutrum Singular auf -es oder-en, die mit den Formen auf -es alternieren, je nach dem ob das folgende Nomen die Endung -(es) oder -en besitzt. Die Endung -en kann nur vor Nomina mit s-Kasusflexion stehen, da nur diese den Genitiv gegenüber dem Akkusativ hinreichend kennzeichnen, z. B.:

Egal welchen Alters, beim Musikverein sind alle interessierte Musiker herzlich willkommen. [Mannheimer Morgen, 06.05.2005]

Die Quantifikativ-Artikel jed- und manch- lassen auch die Genitivform mit -es vor Nomina mit s-Kasusflexion zu, z. B.:

jeden Mannes / *jeden Piloten. Auch möglich: jedes Mannes

Die Geschichte manchen Ortes geht weit ins Altertum zurück, [...]. [Vorarlberger Nachrichten, 20.05.2000]

Standardsprachlich nicht anerkannt, aber in festen Verbindungen verbreitet, kommt im Genitiv Singular auch die Form diesen des Demonstrativ-Artikels vor, wie z. B. Anfang diesen Jahres (siehe Grammatik in Fragen und Antworten).

Numerusbeschränkungen

Bestimmte Artikel sind semantisch auf einen Numerus beschränkt.
Nur Singular: ein, irgendein, was für ein, jed-, jedwed-
Nur Plural: mehrer-
Einig-, etlich-, irgendwelch- können im Singular meist nur mit abstrakten und konkreten Stoffnamen (Substanzausdrücken) im Singular verwendet werden (a), bei Gattungsnamen (Appellativa) nur im Plural (b):

(a) Es wurde einiges Geld investiert.
Wir haben einige Arbeit für Oktober aufheben müssen.
Die Firma hat etliches Material verschwendet.
Hier haben sie jahrelang irgendwelchen Industriemüll verbrannt.

(b) Beim Brand der Bibliothek wurden etliche Bücher vernichtet.
Die Versicherung hat den Leuten irgendwelche obskuren Verträge andrehen wollen.

Zusammengesetzte Artikel

  • Viele Indefinita (Artikel und Pronomina) können durch das invariable irgend- verstärkt werden, z. B. irgendein-, irgendetwelch-. Ausschlaggebend ist die Flexion des Basis-Artikels.
    die Lehre irgendeines indischen Gurus
    der Verkauf irgendwelcher obskurer Versicherungsverträge
  • Derjenige und derselbe flektieren im ersten Teil (der-, des-) wie der definite Artikel, im zweiten wie ein schwach flektiertes Adjektiv, so als handelte es sich um zwei getrennte Bestandteile:
    Während er Schreie nach dem Vater ausstieß, versank er schon in den blauen Wellen desjenigen Meeres, das später seinen Namen bekam. [Ikaros, In: http://de.wikipedia.org: 2005 ]

Unflektierter Gebrauch flektierbarer Artikel

Bestimmten Subgruppen von Artikeln kann eine kleine Gruppe von auch als Artikel existierenden Einheiten vorangestellt werden, die dann unflektiert bleiben, wie z. B. in all mein Sinnen und Trachten, welch ein Zwitschern, solch Tun. Dazu zählen:

  • der Quantifikativ-Artikel all vor definitem Artikel, Demonstrativ- und Possessiv-Artikel, z. B.:
    Hier wären all seine Schwächen plötzlich Stärken. [die tageszeitung, 03.02.2004]
  • der Quantifikativ-Artikel manch, der W-Artikel welch sowie der Demonstrativ-Artikel solch vor dem indefiniten Artikel ein/eine, z. B.:
    So manch eine Eigenart wird als medizinisch relevante Erkrankung definiert, die dann therapiert werden muss. [spektrumdirekt, 31.10.2005]
    Welch ein Glück, dass die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland stattfindet! [Berliner Zeitung, 06.05.2006]

Da man es als linguistisch wenig plausibel ansehen kann, innerhalb der Position 'Artikel' in der NP eine Parataxe im Sinne einer Besetzung derselben Position durch zwei gleichartige Einheiten anzunehmen, muss man sich fragen, ob Folgen wie all die, manch ein, solch ein, welch ein nicht als einheitliche Blöcke zu behandeln sind, die als Ganzes jeweils einen Artikel bilden, der einen quantifizierenden Bestandteil als semantisches Spezifikans besitzt. Sie wären dann den oben behandelten Typen irgendein- irgendwelch- vergleichbar, die "zufällig" zusammengeschrieben werden. Solche "Artikelkomposita" zeigen, dass wir hier an die Grenze des Bereichs Artikel stoßen.

Man vergleiche diese Folgen mit denen, die eine ungekehrte Logik aufweisen (solch ein Theater vs. ein solches Theater) oder als ersten Bestandteil eine flektierte Form haben (all diese Besucher vs. alle diese Besucher, oder auch diese Besucher alle). Welchen Status hat dort der quantifizierende Bestandteil?

Die unflektierten Formen manch, welch, solch bewirken, wenn sie direkt vor ein Adjektiv treten, die starke Flexion dieses Adjektivs (in veraltendem Gebrauch können sie auch unmittelbar vor dem Nomen erscheinen), z. B.:

Was sind schon ein paar Tage angesichts solch historischer Dimensionen? [die tageszeitung, 06.01.2006]

Besonderheiten bei den Possessiv-Artikeln

Bei den Possessiva ist zu beachten, dass je nach Bezugsausdruck (Possessor) mit Hilfe verschiedener Stämme (Suppletivformen) differenziert wird. Der Possessiv-Artikel drückt auch eine Zugehörigkeitsrelation zum Sprecher (mein) bzw. zu Sprechergruppen (unser), zum Adressaten (dein, Ihr) bzw. zu Adressatengruppen (euer/Ihr) oder zu einem im vorausgehenden Kontext verbalisierten anderen Gesprächsgegenstand (sein, ihr) aus. In letzterer Relation regiert der Bezugsausdruck außerdem Genus und Numerus des Stamms des Possessiv-Artikels: Die Formen besitzen ein Possessor-Genus, das durch die unterschiedlichen Wortstämme sein- (Maskulinum/Neutrum) und ihr- (Femininum) markiert wird:

Rätsel: Sein Vater ist auch ihr Vater. Lösung: Peter und Inge sind Geschwister!

und ein Possessum-Genus, das durch Flexionssuffixe gekennzeichnet wird.

Inge verehrt ihren Vater, ihr Bruder steht seiner Mutter näher.

Die im Stamm kodierte Kategorisierung nach Genus und Numerus korrespondiert also mit dem Bezugsausdruck (Possessor). Dagegen korrespondiert die in der Flexionsendung kodierte Kategorisierung nach Genus und Numerus mit dem Genus und Numerus des Nachfolgeausdrucks, genauer: mit dem rechtsadjazenten (eventuell erweiterten) nominalen Kopf der NP (siehe farbliche Übereinstimmungen). Zusätzliche Entsprechungen zwischen Possessor-Bereich und Possessum-Bereich können durch bestimmte Identitäten oder Verb-Verbindungen entstehen, wie etwa im zweiten und dritten Beispiel durch das Verb sein (Linguisten sind Informante) und die Identität zwischen Possessor-Subjekt und Possessum ( Linguisten = ihre eigenen Informanten bzw. der Dativ = der Tod des Genitivs). Beispiele:

Schuster, bleib bei deinen Leisten! → adressatenbezogen

Für die eigene Muttersprache sind Linguisten oft ihre eigenen Informanten. [Informant, In: http://de.wikipedia.org: 2005 ] → Bezugsausdruck im Plural

Der Dativ ist dem Genitiv sein_ Tod. [Buchtitel: B.Sick] → Bezugsausdruck Maskulinum Singular

Anstelle von sein- und ihr- können auch die anadeiktischen pronominalen Formen dessen (Bezugsausdruck Mask./Neut.) bzw. deren (Bezugsausdruck Fem. oder Pl.) verwendet werden, die sich auf ein vorangehendes Nomen beziehen können und in allen Kasus gleich lauten. Sätze mit mehreren potentiellen Bezugsausdrücken können auf diese Weise eindeutig gemacht werden:

Kurt ging mit Jakob und seiner Frau spazieren. [Hier ist nicht eindeutig, wessen Frau mit seiner gemeint ist.]

Kurt ging mit Jakob und dessen Frau spazieren. [Hier ist mit dessen die Frau von Jakob gemeint.]

Der Possessiv-Artikel ist in seiner Possessor-Funktion koreferent mit dem direkt vorangehenden Possessor-Element; dieses ist im Rahmen einer einfachen Satzstruktur in den meisten Fällen das Subjekt (1), bei Aufzählungen die direkt vorangehende Bezugs-NP (2,3):

(1) Mario begrüßt seine Schwester und seinen Freund.
(2) Marianne, ihr Bruder und ihre Freundin
(3) Die Eltern, ihr Sohn und ihre Tochter

Bei mehreren Possessum-Elementen sind zwei Fälle zu unterscheiden:

A. Wenn alle Possessum-Elemente denselben Possessor haben (wie in 1, 2, 3), dann wird für alle der Possessiv-Artikel benutzt, der in Genus und Numerus dem gemeinsamen Possessor entspricht.
B. In einer Folge von Possessum-Elementen kann jedes Possessum gleichzeitig Possessor hinsichtlich des nächstfolgenden Possessums sein (sekundäre Possessor-Referenz). Das Grundschema ist:
Possessor A "besitzt" Possessum B, dieses ist Possessor eines Possessums C.

In diesen Fällen muss zur eindeutigen Kennzeichnung der (sekundären) Possessor-Referenz genau dann die Ersatzform dessen/deren benutzt werden, wenn durch den normalen Possessiv-Artikel ein Falschbezug auf den erststelligen Possessor entstünde:

(4) Mario begrüßt seinen Bruder und (?seinen) → dessen Freund.
(5) Marianne, ihre Schwester und (?ihre) → deren Freundin
(6) Die Eltern, ihre Nachbarn und (?ihre) → deren Kollegen

Die Benutzung der Ersatzform ist fakultativ, wenn keine Gefahr des Falschbezugs besteht. Dennoch wird sie auch dann von Muttersprachlern bevorzugt, da sie eine höhere Salienz besitzt und somit den sekundären Possessor-Bezug besser verdeutlicht:

(7) Mario begrüßt seine Freundin und ihren Sohn —> deren Sohn.
(8) Marianne begrüßt ihren Bruder und seine Freundin → dessen Freundin.
(9) Die Eltern, ihr Sohn und seine Freundin → dessen Freundin .

Die deutschen Possessivartikel der dritten Person Singular sind durch den Doppelbezug "Possessor-Possessum" gekennzeichnet: Sie weisen sowohl ein Possessum-Genus, das flexivisch ausgedrückt wird, als auch ein Possessor-Genus auf, das durch die unterschiedlichen Wortstämme sein- (Maskulinum/Neutrum) und ihr- (Femininum) markiert wird (vgl. Stammgenus). Dagegen besitzt das Französische nur die possessumbezogenen adnominalen Possessiva son/sa. Eine Differenzierung im Stamm gibt es als Ausdruck der Possessor-Kategorien im Französischen nicht:

(1) Joachim, son père et sa mère (=Joachim, sein Vater und seine Mutter)
(2) Paula, son père et sa mère (=Paula, ihr Vater und ihre Mutter)
(3) Il / Elle a une bicyclette. Sa bicyclette est vieille. (=Er / Sie hat ein Fahrrad. Sein / Ihr Fahrrad ist alt.

Im Unterschied zum Deutschen repräsentieren die französischen Possessivartikel der dritten Person Singular also einzig und allein die Possessum-Kategorien, was aufgrund des unausgedrückten Possessor-Genus je nach Kontext zu Possessor-Ambiguitäten führen kann. So ist z. B. in (4) formal betrachtet und ohne Kontext nicht klar, ob es sich um seine oder um ihre Abfahrt handelt:

(4) Elle était heureuse de pouvoir s'expliquer avec lui avant son départ. (=Sie war glücklich, sich vor seiner/ihrer Abfahrt mit ihm aussprechen zu können.)

Trotz formal bedingten Possessor-Ambiguitäten (bei generell zwei im Prätext bereits erwähnten Possessorausdrücken) kann der Kontext oder das allgemeine Weltwissen zu Eindeutigkeit führen. So bezieht sich die NP son épaule in (5) auf die Schulter der erwähnten weiblichen Person Jeanne:

(5) Paul et Jeanne étaient côte à côte ; il mit sa main sur son épaule. (=Paul und Jeanne saßen nebeneinander; er legte seine Hand auf ihre Schulter.)

Wenn dennoch missverständliche Bezüge auftreten, stehen im Französischen zur Desambiguierung andere Ausdrucksmittel zur Verfügung: Mittels der nachgestellten attributiven PP "de + Demonstrativpronomen celui-ci/celle-ci" z. B. kann der gemeinte Possessor verdeutlicht werden. Vgl. (6a):

(6a) Anne prit congé de Sophie et du mari de celle-ci (vs. Anne prit congé de Sophie et de son mari (=mehrdeutig)

Im Deutschen werden zur Klärung von potentiellen Missverständnissen in Bezug auf den Possessor als Ersatzformen die vorangestellten determinierenden Demonstrativpronomen im Genitiv deren/dessen eingesetzt. Vgl. (6b):

(6b) Anne verabschiedete sich von Sophie und deren Mann. (ihrem Mann kann sowohl Annes als auch Sophies Mann bedeuten)

Den normativen Grammatiken des Französischen zufolge sollte eine Verwendung von Possessivartikeln der 3. Ps. Singular mit unterschiedlichen Bezugsausdrücken (Antezedenten) innerhalb eines Satzes in der konkreten Kommunikationssituation möglichst vermieden werden.

Englisch + Französisch = Deutsch

Schließlich macht ein Vergleich der drei Sprachen Deutsch-Englisch-Französisch den zwitterhaften Charakter deutscher Possessivpronomina (3. Ps, Sing.) in Bezug auf die Possessor-Possessum-Markierung besonders deutlich. Bekanntlich sind im Englischen nur die Possessor-Kategorien lexikalisch markiert; vgl. her/his son - her/his daughter. Im Französischen ist hingegen nur das Possessum genus- und numerusmäßig markiert: son neveu (sein/ihr Neffe) - sa nièce (seine/ihre Nichte). Die deutschen Possessiva aber zeichnen sich durch ihre Doppelkategorisierung aus:

Possessor-Kategorien sind Stamm-Kategorien: sein-/ihr-

Possessum-Kategorien sind Flexions-Kategorien: Paulas Wohnung => ihre Wohnung

Korrespondenz in der Nominalphrase

Artikel kongruieren in Numerus und Kasus mit dem Nomen, das als Kopf der Nominalphrase fungiert.
Das Genus des Artikels wird vom Nomen regiert.
Artikel regieren nachfolgende attributive Adjektive hinsichtlich der Flexionskategorie stark oder schwach.

Beispiel:

Die Rolle der Artikel im Rahmen der Korrespondenz in der Nominalphrase wir ausführlich in der Einheit Wortgruppenflexion behandelt, zur Rektion von Adjektiven durch Artikel siehe Flexion der Adjektive.

Übung: Flexion der Artikel

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