Vollverb

(norwegisch: hovedverb)

Vollverb im Überblick

Vollverben können im Unterschied zu Modalverben, Hilfsverben und Kopulaverben in ihrer finiten Form alleine den Verbalkomplex und damit den Prädikatsausdruck bilden. Sie sind die zentralen Einheiten für den Aufbau der Satzstruktur.

andere Bezeichnungen

Tätigkeitswort, Hauptverb

Bestand

gehen, lachen, besprechen, sich freuen, erwärmen, aufnehmen, totlachen, bausparen...


gå, le, diskutere, glede seg, varme opp, ta opp, knivdrepe, finpusse ...

morphologische Eigenschaften

Vollverben werden nach Person, Verbnumerus, Modus, Tempus und können nach Genus verbi unterschieden werden.

Sie lassen sich nach dem morphologischen Kriterium Präteritum- und Partizipialbildung einteilen in starke Verben (singen - sang - gesungen) und schwache Verben (lachen - lachte - gelacht). Nach Kriterien der Wortbildung unterscheidet man einfache (einteilige) Verben von solchen mit festen Präfixen (ich erzähle, verstehe, bespreche ...) und solchen mit abtrennbarem Präverb (ich singe ... vor, ich lache ... aus), die auch ohne Beteiligung von Hilfs- und Modalverben Satzklammern bilden können.


Im Norwegischen flektieren Vollverben nach Tempus und Modus und können nach Genus verbi unterschieden werden. Die Einteilung in starke und schwache Verben erfolgt nach dem Kriterium der Präteritumbildung: Schwache Verben bilden das Präteritum durch Hinzufügen eines Suffixes, so dass eine zweisilbige Form (ausgehend von einem einsilbigen Stamm) entsteht: reise – reiste. Starke Verben bilden das Präteritum ohne Hinzufügen einer weiteren Silbe. Meist (jedoch nicht immer) wird im Präteritum der Stammvokal verändert: synge – sang, komme – kom.

Auch im Norwegischen könne Verben mit Präfixen und Präpositionen Zusammensetzungen bilden. Die Unterscheidung zwischen Verben mit festem und abtrennbarem ersten Verbteil ist jedoch nicht so klar wie im Deutschen. Es gibt Verben, die nur als Zusammensetzung vorkommen wie ansette (an-/einstellen), innbille (einbilden), oppleve (erleben), sammenlikne (vergleichen), utfordre (herausfordern), Verben, die nur getrennt von ihrem anderen Teil vorkommen wie koke over (überkochen), låse opp (aufschließen), flagge ut (ausflaggen), aber auch Verben, die sowohl in zusammengesetzter als auch in getrennter Form vorkommen – mit (fast) identischer Bedeutung wie bortfalle – falle bort (wegfallen), innkalle – kalle inn (einberufen), nedbygge – bygge ned (abbauen), oder mit abweichender Bedeutung wie avslå (abschagen) – slå av (ausmachen), pålegge (auferlegen) – legge på (zunehmen), opplyse (informieren) – lyse opp (erleuchten), utsette (aussetzen/aufschieben) – sette ut (aussetzen (konkret)), vgl. Norsk referansegrammatikk (1997: 81-89).

Konjugation: schwache und starke Verben

Präsens IndikativKonjunktiv I (Konjunktiv Präsens)
STAMMSINGULARPLURAL
1. PERSONeen
2. PERSONspiel-
sing-
stt
3. PERSONten
STAMMSINGULARPLURAL
1. PERSON-n
2. PERSONspiel-
sing-
e-stt
3. PERSON-n

Bei einigen starken Verben tritt in der 2. und 3. Person Präsens Singular im Indikativ ein Vokalwechsel ein: fahre - fährst - fährt; trete - trittst - tritt; trage - trägst - trägt. Charakteristisch für das Konjunktiv-Paradigma ist das Erscheinen des -e (Schwa) in allen Formen.

Konjugation: schwache Verben

Präteritum und Konjunktiv II schwacher Verben werden durch Anhängen des Affixes -te- (alternative Segmentierung) an den Präsensstamm gebildet.

Präteritum Indikativ / Konjunktiv II (Konjunktiv Präteritum)
STAMMSINGULARPLURAL
1. PERSON-n
2. PERSONspiel-te-stt
3. PERSON-n

Die kleine Klasse der gemischten (unregelmäßigen schwachen) Verben weist zusätzlich zum Affix -te- im Präteritalstamm Vokal- und Konsonantenwechsel wie bei starken Verben auf (bringen - brachte - gebracht).

Konjugation: starke Verben

Der Präteritalstamm der starken Verben wird durch Ablaut (Variation des Stammvokals) und teilweise zusätzlich durch Veränderungen des Auslautkonsonanten gebildet: singen - sang, tragen - trug, schreiben - schrieb, treten - trat, stehen - stand, ziehen - zog. Die starken Verben mit umlautfähigem Stammvokal haben im Konjunktiv II einen Umlaut: nahm- nähme, fuhr - führe, bot - böte.

Präteritum IndikativKonjunktiv II (Konjunktiv Präteritum)
PRÄTERITALSTAMMSINGULARPLURAL
1. PERSON-en
2. PERSONsang--stt
3. PERSON-en
PRÄTERITALSTAMMSINGULARPLURAL
1. PERSON-n
2. PERSONsäng-e-stt
3. PERSON-n

Zur Flexion der wichtigsten starken Verben


Konjugation: schwache Verben

Im Norwegischen zeichnen sich schwache Verben dadurch aus, dass sie das Präteritum durch Suffigierung bilden, d. h. durch Zufügung einer der Flexionsendungen (-et/a, -te, -de oder -dde), wodurch eine zweisilbige Präteritalform entsteht, z. B. reis-e, reis-te, im Unterschied zu den starken Verben, die einsilbige Präteritalformen haben, z. B. syng-e, sang. (Ein- bzw. Zweisilbigkeit bezieht sich hier auf das einsilbige Grundwort. Bei abgeleiteten oder zusammengesetzten Verben kann das Ausgangsverb ggf. aus mehr als einer Silbe bestehen, vgl. Norsk referansegrammatikk (1997: 479). Der Stammvokal ändert sich im Präteritum und Partizip Perfekt meist nicht, es gibt jedoch einige schwache Verben mit Vokaländerung im Präteritum und Partizip Perfekt, z. B. selg-e, solg-te, solg-t. Dies entspricht der Klasse der gemischten Verben im Deutschen.

Entsprechend der Suffixe, mit denen das Präteritum gebildet wird, werden zwei Hauptklassen schwacher Verben unterschieden. Die erste Klasse bildet das Präteritum mit -et/-a, die zweite Klasse mit -te/-de/-dde. Beispiele:

1. Klasse
(gleiche Form im Präteritum und Partizip Perfekt)

InfinitivPräsensPräteritumPartizip Perfekt
-e-er-et/-a-et/-a
kaste (werfen)kasterkastet/kastakastet/kasta

2. Klasse
(unterschiedliche Formen im Präteritum und Partizip Perfekt)

InfinitivPräsensPräteritumPartizip Perfekt
-e, -0-(e)r-te, de, -dde-t, -d, -dd
a)reise (reisen)reiserreistereist
b)leve (leben)leverlevdelevd
c)ro (rudern)rorrodderodd

Konjugation: starke Verben

Im Norwegischen sind starke Verben durch eine einsilbige Präteritalform gekennzeichnet (wenn man von einem einsilbigen Grundverb ausgeht) und haben wie die starken Verben im Deutschen oft unterschiedliche Stammvokale im Präsens, Präteritum und/oder Partizip Perfekt (Ablaut). Das Partizip Perfekt der starken Verben ist entweder zweisilbig und endet auf -et oder einsilbig und endet auf -t, -tt, -d, -dt oder -dd. Die zweisilbige Form ist die eigentliche starke Form, während die einsilbigen Formen schwache Partizipformen sind (vgl. Bildung des 'perfektum partisipp' im Norwegischen und Norsk referansegrammatikk (1997: 486). Beispiele:

drikke (trinken) – drakk – drukket
komme (kommen) – kom – kommet
legge (legen) – la – lagt
bite (beißen) – bet/beit – bitt
be (bitten) – ba – bedt
le (lachen) – lo – ledd

Bildung des Partizips II (Partizip Perfekt)

Das Partizip II dient zusammen mit den Hilfsverben sein, haben und werden der Bildung der zusammengesetzten Tempora Präsensperfekt, Präteritumperfekt und Futurperfekt sowie der Bildung des Passivs. Schwache Verben bilden das Partizip II mit dem Präfix ge- und dem Suffix -t, starke Verben mit dem Präfix ge- und dem Suffix -en in Verbindung mit dem abgelauteten Partizipialstamm des Verbs.

PARTIZIP II
schwache Verbenge-spiel-t
starke Verbenge-sung-en

Näheres zur Bildung des Partizips II


Im Norwegischen dient das Partizip Perfekt ebenfalls der Bildung der zusammengesetzten Tempora Präsensperfekt, Präteritumperfekt und Futurperfekt, zusammen mit den Hilfsverben ha und være und dem Modalverb skulle, sowie der Bildung der analytischen Form des Passivs, zusammen mit dem Hilfsverb bli.

Im Norwegischen bilden starke und schwache Verben das Partizip Perfekt nur teilweise unterschiedlich. Schwache Verben bilden das Partizip Perfekt mit den Suffixen -et/-a, -t, -d oder -dd (z. B. kastet/kasta (geworfen), reist (gereist), levd (gelebt), rodd (gerudert)), starke Verben mit den Suffxen -et, -t, -tt, -d, -dt oder -dd (z. B. sunget (gesungen), hengt (gehangen), slått, (geschlagen), ridd (geritten), bedt (gebeten), ledd (gelacht)). Bei den starken Verben sind die einsilbigen Partizipialformen im Ausgangspunkt schwache Flexionsformen (d. h. die entsprechenden Verben flektieren eigentlich nur im Präteritum stark), während die zweisilbige Form mit dem Suffix -et die eigentliche starke Partizipialform ist. Beispiele:

Han har reist. (Er ist gereist.): schwaches Verb
Han har skutt. (Er hat geschossen.): starkes Verb mit schwacher Partizipialform
Han har sunget. (Er hat gesungen.): starkes Verb mit starker Partizipialform.

syntaktische Eigenschaften

Verben bilden die für die Topologie des Deutschen wichtige Satzklammer. Charakteristisch für das Deutsche ist die große Anzahl von Präverbgefügen, d. h. Verben mit einem abtrennbaren Verbzusatz. Als Verbzusatz finden sich Elemente verschiedener Wortarten:

  • Präpositionen: schreibe ... vor, sehe ... nach
  • Adverbien: gehe ... hinauf, fahre ... hinein, haue ... drauf
  • Adjektiv: spreche ... frei, schweige ... tot
  • Nomen: nehme ... teil, gebe ... preis

Im Zusammenspiel mit Hilfs- und Modalverben ergeben sich Verbalkomplexe, die besonderen Bildungs- und Abfolgeregeln gehorchen. Die finite Verbform bildet dabei das strukturelle Satzzentrum, an dem die Einheitenkategorien der Kategorisierungen Person und Verbnumerus festgemacht werden. Hinsichtlich des Verbnumerus besteht Kongruenz mit dem Subjekt, die Person wird vom Subjekt regiert.

Ödipustrickstedie Sphinxaus.
Ödipuskonntedie Sphinxaustricksen.
Ödipushättedie Sphinx leichtaustricksen können.
NachdemÖdipus die Sphinxhatte austricksen können
Die Sphinxhätteleichtausgetrickst werden können.
weildie Sphinx leichthätte ausgetrickst werden können.


Verben bilden im Norwegischen keine Satzklammer (obwohl auch hier andere Satzelemente zwischen dem finiten und infiniten Teil des Verbalkomplexes stehen können, vgl. Verbalkomplex). Ein den deutschen Präverbgefügen ähnliches Phänomen gibt es auch im Norwegischen, allerdings beschränkt auf Präpositionen als Verbzusatz. Es wird nicht so klar zwischen zusammengesetzten und getrennten Formen unterschieden wie im Deutschen, vgl. morphologische Eigenschaften im Norwegischen.

Auch im Norwegischen ergeben sich im Zusammenspiel mit Hilfs- und Modalverben Verbalkomplexe, die besonderen Bildungs- und Abfolgeregeln gehorchen. Die finite Verbform ist jedoch bezüglich Person und Verbnumerus unmarkiert und kongruiert daher nicht mit dem Subjekt (Verbnumerus) bzw. wird nicht vom Subjekt regiert (Person).

semantische und funktionale Eigenschaften

Nach ihren semantischen Eigenschaften lassen sich Vollverben auf verschiedene Weisen klassifizieren. Geläufig ist z. B. die Einteilung in Zustandsverben (liegen, schlafen, hängen, blühen), Vorgangsverben (fallen, einschlafen, explodieren, tropfen) und Handlungsverben, die im Unterschied zu Vorgangsverben eine Intention des Handelnden voraussetzen (schreiben, aufhängen, graben).
Des Weiteren können Subklassen gebildet werden wie z. B. 'Bewegungsverben' (laufen, schreiten, fahren), 'verba dicendi' (berichten, sagen, erklären), 'Verben der Transaktion' (geben, überreichen, nehmen), oder nach zeitlichen Gesichtspunkten kategorisiert werden in 'durative Verben' (schlafen, blühen) und 'perfektive Verben' (einschlafen, verblühen).
Vollverben eröffnen aufgrund ihrer Bedeutung Leerstellen für "Mitspieler" unterschiedlichen Typs (Valenz des Verbs) und bedingen so Anzahl und Art der Komplemente.

Übung zum Thema Vollverb

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Autor(en)
Wiebke Ramm
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