Propädeutische Grammatik

Fugenelement

Wortbildungsprodukte bestehen im Deutschen vor allem aus Wörtern, Konfixen und Wortbildungsaffixen, die miteinander kombiniert werden.

Hutschachtel
Hochzeitstorte
Thermometer
mehrheitsfähig
öffentlich
identisch
bereden

Zwischen den Einheiten, etwa zwischen Hut und Schachtel, befindet sich die Fuge.

Erste EinheitFugeZweite Einheit
Hut--schachtel

Die Fuge ist meist leer wie bei Hutschachtel, identisch, bereden, mitunter aber durch ein Fugenelement ausgefüllt wie bei Hochzeitstorte, Thermometer, mehrheitsfähig, öffentlich.

Erste EinheitFugeZweite Einheit
Hochzeit--s--torte
Fugenelemente finden sich vor allem in nominalen und adjektivischen Komposita wie Hochzeitstorte, mehrheitsfähig. Vgl. Kompositionsfugenelement. Außerdem kommen sie in expliziten Derivaten vor. Dort treten sie zwischen Basis und Suffix wie in öffentlich, Kongolese. Vgl. Derivationsfugenelement.

In der Forschungsliteratur werden Fugenelemente häufig sehr viel weiter gefasst als hier.

Dort, aber nicht hier werden als Fugenelemente zusätzlich alle Einheiten verstanden, die im Flexionsparadigma der ersten Einheit vorhanden sind, etwa das es in Sohnespflicht oder das s in Gehaltserhöhung, das im Flexionsparadigma als Genitivmarker vorhanden ist: Pflicht des Sohnes, Erhöhung des Gehalts. Ebenfalls das e in Ärztehaus, das er in Bücherregal oder das en in Ionenaustausch, das als Pluralmarker zu erkennen ist: Haus für Ärzte, Regal für Bücher, Austausch von Ionen. Ob Ersteinheiten von Komposita wie Sohnespflicht Wortformen sind, ist umstritten; Genitivformen in Komposita gelten allgemein als defunktionalisiert. Vgl. Zifonun 2010.

Vgl. Fugenelement oder Flexionsaffix?

Ebenfalls nicht als Fugenelement wird hier das e in Komposita mit verbaler Ersteinheit verstanden wie Haltestelle, Hebebühne, Liegestuhl, Lösegeld, Redeverbot, werbewirksam: Mit Gallmann 1999, 185 wird vielmehr angenommen, dass mit dem relativ regelmäßigen e bei Verbstämmen auf b (heb), d (red), g (lieg), s (lös) oder t (halt-) eine Stammvariante vorliegt "und nicht ein eigentliches Fugenelement".

Fugentypen

Nach der hier favorisierten Definition beschränken sich die Fugen auf vier Typen.

  • s-Fugen
  • i-Fugen
  • o-Fugen
  • t-Fugen

s-Fuge

Am meisten wird das einheimische Fugen-s verwendet: Hochzeitstorte, Sehnsuchtstränen, Arbeitseifer. Die Verwendung des Fugen-s richtet sich nach der ersten Einheit. Regelmäßig tritt es nach ersten Einheiten mit bestimmten Suffixen auf.

SuffixBeispiel
heitMenschheitstraum
mehrheitsfähig
ionKommunionsgeschenk
spekulationsfrei
itätPlausibilitätsprüfung
banalitätsverdächtig
keitHeiterkeitsausbruch
freundlichkeitsaversiv
schaftFreundschaftsbeweis
mannschaftstauglich
ungBedrohungsarsenal
deutungsbegierig

i-Fuge

Das aus dem Lateinischen entlehnte Fugenelement i wird extrem selten in Kombinationen, die nur aus Konfixen bestehen, verwendet: Stratigraphie, Plastinaut. Es ist gegenwärtig in der deutschen Standardsprache allerhöchstens schwach vital zu nennen.

o-Fuge

Häufiger ist das ebenfalls entlehnte Fugen-o: Thermometer, anglophil, morphosyntaktisch. Auch Wörter aus Konfixen und einheimischen Wörtern werden mit o verfugt: Filzokratie, Thermojacke, tütophob. Während bei der Wortbildung mit ausschließlich einheimischen Einheiten die erste Einheit den Einsatz des Fugenelements steuert (Freundschaftsbeweis), richtet sich der Einsatz des Lehn-o offenbar nicht nur nach der ersten, sondern ebenso nach der zweiten Einheit: Es wird verwendet, ganz gleich, ob die erste oder die zweite Einheit entlehnt ist: Filzokratie, Thermojacke.

Endet die zweite Einheit auf o, fällt das Auslaut-o mit dem Fugen-o zusammen: Geologie, egoman.

t-Fuge

Nur bei bestimmten Adjektivderivaten findet sich das einheimische Fugen-t: öffentlich, gelegentlich, namentlich, hoffentlich, ordentlich.

Semantische Eigenschaften

Fugenelemente sind im Gegensatz zu allen anderen Wortbildungseinheiten semantisch leer, sie bedeuten nichts. Sie haben ausschließlich morphologische Funktionen.

Funktionen

Vielleicht helfen Fugenelemente strukturieren: So wird in der Forschungsliteratur darauf aufmerksam gemacht, dass auf simplizische Einheiten häufig kein Fugenelement folgt: Zeitmaß, Fahrtkosten, Sichtblende, Schriftbild, während komplexe Einheiten durch ein Fugenelement markiert werden: Hochzeitstorte, Abfahrtszeit, Übersichtsplan, Überschriftszeile. Vgl. Gallmann 1999, Fuhrhop 2000. Für eine Strukturierungsabsicht spricht, dass häufig zusätzlich ein Bindestrich gesetzt wird.

Schon mal Probesitzen können diejenigen, die sich für das zusätzliche Freitags-Abonnement interessieren.
(Rhein-Zeitung 8.8.2009, o. S.)

Zumindest drei Monate vor der Hochzeit sollen auch Fragen nach der Hochzeitsreise, der Gäste, der Musiker und der Hochzeits-Wunschliste geklärt sein.
(Salzburger Nachrichten 8.4.1992, o. S.)

Vielfach ist zu lesen, Fugen dienten der leichteren Aussprache. Warum allerdings Hochzeitstorte besonders leicht auszusprechen sein soll und warum es dann nicht auch Stadtstor heißt, erklärt dieses Argument nicht. Ein plausibles euphonisches Prinzip ist dagegen die "rhythmische Optimierung" (Nübling/​Szczepaniak 2009, 203). Besonders sollen phonologisch auffällige Komposita, deren erste Einheiten auf bestimmte Suffixe enden, markiert oder repariert werden. Vgl. auch Vorhersage von Fugenelementen in nominalen Komposita.

Zusätzliche Literatur in Auswahl

Ribeiro 1996; Fuhrhop 2000; Wegener 2003; Nübling/​Szczepaniak 2009; Donalies 2011.

Zum Text

Autor(en)
Elke Donalies
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