Vorfeldbesetzung durch Verbalkomplexteile
Der Verbalkomplex kann nie insgesamt das Vorfeld bilden, da die finite Verbform in Sätzen mit Vorfeld immer im linken Satzklammerteil stehen muss. Als mögliche Vorfeldeinheiten kommen deshalb nur das Präverb einer Präverbfügung und die infiniten Verbformen des Verbalkomplexes in Frage.
Präverben
In Verbzweitsätzen stehen Präverben getrennt vom finiten Vollverb:
bei infiniten Vollverbformen sind sie mit dem Verb verbunden:
(1'') Du wirst von mir morgen wieder angerufen.
Präverben können im Allgemeinen nicht allein (2), sondern nur zusammen mit dem verbalen Teil das Vorfeld besetzen (3):
(3) Anrufen will ich dich morgen wieder.
Die alleinige Vorfeldstellung ist allerdings bei Präverben möglich, die sich aufgrund ihrer adverbialen oder adjektivischen Herkunft noch eine relativ eigene Bedeutung bewahrt haben, wie z. B. bei feststehen und hinzukommen:
[Hannoversche Allgemeine, 04.06.2009]
[Niederösterreichische Nachrichten, 29.04.2009]
(6) Ab geht die Post –
zumindest für das blonde Rotkäppchen, das mit seiner Begleiterin auf
einem heißen Schlitten die Piste hinabbraust.
[Rhein-Zeitung, 18.03.2006]
Stehen zwei Präverbfügungen semantisch direkt im Kontrast, kann das Präverb ebenfalls alleine im Vorfeld auftreten:
(7) Sie ist Mahnung pur – wie die
feine Inschrift auf dem Emailschildchen: "Hin geht die Zeit,
Her kommt der Tod, Mensch tue Buße und fürchte
Gott".
[Rhein-Zeitung, 31.12.2002]
Infinite Teile des Verbalkomplexes
Der Verbalkomplex besteht mindestens aus einem finiten Verb, kann
aber zusätzlich auch eine oder mehrere infinite Verbformen enthalten.
Diese bilden in unmarkierter Stellung im V-2-Satz die rechte Satzklammer, sie
können aber auch ins Vorfeld gerückt werden.
Infinite Teile
sind: Partizip II (1), Infinitiv (2), Infinitiv mit zu (3).
[Süddeutsche Zeitung, 08.04.2010]
(2) „Glauben kann ich nur, wenn ich dafür nicht Vernunfteinsichten opfern muss“, sagt der gelernte Mathematiker und Theologe.
[Hannoversche Allgemeine, 10.06.2009]
(3) Auszuschließen ist nämlich angesichts der sich dramatisch verschlechternden Wirtschaftsindikatoren gar nichts mehr.
[dpa, 13.03.2009]
Wenn die infiniten Teile des Verbalkomplexes ins Vorfeld gestellt werden (4, 5), bleibt die Abfolge der infinten Teile beibehalten, wie sie auch in der rechten Satzklammer auftritt:
[Rhein-Zeitung, 11.04.2009]
(5) Gestohlen worden sein kann es nicht.
Mit dem sich anschließenden finiten Verb des Verbalkomplexes entsteht auf diese Weise am Satzanfang genau die Abfolge der Verbformen wie im Nebensatz:
Werden nicht alle Infinitivformen des Verbalkomplexes ins Vorfeld gestellt, verteilt sich der Verbalkomplex auf drei Positionen im Satz:
Bezüglich der Platzierung von Teilen des Verbalkomplexes im Vorfeld gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Sprachen (vgl. Norsk referansegrammatik 1997: 876 f., Lie 1976: 34). Auch im Norwegischen kan ein Infinitiv oder (norw.) perfektum partisipp im Vorfeld stehen. Oft wird dabei aber zusätzlich an der ursprünglichen Position das Proverb gjøre (dt. machen) eingesetzt:
Synge kan han
ikke.
Svømt har jeg aldri
(gjort).
Men håpe kan vi
selvfølgelig (gjøre).
Im Unterschied zum Deutschen kan auch ein finites Verb im Vorfeld stehen, in diesem Fall ist das zusätzliche Proverb gjøre (ebenfalls in finiter Form – der Satz hat in diesem Fall also zwei finite Verben) aber obligatorisch. Diese Konstruktion ist (wie im Deutschen) auch mit Infinitiv im Vorfeld (und finitem Proverb) möglich:
Ler gjør han
ofte.
Krangle gjør de
ofte. (Deutsch: Streiten tun sie
oft.)
Kombinationen aus mehreren infiniten Verbteilen sind im norwegischen Vorfeld nicht möglich:
*Blitt sett har han
aldri.
*Ha blitt stjålet kan det
ikke.
Verben, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Präfixverben im Deutschen haben (die Unterscheidung ist im Norwegischen nicht so deutlich, vgl. Vollverben), werden im Norwegischen ebenfalls zusammen im Vorfeld platziert:
Innkalt ble han aldri.
Eine alleinige Vorfeldstellung ist auch bei Verben wie den folgenden nicht möglich (die Ergänzung gilt hier als intransitive Präposition in adverbialer Funktion, vgl. Norsk referansegrammatik 1997: 875):
*Tilbake betalte vi
pengene.
*Fram satte de
forslaget.