Informationsstruktur des Mittelfeldes

Hier wird der Beitrag des Mittelfelds zur Informationsstruktur von Sätzen beschrieben. Aus zwei Gründen ist das Mittelfeld für die Informationsstruktur besonders wichtig: Wegen der relativen Unfestigkeit der Abfolge besonders im Mittelteil des Mittelfelds kann dieser besonders gut zur kommunikativen Gewichtung genutzt werden. Und zweitens finden sich im Mittelfeld meist mehr Stellungseinheiten als in den anderen Stellungsfeldern. D. h. das Potenzial an Umstellungen und damit an kommunikativer Strukturierung ist größer als in den anderen Feldern.

Vieles, was hier zur Informationsstruktur des Mittelfeldes im unmarkierten deutschen Satz gesagt wird, gilt auch für das rechte Feld im Polnischen.

Hintergrund-/Vordergrund-Grenze

Die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundbereich im Mittelfeld des deutschen Satzes kann an folgendem Beispiel illustriert werden:

(1) (Warum findet Karl seinen Geldbeutel nicht?)

[...],weil er seinen Geldbeutelwahrscheinlichgestern am Bahnhof verloren hat.
HintergrundVordergrund

Das modal abschwächende Satzadverb wahrscheinlich in Beispiel (1) lässt sich weder dem Hintergrund (grau hinterlegt) noch dem Vordergrund (gelb) zuordnen. Abtönungspartikeln, assertive und modal abschwächende Satzadverbialia sind nicht Teil des informativen Gehalts, sie beziehen sich auf den Sprecher bzw. auf die Interaktion der Kommunikationsteilnehmer. Sie markieren im Mittelteil des Mittelfeldes die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundeinheiten, sofern sie keinen eigenen Gewichtungsakzent tragen, der sie selbst als Vordergrundeinheiten kennzeichnet (vgl. Karl hat ihn wahrscheinlich verloren, sicher ist das aber nicht.). Negative Satzadverbialia wie nicht, die den rechten Innenrand des Mittelfeldes einleiten, sind hingegen fast immer Teil der Vordergrundinformation:

(2) (Wo hat Karl seinen Geldbeutel verloren?)

Er hat seinen Geldbeutelwahrscheinlichnicht am Bahnhof verloren.

Der rechte Satzklammerteil kann wie in (1) zum Vordergrund oder wie in (2) zum Hintergrund gehören oder sogar die einzige Vordergrundeinheit sein, z. B.:

(3) (Was ist gestern am Bahnhof mit Karls Geldbeutel passiert?)

Karl hat seinen Geldbeutel gestern am Bahnhofwahrscheinlichverloren.(...d. h. er wurde nicht gestohlen.)

Wegen einer wesentlich größeren Stellungsfreiheit im polnischen Satz kann das obige Verfahren zur Abgrenzung der Vorder- und Hintergrundinformation nur bedingt angewendet werden.

Die Grenzmarkierung zwischen Hintergrund- und Vordergrundeinheiten muss immer im Zusammenhang mit der Intonation gesehen werden; im Polnischen ist die Satzmelodie oft das einzige Kriterium zur Abgrenzung der Vorder- und Hintergrundinformation. Falls nicht anders angegeben, wird in den vorliegenden Beispielen immer von einer unmarkierten Lesart ausgegangen, die den Gewichtungsakzent (rot markiert) auf eine Einheit rechts der Hintergrund-/Vordergrund-Grenze legt.

Die typische Informationsstruktur im Mittelfeld, bei der der Gewichtungsakzent auf einer Einheit rechts der Hintergrund-/Vordergrund-Grenze liegt, sieht so aus:

Übung: Hintergrund - Vordergrund

Änderung der Informationsstruktur

Änderungen in der Informationsstruktur können sowohl im Bereich der weniger stellungsfesten Einheiten im Mittelteil als auch im Bereich der besonders stellungsfesten Einheiten an den Innenrändern vorkommen. Ihre Auswirkungen auf die kommunikative Gewichtung innerhalb des jeweiligen Satzes können je nach Stellungsvariabilität der zu verschiebenden Einheit schwach oder stark sein.

Eine schwache Änderung der Informationsstruktur erfolgt, wenn weniger stellungsfeste Einheiten aus dem Hintergrund in den Vordergrund und umgekehrt verschoben werden, z. B.:

(4) (Was ist Karl gestern am Bahnhof passiert?)

Karl hat gestern am Bahnhofwahrscheinlich seinen Geldbeutel verloren.

(4') (Was ist mit Karls Geldbeutel passiert?)

Karl hat seinen Geldbeutelwahrscheinlich gestern am Bahnhof verloren.

Eine schwache Änderung der Informationsstruktur (ohne Zuhilfenahme besonderer intonatorischer Mittel) kann besonders gut durch Nach- bzw. Voranstellung von nicht-pronominalen Komplementen vorgenommen werden, da diese generell weniger stellungsfest sind. Die folgenden Beispiele zeigen Abweichungen von den Prinzipien der Stellung der Komplemente im Mittelfeld in Verbindung mit einer leichten Änderung der Informationsstruktur.

Subjekt im Vordergrund:

Bei Sätzen im Passiv mit Subjekt (werden- bzw. sein-Passiv mit Subjekt) erscheint das Passivsubjekt (fett) – an sich ein typisches Hintergrundelement – häufig direkt vor dem rechten Innenrand, also im Vordergrundbereich (a). Das Passivsubjekt kann aber auch im üblichen Hintergrundbereich stehen (b):

(a) In Deutschland sterben jeden Tag durchschnittlich drei Menschen, weil Organe von Spendern fehlen.

Mit einer neuen Kampagne sollen nach Angaben der Bundesapothekerkammer nun rund eine Million Spender geworben werden.[dpa, 22.09.2008]

(b) Seit die ägyptische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat im Jahr 1979 das historische Friedensabkommen mit Israel in Camp David unterzeichnete,

wird das Land am Nil von den USAmassiv finanziell unterstützt. [Berliner Zeitung, 27.07.2006]

Bei Existenzverben, z. B. existieren, bestehen, sich befinden, stattfinden, entstehen, erscheinen:

(c) Doch gibt es sie noch, die Langeweile? Zu warten, bis etwas passiert? Viel zu selten! Dabei kann man im besonderen bei Kindern beobachten,

dass aus Langeweile ein sehr kreativer Prozess entsteht. [St. Galler Tagblatt, 04.08.1998]

Dativkomplement im Hintergrund:

Bei relationalen Verben (z. B. anpassen, gegenüberstellen, unterordnen, vorziehen) kann die typische Abfolge der Kasuskomplemente, nämlich Akkusativkomplement (Einordnungsgröße) » Dativkomplement (Orientierungsgröße) (wie in (d)) umgestellt werden. Die Orientierungsgröße (fett) wird dann dem Hintergrund zugeordnet (d'):

(d)Er stellte die Erfolge der ersten 100 Tage dem Stillstand und der Reformunfähigkeit der letzten 16 Jahregegenüber.
(d')Er stellte dem Stillstand und der Reformunfähigkeit der letzten 16 Jahre die Erfolge der ersten 100 Tagegegenüber.

Träger belebter Rollen im Vordergrund:

Bei Transaktionsverben (z. B. geben, überreichen, aushändigen) geht es um die Änderung der üblichen Abfolge belebt >> unbelebt (vgl. Stellung der Komplemente im Mittelfeld), wobei dann das Dativkomplement (fett) als typischer Träger einer belebten Rolle nach dem unbelebten Akkusativkomplement steht:

(e) Ein 23jähriger Postbediensteter stahl in den vergangenen Jahren im Postamt Hernals insgesamt acht Kreditkarten und übergab sie seinem Komplicen, einem 29jährigen Arbeitslosen.

Der wiederum händigte das "Plastikgeld" einem weiteren Mittäteraus,

der damit bei Juwelieren Schmuck kaufte. Das Trio ist in Haft. [Neue Kronen-Zeitung, 13.08.1994]

(f) Er [Melzow] zog von Ort zu Ort in westlicher Richtung und war 1945 in Thüringen angelangt, als dieses Land von den Amerikanern besetzt wurde. [...]

Nachdem die Amerikaner Thüringenden Russen überlassen hatten,setzte sich Melzow alias Schneider nach der Bizone ab

[Pinkwart, Heinz (1963): Mord ist schlecht für hohen Blutdruck, 176]

Das ist aber nicht möglich, wenn das Akkusativkomplement (fett) eine Vordergrundeinheit (und meist indefinit realisiert) ist (g). Die Abfolge (g') ist allenfalls im Kontrastfall mit starkem Gewichtungsakzent (den hungernden Ägyptern) möglich:

(g) Später liefern die Amerikaner den hungernden ÄgypternWeizen.[Bildzeitung, 09.06.1967]
(g') *Später liefern die Amerikaner Weizen den hungernden Ägyptern.

Alle durch Umstellung erzeugten Änderungen der kommunikativen Gewichtung können auch durch Verlagerung des Gewichtungsakzents erreicht werden. Akzentuierungen, die von denen in sachlich-neutraler Rede üblichen abweichen, evozieren den Kontrast zu einem im Vortext erwähnten Sachverhalt (vgl. Wortstellung und Intonation). Es gibt also zur Gestaltung der Informationsstruktur eine stellungsorientierte und eine intonatorische Möglichkeit.

  • Der Sprecher kann das Element mit dem stärksten Informationsgewicht an das Ende des Mittelfelds setzen, wobei dann der Gewichtungsakzent automatisch und nicht in besonderer Weise markierend hinzutritt.
  • Der Sprecher kann ein Element im Hintergrundbereich (z. B. am Anfang des Mittelfelds) mit einem besonderen Gewichtungsakzent hervorheben.

Im Polnischen hat die Intonation den Vorrang, über die Stellung der Elemente entscheiden oft stilistisch-euphonische Gründe, die nichts mit der Informationsstruktur zu tun haben.

Übung: Schwache Änderung der Informationsstruktur

Eine starke Änderung der Informationsstruktur liegt vor, wenn es Stellungsveränderungen im prinzipiell viel festeren Vordergrundbereich gibt, der den rechten Innenrand des Mittelfeldes (grün) abdeckt. Ein Beispiel für die Besetzung des rechten Innenrandes:

(5)Bisher hat Griechenland die Partner nichtkonkretum Hilfegebeten.[Financial Times Deutschland (online), 26.03.2010]
negatives Satzadverbiale>>Verbgruppenadverbiale>>Präpositivkomplement

Wenn diese Vordergrundabfolge verändert wird, ändert sich auch die Informationsstruktur. Dies lässt sich beispielhaft an der Stellung der Negationspartikel nicht zeigen. Der spezifische Wirkungsbereich, d. h. der Fokus, der Negationspartikel kann entweder verlagert (6b) oder aufgespalten (7b) werden:

Verlagerung des Fokus (eckige Klammer), z. B.:

(6a) (...) dass er heute nicht [kommt].
(6b) (...) dass er nicht [heute] kommt.

Die Folge der Verlagerung ist, dass eine Hintergrund- zur Vordergrundeinheit wird. Damit kann durch Umstellung und intonatorische Hervorhebung mehr kommunikatives Gewicht auf eine bestimmte Einheit gelegt werden.

Besonders effektiv ist die Aufmerksamkeitslenkung bei einer Kontrastnegation:

Dann endlich das Dossier, und es stellte sich heraus, daß gar nicht Hanna gemeint war, sondern eine Emigrantin gleichen Namens, [...]. [Frisch, Max (1966): Homo faber, 56]

Aufspaltung des Fokus (fast immer in Verbindung mit so):

(7a) (...) weil es mir dort nicht [so besonders gefallen hat].
(7b) (...) weil es mir dort [so besonders] nicht [gefallen hat].

Denn Marianne Pohl [...] will für uns sichtbar werden lassen, was wir ohne sie wahrscheinlich [so] nicht [gesehen hätten]. [Mannheimer Morgen, 19.4.1988, 24]

[...] dass der scheidende und milde aufgelegte SPD-Vorsitzende Willy Brandt [so unrecht] nicht [hat], wenn er der Regierung unterstellt, [...].
[nach Mannheimer Morgen, 5.6.1987, 2; im Original Verbzweitsatz]

s. auch Topologische und intonatorische Aufspaltung.

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