Propädeutische Grammatik

Hat die Rotkreuzschwester oder die Rote-Kreuz-Schwester oder die Rotes-Kreuz-Schwester den Grüne-Bohnen-Eintopf gekocht? – Satzteile in Komposita

Rotkreuzschwester, Rote-Kreuz-Schwester und Rotes-Kreuz-Schwester sind Komposita. Sie sind wie die meisten Komposita aus zwei Einheiten zusammengesetzt: Einem Grundwort (Schwester) und einer semantisch näher bestimmenden Einheit. Diese Einheit ist in unserem Fall das Kompositum Rotkreuz bzw. ein Satzteil aus rot und Kreuz.

Rotkreuzschwester

Rote-Kreuz-Schwester

Rotes-Kreuz-Schwester

Und hier fangen die Probleme gleich an: Zum einen, weil das Kompositum Rotkreuz für Rotes Kreuz nicht etabliert ist. Darf man es dann überhaupt verwenden? Zum anderen, weil als Satzteil einmal (das) Rote Kreuz, einmal Rotes Kreuz verwendet wird. Was ist denn richtiger?

Zunächst: Alle drei Varianten sind belegbar, unter anderem in den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache. Es überwiegt mit 46 Belegen Rotkreuzschwester gegenüber 6 mal Rote-Kreuz-Schwester und keinem Rotes-Kreuz-Schwester, aber einer Handvoll Belegen zu anderen Kombinationen mit Rotes-Kreuz-, etwa Rotes-Kreuz-Ärztin:

Alfred (20) wehrte sich bei einer anderen Gelegenheit gegen angebliche Anpöbelung in einer Disco mit einem Pfefferspray und erwischte dabei neben sechs Opfern auch noch eine Rotkreuzschwester, die helfen wollte
[Tiroler Tageszeitung, 29.11.2000]
Die Blechverkleidung über den Türen wird hochgeklappt, und ein Chor aus sechs Rote-Kreuz-Schwestern tritt auf
[die tageszeitung, 19.9.1997, S. 26]
Nach Angaben der für die Qualitätssicherung zuständigen Rotes-Kreuz-Ärztin Gabriela Henn werde bereits seit Monaten fieberhaft nach einer Optimierung der Labortests gesucht
[Die Presse, 3.7.1998]

Auch in Google finden sich am 29.9.2007 nur 6 Belege zu Rotes-Kreuz-Schwester, etwa:

Obwohl seit August 1914 ständigen politischen Anfeindungen ausgesetzt, arbeitete Daisy als Rotes-Kreuz-Schwester auf Lazarettzügen in Frankreich und erlebte das Kriegsende in einem österreichischen Lazarett im Serbien
[http://de.wikipedia.org/wiki/Daisy_von_Pless].

Rotkreuzschwester ist also offenbar die etablierteste Form; auffallen kann man mit ihr folglich am wenigsten.

Rotkreuzschwester

Dass Rotkreuz kein etabliertes Kompositum ist, hat keine systematischen Ursachen, denn Komposita dieses Typs sind ja durchaus bildbar: Rotwein, Rotkohl. Und auch Rotkreuz wird gebildet, allerdings steht es dann für etwas anderes. Vgl. Wikipedia. Die Ursachen liegen in der Norm. Obwohl wir im Prinzip die Möglichkeit dazu haben, bilden wir im Deutschen nicht überall Komposita aus Nomina und attribuierenden Adjektiven. Vgl. Eichinger [2000, S. 54ff]. Rotwein und Rotkohl haben sich durchgesetzt, Rothut, Rotkrawatte und Rotfelsen klingen dagegen gewöhnungsbedürftig.

Allerdings gibt es allenthalben speziell für die Komposition gebildete Formen. So kommt Rotkreuz für 'Rotes Kreuz' frei nicht vor, aber häufig in Komposita wie Rotkreuzschwester. So wird auch Blaublut ausschließlich in Komposita verwendet:

Denn öffentliche Verlautbarungen der Prinzessin sind derart selten, dass japanische Blaublut-Paparazzi sich die Zeit damit vertreiben, Worte der Prinzessin zu zählen.

Rote-Kreuz-Schwester und Rotes-Kreuz-Schwester

Bei vielen Kombinationen aus Nomen und attribuierendem Adjektiv wird keine Kompositionsform gebildet; so ist etwa Weißhaus unüblich. Stattdessen wird ein Satzteil verwendet, deren Satzteilcharakter unter anderem auch in der Grafie mit Durchkoppelungsbindestrich sichtbar gemacht wird: Weißes-Haus-Sprecher:

Die Satzteile können in zwei Formen verwendet werden: der unbestimmten Form (Rotes Kreuz) und der bestimmten Form (das Rote Kreuz). Ist das Nomen ein Femininum (Eminenz), sind beide Formen identisch (Graue Eminenz, die Graue Eminenz). Bei Maskulina (Vorhang) und Neutra (Kreuz) dagegen unterscheiden sie sich (Eiserner Vorhang, der Eiserne Vorhang, Rotes Kreuz, das Rote Kreuz). Beide Formen sind möglich; Sprecherschreiber variieren entsprechend:

... geht es um weit mehr, als eine "bloß semantische Unterscheidung" (Weißes-Haus-Sprecher Fitzwater) zwischen den Begriffen "Embargo", "Blockade" oder "Quarantäne"
[die tageszeitung, 18.8.1990, S. 9]
Die große Frage ist aber nun: Was wusste das Weiße Haus? Weiße-Haus-Sprecher McClellan hatte zunächst behauptet, er habe nicht gewusst, dass sich Guckert unter falschem Namen akkreditiert habe
[Berliner Zeitung, 22.2.2005, S. 30].
Nicht einmal die "Graue-Eminenz-Rolle" nahm er für sich in Anspruch
[Frankfurter Allgemeine, 21.11.2001]
Schon früher konnte man beobachten, daß die wahren Stauverursacher jene Autofahrer waren, die sich nicht an das jeweilige Grüne-Welle-Tempo hielten
[Züricher Tagesanzeiger, 4.7.1998, S. 63]
Insofern spiegelt die heimliche Große-Koalitions-Debatte im Elfenbeinturm Bonn recht genau wider, was im Elfenbeinturm mancher Zeitgenossen gedacht wird
[Die Zeit, 5.1.1996, S. 3]
Zehn Tage später, am 12. Mai 1945, sandte der britische Premierminister Winston Churchill ein Telegramm an den amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman, das später als "Eiserner-Vorhang-Telegramm" berühmt wurde
[Die Presse, 29.5.1999]
Welch' ein Glitzern lag 1989 in den Äuglein der Hansestadt-Elite, die jahrzehntelang von der Eiserne-Vorhang-Depression gebeutelt war
[die tageszeitung, 3.9.1996, S. 21].

Fazit

Rotkreuzschwester, Rote-Kreuz-Schwester und Rotes-Kreuz-Schwester sind übliche Varianten. Sprecherschreiber verwenden meist die erste, weniger häufig die zweite, am seltensten die dritte Variante.

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Autor(en)
Elke Donalies
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