Exemplarische Analyse von Faktorenkombinationen und ihren Interaktionen (binäre logistische Regression)

Exemplarisch untersucht werden hier die Wirkung und die Interaktionen von vier sog. schwachen Faktoren, die laut Abbildung 2 in Wirkung schwacher faktoren im Vergleich – die Ultimabetonung ausgenommen – am stärksten zugunsten von ES wirken. Als fünfter Faktor wird die Vokallänge herangezogen, deren Wirkung bzw. Wirkungsrichtung in der Forschung strittig erscheint (vgl. Vergleich bisheriger Forschungsansätze). Auf die Behandlung der Ultimabetonung muss in den folgenden Analysen verzichtet werden, da die Hervorhebung einer Silbe kaum untersuchbar ist, wenn die Einsilbigkeit im Spiel ist. Die Berücksichtigung der Einsilbigkeit wiederum erscheint unverzichtbar, da sie nach allen bisherigen Analysen als die stärkste Einflussgröße erscheint. Eine eventuell vertretbare Stipulierung einer inhärenten Ultimabetonung bei allen Einsilbern wäre mit Schwierigkeiten bei der Berechnung und Interpretation der Ergebnisse verbunden. Folglich werden folgende unabhängige Variablen (Prädiktorvariablen) in die Rechnung einbezogen:

  1. ‚Silbenanzahl: 1‘ (im Weiteren ‚Einsilber‘),
  2. ‚Sonoritätshierarchie: Plosiv‘ (im Weiteren ‚Plosiv‘),
  3. ‚Konsonantengruppe‘,
  4. ‚Vokalhöhe: tief‘ (d. h. ein a-Laut, im Weiteren ‚Vokaltiefe‘),1
  5. ‚Vokallänge: kurz‘ (im Weiteren ‚Vokalkürze‘).

1 D. h. bei positiver Ausprägung ein a-Laut, bei negativer Ausprägung ein e-, ö-, o-, i-, ü- oder u-Laut.

In allen obigen Fällen handelt es sich um binäre Variablen. Die Ausprägungen werden jeweils mit JA und NEIN kodiert. Untersucht wird deren Einfluss auf die abhängige binäre Variable (Kriteriumsvariable) ES mit den Ausprägungen ES (kodiert als JA) für Fälle wie Randes und S (kodiert als NEIN) für Fälle wie Monats. In Bezug auf die Prädiktorvariablen liegen für diese beiden Genitivnomen folgende Gruppen von Variablenausprägungen vor:

  • Randes: ‚Einsilber‘ : JA, ‚Plosiv‘: JA, Konsonantengruppe: JA ‚Vokaltiefe‘: JA, ‚Vokalkürze‘: JA
  • Monats: ‚Einsilber‘ : NEIN, ‚Plosiv‘: JA, Konsonantengruppe: NEIN ‚Vokaltiefe‘: JA, ‚Vokalkürze‘: JA

Die Nullhypothese ist:

Die Wahl der Genitivendung ist unabhängig von den definierten Prädiktorvariablen und ihren Interaktionen

Die Alternativhypothese lautet entsprechend:

Eine oder mehrere Prädiktorvariablen (oder Kombinationen davon) haben einen signifikanten Einfluss auf die Wahl der Genitivendung

Diese übergeordnete Hypothese beinhaltet bereits eine Reihe von Teilhypothesen, die folgendes Muster haben: Die Wahl der Genitivendung ist abhängig von X. Dabei steht X für eine der Variablen a-e bzw. eine Kombination aus diesen Variablen.

Die Systematisierung von beobachteten Häufigkeitsdaten legte hinsichtlich der Variablen a-e bereits eine Wirkung auf die Wahl der Genitivendung nahe. Dabei waren die Effektstärken, die für jede Variable ohne Rücksicht auf deren mögliche Interaktionen mit anderen Variablen gemessen wurden, unterschiedlich groß. Die Spanne reichte von kaum messbar bei ‚Vokalkürze‘ mit Phi = 0,03 bis mittelgroß bei ‚Einsilber‘ mit Phi = 0,38 (vgl. Abbildung 2 in Wirkung schwacher Faktoren im Vergleich). Da die Variablen a-e miteinander kombiniert auftreten, soll jetzt untersucht werden, wie sie zusammenwirken. Als Erstes steht eine Überprüfung der obigen übergeordneten Hypothese in einem Modell an, in dem alle Faktoren gleichzeitig in die Rechnung eingehen. Die Berechnung erfolgt durch eine binäre logistische Regression (vgl. Jaeger 2008), in der die Effekte der einzelnen Prädiktorvariablen entsprechend ihrem Beitrag zur Gesamtwirkung der Variablenkonstellation ermittelt werden.

Unsere bisherigen Analysen erlauben uns auch schon die Formulierung von weitergehenden, spezifischen Hypothesen, die die Effektrichtung und die Effektstärke der Faktoren betreffen:

  1. Die positiven Ausprägungen aller Variablen wirken zugunsten von ES.
  2. ‚ Einsilber‘ ist die Variable mit dem stärksten Effekt.
  3. ‚Vokalkürze‘ ist die Variable mit dem schwächsten Effekt

Um diese spezifischen Hypothesen zu prüfen, werden in den im Folgenden beschriebenen Regressionsanalysen Faktorenwirkungen mit ihren Richtungen ermittelt, die Signifikanz der Wirkungen geprüft und deren Effektstärke kalkuliert. Die Berechnungen werden mithilfe der Funktion lrm aus dem Paket rms (regression modelling strategies, vgl. Harrell 2013: 72-81) der Statistiksoftware R (R Core Team 2014) durchgeführt. In die Berechnungen gehen zunächst nur die Variablen a-e ein. Das Resultat ist die R-Ausgabe aus Listing 1.

Listing 1: Modell logistischer Regression für ausgewählte „schwache“ Faktoren (Einzelvariablen)

Es zeigt sich, dass alle unabhängigen Variablen höchst signifikant mit der Endungswahl korrelieren: Log-lilkelihood χ2= 369665; df = 5; p<0,0001. Mit Nagelkerkes R2 = 0,339 ist eine Varianzaufklärung von 33,9% gegeben2 , der Konkordanzkoeffizient C = 0,798 zeigt eine gute Vorhersagekraft an und Somers Rangkorrelation Dxy = 0, 596 ist als akzeptabel einzuschätzen.3 Insgesamt sagt das Modell 73% aller Endungsentscheidungen korrekt vorher.

2Wenn man bedenkt, dass in dieses Modell nur fünf der insgesamt 18 Faktoren (vgl. Wirkung schwacher Faktoren im Vergleich) eingehen, die die Varianz zu beeinflussen scheinen, ist das eine sehr beachtliche Aufklärungsrate.

3Zur detaillierten Beschreibung und Interpretation in R berechneter Modelle der binären logistischen Regression vgl. Gries 2008: 285ff.

Die Wirkungsrichtung und -stärke wird durch den Effektkoeffizienten (Coef)4 in der zweiten Spalte des untersten Blocks der R-Ausgabe angezeigt. Ist sein Vorzeichen positiv, heißt das, dass die positive Variablenausprägung der ersten Spalte die Häufigkeit von ES positiv beeinflusst, z. B.: Nimmt die Variable ‚Einsilber‘ den Wert JA an, so steigen die Chancen auf ein Genitivnomen mit der Endung ES. Vier Variablen verhalten sich demzufolge gemäß Hypothese 1. Eine einzige Ausnahme ist mit ‚Vokalkürze‘ gegeben, der Variable, zu deren Wirkung in der bisherigen Forschung ohnehin widersprüchliche Auffassungen aufgekommen waren. Der negative Koeffizient zeigt an, dass die positive Ausprägung der Variable die Chancen auf ein Genitivnomen mit der Endung ES senkt.

4Es handelt sich konkret um den natürlichen Logarithmus der Odds Ratio (ln) für die positive Ausprägung des Faktors.

Je weiter der Wert des Koeffizienten von 0 entfernt ist, desto stärker ist der Effekt. Aus dem Modell wird auf Anhieb ersichtlich, dass der Effekt der Variable ‚Einsilber‘ entsprechend Hypothese 2 am stärksten ist. Der Effekt der positiven Ausprägung von ‚Vokalkürze‘ aber zeigt nicht nur in die „falsche“ Richtung. Er ist auch unerwartet groß, sodass seine Effektstärke (die Effektrichtung beiseitegelassen) knapp die von ‚Konsonsonantengruppe‘ übersteigt, was Hypothese 3 widerspricht.

Die Größe der einzelnen Effekte wird greifbarer, wenn man den Effektkoeffizienten für jede Variable in diesem Modell in die Odds Ratio (vgl. Gries 2008: 289) umwandelt und betrachtet, wie sich die Chancen auf ES verändern, wenn die jeweilige Variable ihre positive Ausprägung annimmt (vgl. Tabelle 1).

FaktorOdds RatioChancenzuwachs
Einsilber9,69869%
Plosiv2,30130%
Konsonantengruppe2,03103%
Vokaltiefe2,64164%
Vokalkürze0,47-53%

Tabelle 1: Odds Ratio und Chancenzuwachs für ausgewählte „schwache“ Faktoren (Einzelvariablen) im Regressionsmodell aus Listing 1

Bei ‚Einsilber‘ ist die Endung ES bei der Ausprägung JA 9,69-mal wahrscheinlicher als bei der Ausprägung NEIN. Anders ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit für ES erhöht sich um (9,69-1)*100 = 869%, wenn ‚Einsilber‘ den Wert JA annimmt. Alle anderen Einzelvariablen folgen ‚Einsilber‘ – was ihre Stärke angeht – in einem größerem Abstand, wobei das Schlusslicht, wie bereits erwähnt, die Variable ‚Vokalkürze‘ bildet, die bei der Ausprägung JA bereits die Endung S wahrscheinlicher macht, und zwar um 53%. Die logarithmierten Odds Ratios (log10), die den Vergleich der Variablen untereinander wieder erleichtern und an die Effektstärkeberechnungen aus Wirkung schwacher Faktoren im Vergleich anknüpfen, sind in Abbildung 1 zusammengestellt.

Abb. 1. Effektrichtung und Effektstärke der „schwachen“ Faktoren im Regressionsmodell aus Listing 1: logarithmierte Odds Ratios 5

5In Klammern werden Variablenbezeichnungen aus Wirkung schwacher Faktoren im Vergleich angegeben.

Alles in allem ist in dieser Analyse des Verhaltens eines ganzen Faktorenbündels ein Bild entstanden, das sich im Wesentlichen nur an einem Punkt von dem aus Wirkung schwacher Faktoren im Vergleich unterscheidet: ‚Vokalkürze‘. Der Effekt der positiven Ausprägung dieser Variable erscheint jetzt zwar immer noch klein, aber deutlich stärker als zuvor, vor allem aber wirkt er in die entgegengesetzte Richtung. Dass vor konsonantischem Auslaut kurze Vokale zur stärkeren S-Präferenz führen als lange Vokale, entspricht im Übrigen den Feststellungen Szczepaniaks (2010: 112) und stützt nicht die auf Pfeffer/Morrison (1979, 1984) zurückgehenden Bemerkungen Fehringers (2011: 95f.).

Im obigen Regressionsmodel wurde zwar berechnet, wie die Gesamtwirkung mehrerer Variablen auf die Einzelvariablen zu verteilen ist. Die Kombinationen von Variablen wurden aber noch nicht als eigenständige Prädiktorvariablen in die Rechnung einbezogen. Existieren signifikante Interaktionen zwischen den Faktoren? Wie ist die Wirkung von Faktorenkombinationen einzuschätzen wie etwa beim gleichzeitigen Vorliegen von Einsilbigkeit, Wortausgang auf Konsonantengruppe und Plosivauslaut wie in Rand, Licht, Korb, Markt? In einer weiteren Regressionsanalyse wird ein neues Modell berechnet, in dem nicht nur die Haupteffekte der einfachen Variablen, sondern auch die Interaktionen von Variablenkombinationen zur Prüfung anstehen. Es soll zu einer feingliedrigeren Faktorenstruktur führen und den Beitrag der Interaktionen greifbar machen.

Da die Interpretation von Interaktionen sehr komplex zu werden droht, konzentrieren wir uns auf die Zweierkombinationen mit dem stärksten Faktor ‚Einsilber‘ und arbeiten zusätzlich die Interaktion einer Dreierkombination auf, in der ‚Einsilber‘ mit den beiden übrigen, in der Forschung gut etablierten Faktoren – ‚Konsonantengruppe‘ und ‚Plosiv‘ – zusammenwirkt. Es spricht zunächst nichts dagegen anzunehmen, dass bei in die gleiche Richtung wirkenden Einflussgrößen es zur Effektpotenzierung kommen kann. Unsere spezifischen Hypothesen lauten also:

  1. Die Effektrichtungen und die Effektstärkeverhältnisse ähneln bei Haupteffekten denen des Modells ohne Interaktionen.
  2. Der ES-Effekt bei Einsilbern wird in Interaktionen gesteigert, an denen positive Ausprägungen von Faktoren beteiligt sind, deren Haupteffekt ebenfalls in Richtung ES zeigt.
  3. Der ES-Effekt bei Einsilbern wird in Interaktionen geschwächt, an denen positive Ausprägungen von Faktoren beteiligt sind, deren Haupteffekt in Richtung S zeigt.

Die Berechnung in R ergibt das Modell in Listing 2.

Listing 2: Modell logistischer Regression für ausgewählte „schwache“ Faktoren (Einzelvariablen) und ihre Kombinationen

Erneut korrelieren alle Variablen – einschließlich der Interaktionen – höchst signifikant mit der Endungswahl und das Modell erweist sich statistisch als belastbar (vgl. die Informationen des zweiten Blocks der Ausgabe; es werden 74% aller Endungsentscheidungen korrekt vorhergesagt). Bei den Haupteffekten ähneln die Effektrichtungen und Effektstärkeverhältnisse grob6 denen des ersten Modells (vgl. Hypothese 4). Bei der Überprüfung der Interaktionen tauchen aber drei klare Abweichungen von unseren Hypothesen auf: Hier zeigt das Vorzeichen des Effektkoeffizienten (Coef) an, ob die Interaktion den Effekt der beteiligten Variable, die stärker zugunsten von ES wirkt, steigert oder senkt, und so ist es unvereinbar mit Hypothese 5, dass die Interaktionen ‚Einsilber=ja * Konsonantengruppe=ja ‘ und ‚Einsilber=ja * Vokaltiefe=ja ‘ zu negativen Effekten führen, und mit Hypothese 6, dass die Interaktion ‚Einsilber=ja * Vokalkürze=ja‘ zu einem positiven Effekt führt.

6Knapp um die Hälfte schwächer erscheint jetzt ‚Plosiv‘.

Die restlichen Interaktionen verhalten sich hypothesenkonform. Der ES-Effekt potenziert sich bei der Interaktion positiver Variablenausprägungen, die in die gleiche Richtung wirken (vgl. Hypothese 5), und zwar in den Kombinationen aus:

  • ‚Einsilber‘ und ‚Plosiv‘
  • ‚Plosiv‘ und ‚Konsonantengruppe‘
  • ‚Einsilber‘, ‚Plosiv‘ und ‚Konsonantengruppe‘

Dabei erscheint in der ersten Kombination der Effekt der Einzelvariable ‚Plosiv‘ in der Interaktion sogar nahezu im herkömmlichen Sinne additiv verrechnet (in Listing 2 gleicht der Effektkoeffizient der Interaktion, der in dem Fall die Steigerung des Effekts von ‚Einsilber‘ anzeigt, beinahe dem Effektkoeffizient der Einzelvariable ‚Plosiv‘). Allerdings ist diese Zweierinteraktion in der Dreierinteraktion enthalten. Die Effekte sollten daher nur im Rahmen dieser ‚höherwertigen’ Interaktion interpretiert werden (siehe unten).

Wie dieses bisher nur zum Teil nachvollziehbare Ergebnis im Einzelnen zustande kommt, zeigt Abbildung 2.

Abb. 2: Interaktionseffekte im Modell aus Listing 2.7

7Abgetragen sind die vom Modell geschätzten, rohen Wahrscheinlichkeiten des Auftretens der ES-Endung (y-Achse). Die interagierenden Faktoren sind über Abschnitte auf der x-Achse und den Geradentyp dargestellt (oben). Im Falle der Dreierinteraktion (unten) tritt zusätzlich eine Aufspaltung in Teildiagramme (Konsonantengruppe: nein vs. Konsonantengruppe: ja) hinzu.

Die beiden ersten Diagramme illustrieren das nicht hypothesenkonforme Zusammenwirken von Variablen in Zweierinteraktionen. Im ersten Diagramm wird die Wirkung von ‚Einsilber‘ durch ‚Vokaltiefe‘ moduliert, d. h. die zweitstärkste, in die gleiche Richtung wirkende Einzelvariable. Der Zuwachs des ES-Anteils beim Eintritt der positiven Ausprägung der Variable ‚Einsilber‘ wird dabei kleiner, sobald in der letzten Silbe ein tiefer Vokal erscheint (die Steigung der roten, gestrichelten Linie ist geringer als jene der schwarzen, durchgezogenen Linie). Dies erklärt das unerwartete, negative Vorzeichen des Effektkoeffizienten bei der Interaktion ‚Einsilber * Vokaltiefe‘ in Listing 2, und ändert offensichtlich nichts an der Tatsache, dass das Erscheinen eines tiefen Vokals in der letzten Silbe grundsätzlich mit dem Anstieg des ES-Anteils einhergeht (die rote, gestrichelte Linie befindet sich konsistent über der schwarzen, durchgezogenen Linie). In der Zweierinteraktion, die im zweiten Diagramm dargestellt wird, interagieren die Variablen mit entgegengesetzten Wirkungsrichtungen. Der Zuwachs des ES-Anteils beim Eintritt der positiven Ausprägung von ‚Einsilber‘ ist hier geringfügig größer, wenn in der letzten Silbe ein kurzer Vokal steht (die rote, gestrichelte Linie ist minimal steiler als die schwarze, durchgezogene Linie). Unberührt bleibt dabei unsere noch frische Erkenntnis, dass der ES-Anteil grundsätzlich sinkt, sobald in der letzten Silbe ein kurzer Vokal auftritt (die rote, gestrichelte Linie bleibt immer unter der schwarzen, durchgezogenen Linie).

Insgesamt zeigen die beiden Zweierinteraktionen also, dass der ES-fördernde Einfluss der Einsilbigkeit auf der Folie einer in die entgegengesetzte Richtung wirkenden Einflussgröße deutlicher wird als auf der Folie einer Einflussgröße, die ebenfalls relativ stark ES fördert. Dieses Zwischenergebnis mag nach obigen Erläuterungen zwar einleuchten, entspricht aber wie gesagt nicht unseren eingangs formulierten Hypothesen.

In die durch zwei Teildiagramme illustrierte Dreierinteraktion gehen außer ‚Einsilber‘ die Variablen, ‚Plosiv‘ und ‚Konsonantengruppe‘ ein, deren Haupteffekte bei positiver Ausprägung zugunsten von ES wirken. Der Zuwachs des ES-Anteils beim Eintritt der positiven Ausprägung von ‚Einsilber‘ fällt grundsätzlich größer aus, wenn im Auslaut ein Plosiv steht (die rote, gestrichelte Linie ist in beiden Teildiagrammen steiler als die schwarze, durchgezogene Linie) – dies scheint allerdings nicht zu den gerade gezogenen Schlüssen aus der Analyse der Zweierinteraktionen zu passen. Das Erscheinen einer Konsonantengruppe am Wortende senkt wiederum den Zuwachs des ES-Anteils beim Eintritt der Einsilbigkeit (die Linien im rechten Teildiagramm sind weniger steil als ihre Pendants im linken Teildiagramm) – somit verhält sich die Variable ‚Konsonantengruppe‘ wie der Faktor ‚Vokaltiefe‘ weiter oben und die Interaktion ‚Einsilber * Konsonantengruppe‘ erhält in Listing 2 dementsprechend einen negativen Koeffizienten. In Konsonantengruppen am Wortende hat aber das Erscheinen eines Plosivauslauts durchgehend (also auch bei Mehrsilbern) einen merklichen Anstieg des ES-Anteils zur Folge (im rechten Teildiagramm liegt die rote, gestrichelte Linie immer deutlich über der schwarzen, durchgezogenen Linie). Diese Tatsache sorgt letztendlich doch dafür, dass die Interaktion der positiven Ausprägungen aller drei Variablen knapp einen positiven Effekt erreicht (vgl. den extrem kleinen Effektkoeffizienten der Dreierkombination in Listing 2).

Auf welchen Unterschied zwischen einerseits ‚Plosiv‘ und andererseits ‚Konsonantengruppe‘ und ‚Vokaltiefe‘ könnte es bei den unterschiedlichen Effektrichtungen der entsprechenden Zweierinteraktionen mit ‚Einsilber‘ ankommen? Betrachtet man in Listing 2 die Koeffizienten der Einzelvariablen, so ist der ES-fördernde Effekt bei einem Plosivauslaut um ca. 36% kleiner als bei einer Konsonantengruppe und um ca. 61% kleiner als bei einem tiefen Vokal in der letzten Silbe. Es scheint also, dass nicht nur die in die entgegengesetzte Richtung wirkenden Einflussgrößen wie die Vokalkürze den ES-fördernden Einfluss der Einsilbigkeit deutlicher werden lassen können, sondern zusätzlich auch solche, die wie Plosivlaut nur schwach zugunsten von ES wirken. Die Konsonantengruppe am Wortende und der tiefe a-Vokal in der letzten Silbe, die schon selbst den ES-Anteil stärker anheben, schwächen jedenfalls die Wirkung der Einsilbigkeit etwas, ganz so, als ob der ES-Anteil nach oben limitiert wäre.

Es darf hier nicht verschwiegen werden, dass unerwartete Effekte durch Interaktionen, schließlich auch davon herrühren können, dass die hier an die Forschungstradition angelehnten Variablenformulierungen wie ‚Konsonantengruppe‘ bereits komplexe formale Phänomene umfassen. So kann die Konsonantengruppe, eine sog. komplexe Koda, im Deutschen am Nomenende bis zu vier Konsonanten umfassen (z. B. Arzt – /aːrtst/), die jeweils unterschiedliche Konsonantentypen (Liquid, Nasal, Frikativ, Affrikate, Plosiv) repräsentieren können und unterschiedlich (allerdings meist nach abnehmender Sonorität) angeordnet sein können (vgl. dazu Zifonun et al. 1986, 1: 184ff.). Dass unterschiedliche Konsonantenkombinationen eigentlich unterschiedliche Auswirkungen auf die Endungswahl haben, ist zu vermuten (dazu Sonoritätshierarchie und Kodakomplexität). Es ist denkbar, dass eine Vorgehensweise, in der die nominalen Variablen ‚Konsonantengruppe‘ und ‚Plosiv‘ in einer mehrstufigen ordinalskalierten Variable aufgehen würden, die man ‚Kodakomplexität‘ oder ‚Obstruenz‘ nennen könnte, dem Sprachgebrauch angemessener wäre. Und schließlich ist es bei der Fülle der in der Forschung vorgeschlagenen Faktoren der Endungsvariation sehr wahrscheinlich, dass die in diesem Kapitel untersuchten Variablen noch mit anderen Variablen in signifikanter Weise interagieren. Diese noch offenen Fragen können in unserer exemplarischen Analyse aber nicht mehr geklärt werden und bleiben Forschungsaufgaben.

Insgesamt betrachtet legten die beiden Regressionsmodelle offen, wie komplex sich die Wirkung von Faktorengruppen in unserem Fall aufbaut. Korrigiert wurden die Erkenntnisse aus Wirkung schwacher Faktoren im Vergleich in dem Faktoren einzeln geprüft wurden, im Wesentlichen nur an einer Stelle – ein kurzer Vokal in der geschlossenen letzten Silbe zeigt jetzt eine stärkere und anders, und zwar auf S, ausgerichtete Wirkung. Vor allem aber wurde unser Wissen um das Verständnis der Interaktionen zwischen den Faktoren erweitert. Es zeigte sich, dass in unserem Material die ES-fördernde Wirkung der Einsilbigkeit, durch den kurzen Vokal, den Plosivauslaut sowie die Kombination aus Plosivauslaut und Konsonantengruppe gesteigert wird, aber durch die Konsonantengruppe alleine wie auch durch den tiefen Vokal geschwächt wird. Dies hat kaum Auswirkungen auf die isolierte Betrachtung der ohnehin am stärksten wirkenden Einsilbigkeit, muss aber bei Einschätzungen der übrigen, weit schwächeren Einflussgrößen immer bedacht werden. Interessanterweise lässt sich der ES-Effekt der Einsilbigkeit durch Kombinationen mit anderen Faktoren offensichtlich nur noch geringfügig steigern. Zu einer Potenzierung des ES-Effekts scheint es schließlich in der Interaktion des Plosivauslauts mit der Konsonantengruppe am Wortende zu kommen – und zwar sowohl bei Ein- als auch Mehrsilbern. Es bleibt festzuhalten, dass sich die Bedeutung der Einsilbigkeit für die ES-Wahl eindrucksvoll bestätigt und dass die übrigen hier untersuchten Faktoren für die Endungswahl ebenfalls relevant, aber in der Gesamtkonstellation der Variationsfaktoren nicht überzubewerten sind.

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Marek Konopka
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