Vorfeldbesetzung durch Komplemente

Vertreter aller Komplementklassen können im Vorfeld erscheinen. In ca.50% der Aussagesätze steht das Subjektkomplement im Vorfeld (Hoberg 1981). Stehen andere Komplemente im Vorfeld, hängt es von der Mitteilungsabsicht des Sprechers/Schreibers ab. Es kann sich um andere individuelle oder textsortenspezifische stilistische Gründe handeln.
Im Normalfall ist im Vorfeld nur eine Stellungseinheit vorhanden, die durch ein Komplement oder Supplement besetzt ist. In markierten Fällen können auch mehrere Komplemente oder Supplemente im Vorfeld auftreten.
Obwohl alle Komplementklassen im Vorfeld stehen können, gibt es auch Ausdruckseinheiten von Komplementklassen, die nur eingeschränkt vorfeldfähig sind, z. B. die Pronomina es, man, sich.

Grundsätzlich können auch im Norwegischen Vertreter verschiedener Komplementklassen im Vorfeld stehen. Auf Grund der fehlenden (bzw. sehr eingeschränkten) Kasusmarkierung und der damit fehlenden Möglichkeit, morphologisch zwischen verschiedenen Komplementen zu unterscheiden (z. B. zwischen (norw.) subjekt, direkte objekt und indirekte objekt), wird die Vorfeldposition noch häufiger als im Deutschen durch das Subjektkomplement besetzt. Die Option, mehrere Komplemente im Vorfeld zu platzieren, gibt es im Norwegischen nicht.

Komplementklassen im Vorfeld

Im Vorfeld können Vertreter aller Klassen von Komplementen stehen: Kasuskomplemente (Subjektkomplement (1), Akkusativkomplement (2), Dativkomplement (3), Genitivkomplement (4)) , Präpositivkomplemente (5), adverbiale Komplemente (6), Prädikativkomplemente (7) und Verbativkomplemente (8):

(1) Die US-Finanzbranche hat Griechenland geholfen, sein Schuldenproblem jahrelang zu verschleiern.
[Süddeutsche Zeitung, 15.02.2010]
(2) Den letzten Anstoß für das Nein der Sozialdemokraten zum B-Plan gab ein Hinweis der Planerin.
[Braunschweiger Zeitung, 31.12.2009]
(3) [...] die Geschichten von japanischen Kühen aus Kobe [...]. Denen sagte man nach, sie würden von Mönchen oder Geishas massiert, bekämen Sake und Bier zu trinken und dürften Mozart oder Koto hören.
[Süddeutsche Zeitung, 15.02.2010]
(4) Des Risikos dort war sie sich wohl bewusst.
[die tageszeitung, 10.02.2005]
(5) Auf den jetzt erwarteten Zwischenbericht der Anwältin soll später noch ein weiteres, ein abschließendes Dokument folgen.
[Süddeutsche Zeitung, 16.02.2010]
(6) In "Chinatown" rund um die Via sarpi leben etwa 20 000 Chinesen, die Hälfte davon ist illegal hier.
[Süddeutsche Zeitung, 17.02.2010]
(7) Zentral sei der vierte Punkt: der Wiederaufbau.
[Süddeutsche Zeitung, 15.02.2010]
(8) Zu wirken begann sie als Verlegerin in Berlin, in einem kleinen, aber zielbewußten, zumal für skandinavische Literatur sich engagierenden Unternehmen, dem Gemini-Verlag.
[Frankfurter Allgemeine, 16.11.2005]

Beispiele für verschiedene Komplemente im Vorfeld im Norwegischen:

(norw.) subjekt: Regjeringen har diskutert finanskrisen og hvilke tiltak som kan iverksettes.
(norw.) direkte objekt: Henne har han sett i ferier og helger.
(norw.) indirekte objekt als Pronominalphrase: Henne ville han gi alt.
(norw.) indirekte objekt als Präpositionalphrase: Til moren sin sendte han et brev.
(norw.) indirekte objekt als Präpositionalphrase – die Präposition kann dabei auch im (norw.) sluttfelt stehen bleiben (sog. "Präpositionsstranden"): Moren sin sendte han et brev til.
(norw.) preposisjonsobjekt – die Präposition bleibt dabei obligatorisch im (norw.) sluttfelt stehen: Hva tenker du ?
(norw.) bundet adverbial: I Oslo har han bodd de siste 6 årene.
(norw.) subjektspredikativ: Bonde ville han ikke bli.

Zu weiteren Realisierungsformen der Komplementklassen.

Mehrere Komplemente im Vorfeld

Selten treten zwei oder gar drei Komplemente ins Vorfeld. Diese Formen müssen als markiert angesehen werden:

(1) Dem Ereignis (Kdat) die Ehre (Kakk) gab auch die Politik aus Mainz, vertreten durch den Chef der Landtagsfraktion der SPD, MdL Jochen Hartloff.
[Die Rheinpfalz, 20.08.2007]

Außerdem kann als dritte Stellungseinheit die infinite Verbform des Verbalkomplexes hinzutreten:

(2) Ihm (Kdat) den Titel (Kakk) streitig machen wollen Dreifach-Sieger Peter Reid (Kanada), der Däne Torbjorn Sindballe, Faris Al Sultan (München) und die laufstarken Rutger Beke (Belgien), Cameron Brown (Neuseeland) und Simon Lessing (GBR). [Mannheimer Morgen, 15.10.2005]

es, man, sich

Pronomina sind prinzipiell mögliche und häufige Vorfeldeinheiten, nur bei es, man und sich gibt es bestimmte Beschränkungen.

es

Das anaphorische Personalpronomenes kann nur als Subjekt (1), aber nicht als Akkusativkomplement (2) im Vorfeld stehen:

(1) Ausführliche Informationen enthält das Gesamtprogramm. Es liegt in Kirchengemeinden, Banken und Geschäften in Linz und Umgebung sowie in der FBS aus.
[Rhein-Zeitung, 29.12.2008]
(2) Unbekannte Täter entwendeten einem 44-jährigen Unternehmer in der Bimbo-Binder-Promenade 575 Euro Bargeld. Er hatte es in einer Mappe deponiert, die auf dem Beifahrersitz seines Lieferwagens lag.
[Niederösterreichische Nachrichten, 28.05.2007]
*Es hatte er in einer Mappe deponiert, die auf dem Beifahrersitz seines Lieferwagens lag.

Auch das sogenannte fixe es, das als semantisch leeres formales Subjekt (3) oder als semantisch leeres formales Akkusativkomplement (4) bei bestimmten Verben auftreten kann, kann im Vorfeld ebenfalls nur im Nominativ stehen:

(3) Es liegt in der Natur des Produkts: Milch kann manchmal sauer werden.
[Die Rheinpfalz, 09.07.2009]
(4) Frösche hätten es gut gehabt mit ihren Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Sie fühlten sich am Fröschä-Friitig wohler als am samstäglichen Fasnachtsumzug.
[Die Südostschweiz, 06.03.2006]
→ *Es hätten Frösche gut gehabt mit ihren Schwimmhäuten zwischen den Zehen.

Das expletive/Platzhalter-es stellt gegenüber dem anaphorischen Personalpronomen und dem fixen es einen Sonderfall dar: Als eine reine Stellungseinheit ohne syntaktische (Komplement- oder Supplement-) Funktion füllt es nur die in einer V-2-Struktur vorgesehene Vorfeldposition, damit andere Einheiten in eine für die Informationsgewichtung angemessenere Position gestellt werden können:

(5) Es rauscht der deutsche Wald, und der Männerchor schmettert sein Lied, die Jagdhörner erklingen, und die Brautjungfern bringen ihr (scheinbar unvermeidliches) Ständchen; wir fühlen uns recht heimisch.
[die tageszeitung, 31.08.1988]

man

Ein dem anaphorischen es vergleichbares Verhalten zeigt auch das generalisierende Personalpronomen man. Als Subjekt kann man das Vorfeld besetzen (11), die Suppletivformen im Dativ (einem) (12) und Akkusativ (einen) (13) können aber nicht in das Vorfeld gerückt werden:

(11) Man kann unseren Kindern keinen größeren Gefallen tun, als ihnen Werte wie Respekt, Fleiß und Toleranz mitzugeben.“
[Nürnberger Zeitung, 06.03.2007]
(12) Schließlich mache Umweltschutz Spaß: „Da muss einem nicht immer die Last der Welt auf den Schultern liegen.“
[Hannoversche Allgemeine, 08.07.2008]
→*Einem muss nicht immer die Last der Welt auf den Schultern liegen.
(13) Ganz wohl ist mir in meiner Haut nicht, da ich nicht weiß, wo ich hingehöre. Das kann einen ganz schön nervös machen.
[Vorarlberger Nachrichten, 21.12.2000]
→ *Einen kann das ganz schön nervös machen.

sich

Das Reflexivum sich und die entsprechenden Formen der Persondeixis (mir, mich usw.) können nur als Komplement und meist mit Kontrastakzent im Vorfeld stehen:

(14) Ja, das war so, ich wollte immer lieber ausweichen. Mich habe ich ganz oft verletzt, aber ich konnte die anderen nicht verletzen.
[Berliner Zeitung, 09.09.2005]
(15) "Aber wir müssen nichts bedauern, denn wir haben nie Scheiße gemacht. Jedenfalls nicht für das Publikum. Uns haben wir ziemlich viel angetan, aber nie anderen."
[die tageszeitung, 25.01.1992]

Das lexikalische sich ist als obligatorischer Teil des Verbs (sich schämen, sich bedanken) immer unbetont und nicht vorfeldfähig:

(16) *Dich solltest du schämen.

Es, man, sich verhalten sich also in Bezug auf die Vorfeldstellung sehr ähnlich. Das hängt damit zusammen, dass sie, anders als die anderen Pronomina, keine Phrasen bilden können. Nur die Pronomina, die Kopf einer Phrase sein können, sind in allen Kasus vorfeldfähig.

Die Funktionen von det im Norwegischen entsprechen nur teilweise denen von es im Deutschen, vgl. Die Form es und ihre Verwendungen. Als anaphorisches Personalpronomen bzw. Demonstrativpronomen – bei Referenz auf einen nicht-personalen Referenten sind die Formen im Norwegischen orthographisch nicht zu unterscheiden (entsprechend das im Deutschen) – kann det sowohl als Subjekt als auch als (norw.) direkte objekt im Vorfeld stehen (und ist dann betont):

Jeg kjøpte meg et nytt kjøkkenbord. Det står foran vinduet.
Hun har alltid drevet med musik. Det gjorde hun også da hun flyttet til utlandet.

Det kann jedoch nur als (unbetontes) formales/grammatisches Subjekt, aber nicht als (unbetontes) formales/grammatisches Objekt im Vorfeld stehen:

Det ligger imidlertid i sakens natur at de færreste kan gi noe klart svar på om de kjeder seg eller ikke.
[Lars Fr. H. Svendsen (2005). Kjedsomhetens filosofi. Oslo: Universitetsforlaget]
*Det gjorde han slutt med henne.

Im Norwegischen kan man ebenfalls nur in Subjektfunktion auftreten, ggf. im Vorfeld, während die Form en in Objektfunktion auch im Norwegischen nicht alleine im Vorfeld stehen kann:

Man taler gjerne om spedbarn, småbarn, barn og tenåringer.
* En overrasker det hvor langt man kan komme med så lite penger.

Formen des Reflexivums seg können im Norwegischen ebenfalls nur als Komplement (direkte objekt) im Vorfeld stehen, was allerdings einer markierten Verwendung entspricht:

Meg har de tatt ekstra hardt.
Men oss har de som vanlig ikke brydd seg med.
*Deg burde du skamme.

Übung: es, man, sich im Vorfeld

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Autor(en)
Wiebke Ramm
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