Die Feinabstimmung von Nominalphrasen
Jede Nominalphrase kann weit über das hinaus verfeinert werden, was bereits mit dem zentralen Nomen (ihrem Kopf) und - soweit erforderlich - dem Artikel zu leisten ist. Formal werden die Mittel, die für eine Feinabstimmung verfügbaren sind, durchweg als Attribute klassifiziert. Ihre Verwendungsbedingungen und Wirkungen unterscheiden sich zum Teil beträchtlich.
Mit der Feinabstimmung einer Nominalphrase kann grundsätzlich zweierlei erreicht werden:
- eine präzise Charakterisierung, die es einem Hörer oder Leser erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen soll nachzuvollziehen, wovon die Rede sein soll
- zusätzliche Information über den ohnedies bereits eindeutig bestimmten Gegenstand der Rede
Im ersten Fall wird häufig pauschal von restriktivem Gebrauch der Attribute gesprochen, im zweiten von nicht-restriktivem oder appositivem Gebrauch. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass diese Unterscheidung nicht alle Formen der Attribution ganz korrekt erfasst. Sie trifft bei Attributen zu, mit denen prinzipiell eine Subklassifikation dessen zu erreichen ist, was mit der Nominalphrase ohne das entsprechende Attribut zu bestimmen wäre. Aber nicht jedes Attribut wirkt subklassifizierend.
Mit Blick auf ihre Wirkung lassen sich im Wesentlichen drei Verfahren der Feinabstimmung mittels Attribut unterscheiden:
Hinzu kommt als besonders knifflige Sonderfälle die Verwendung von attributiven Adjektiven wie falsch-, gefälscht-, unecht-, halb-, sowie verneinte Existenzaussagen in Relativsätzen.
Subklassifikation durch Angabe weiterer Eigenschaften
Mit minimalen Nominalphrasen werden Gegenstände bezeichnet, auf welche die Charakterisierung zutrifft, die mit dem Kopfnomen dieser Phrasen zu geben ist. Ein Pinguin, Pinguine und die Pinguine etwa dienen zur Bezeichnung eines bzw. mehrerer Gegenstände, auf die zutrifft, dass sie zur Klasse der Pinguine gehören. Solche Bezeichnungen können bereits ausreichen, um klarzustellen, wovon die Rede sein soll, aber oft genug werden sie zu allgemein, zu pauschal, zu wenig präzise sein, um für einen gegebenen Hörer oder Leser genau das zu bestimmen, was man meint. So würde es etwa wenig weiterhelfen, wollte man das in diesem Bild markierte Tier einfach als "der Pinguin" oder "ein Pinguin" bezeichnen:
Damit Hörer oder Leser unter solchen Voraussetzungen nachvollziehen können, was gemeint ist, muss die Beschreibung der Gegenstände, die mit der Nominalphrase gegeben wird, so abgefasst werden, dass sie unter den gegebenen Umständen nur noch auf den Gegenstand zutrifft, der gemeint ist. Im Fall dieses Bildes wäre dies etwa dadurch zu erreichen, dass man die Beschreibung um eine Ortsbestimmung erweitert:
der zweite Pinguin von links
oder
der vierte Pinguin von rechts
Beim nächsten Bild bietet sich eine andere Strategie an, obwohl auch hier eine Ortsbestimmung möglich wäre:
Da sich hier ein Tier offensichtlich durch sein Verhalten von allen andern unterscheidet, kann man es über dieses Verhalten bestimmen:
der Pinguin, der ins Wasser springt
Grundsätzlich stehen für solche Subklassifikationen im Rahmen einer Nominalphrase die verschiedensten Strategien zur Verfügung. Was immer geeignet ist, einen Gegenstand zu charakterisieren, kann auch in dieser oder jener Form im Rahmen einer Nominalphrase genutzt werden. Die Mittel hierfür sind praktisch unbegrenzt und können zudem vielfältig kombinierte werden.
Hier eine - kleine - Auswahl gängiger Vorgehensweisen, jeweils mit einschlägigen Beispielen:
Gesichtspunkt der Klassifikation | Beispiele |
Ortsbestimmung | das Haus am See, die Kirche in der Stadtmitte |
Zielbestimmung | der Zug nach Gailingen, die Fahrt zur Großmutter |
Herkunftsbestimmung | Butter aus Holland, Käse von glücklichen Ziegen |
Zeitbestimmung | ein Haus aus der Gründerzeit, ein Brot von gestern, der Blick in die Zukunft |
Serialisierung | seine dritte Ehefrau, meine jüngere Cousine |
Kausalbestimmung | ein Mord aus Eifersucht, eine Vertretung krankheitshalber |
Zweckbestimmung | ein Messer zum Kartoffelschälen, ein Mann für's Leben, ein Beispiel dafür |
Zugehörigkeit | ein wahres Kind seines Vaters, dessen Wohnung |
Zusammensetzung | ein Schrank aus Eichenholz, ein hölzernes Pferd |
Vergleich | ein Wein wie Essig, eine Visage wie ein Schwerverbrecher |
Farbe | ein rotes Tuch, ein grau-grün gestrichenes Gartentor |
Die verschiedenen Verfahren der Subklassifikation lassen sich kombinieren - in der Praxis allein durch die Fähigkeit der Hörer oder Leser begrenzt, zunehmend komplex strukturierte Nominalphrasen zu erfassen. Hier zwei Beispiele:
(Mannheimer Morgen, 30.10.86, S. 48)
(Thomas Mann, "Die Buddenbrooks", SFV 1960, Bd.1, S. 15)
Eine Subklassifikation kann auch dadurch erreicht werden
- dass dem zu bestimmenden Gegenstand ausdrücklich eine Eigenschaft abgesprochen wird,
die Gegenstände seiner Art grundsätzlich haben könnten:
eine nicht verheiratete Pastorin
der nicht mehr ganz taufrische Knabe
oder dadurch
- dass ihm ausdrücklich eine Eigenschaft als möglicherweise gegeben zugesprochen wird,
die Gegenstände seiner Art nicht aufweisen müssen:
die damals möglicherweise bereits schwer kranke Diva
der vermutlich noch minderjährige Täter
Im ersten Fall wird die Subklassifikation über die Bestimmung einer Komplementärklasse erreicht, im zweiten über die Ausgrenzung all dessen, auf das die gegebene Charakterisierung nicht einmal möglicherweise zutreffen könnte.
Subklassifikation ist - rein logisch betrachtet - immer zugleich Restriktion, weil damit zusätzliche Bedingungen für das Zutreffen der Gegenstandsbestimmung eingebracht werden. Allenfalls können die zusätzlichen Bedingungen redundant sein, wie etwa bei der runde Kreis, der leblose Tote, der weiße Schimmel. Die kommunikative Wirkung von Subklassifikation ist jedoch nicht in jedem Fall von gleicher Art. Manchmal ist - wie bei den hier betrachteten Beispielen - eine Subklassifikation unbedingt erforderlich, damit Hörer oder Leser eine Chance haben herauszufinden, wovon man sprechen will, und manchmal ist eben dies bereits klar genug. Unter kommunikativen Aspekt liegt deshalb nur im ersten Fall wirklich eine Restriktion vor, im zweiten Fall hingegen die Angabe von Zusatzinformationen, die zwar ausgesprochen interessant sein mögen, aber zur Gegenstandsbestimmung nichts mehr beitragen.
Welcher Gebrauch im gegebenen Fall vorliegt, lässt sich mit einer Ausnahme nicht anhand des verwendeten Attributs selbst bestimmen. Die Ausnahme bilden Genitiv-Attribute. Sie sind grundsätzlich nur restriktiv zu gebrauchen. Bei allen anderen Attributen ist der Verwendungskontext heranzuziehen. Die Auswertung des Kontextes kann in drei Schritten erfolgen:
- Zunächst ist zu überprüfen, ob die Nominalphrase bestimmt oder unbestimmt ist. Ist sie bestimmt, ist zu Schritt zwei überzugehen. Ist sie hingegen unbestimmt, kann jedes Attribut nur restriktiv interpretiert werden. Unbestimmt ist sie, wenn es sich um einen artikellosen Plural handelt oder um ein Nicht-Individuativum, oder wenn die Phrase von einem indefiniten Artikel, einem W-Artikel oder einem Quantifikativ-Artikel eingeleitet wird - letzteres mit Ausnahme von all-, das eindeutig bestimmend wirkt, weil es umfassend ist.
- Bei bestimmten Nominalphrasen ist zu prüfen, ob die Phrase von einem definiten Artikel oder einem Demonstrativ-Artikel eingeleitet wird. Liegt ein Demonstrativ-Artikel vor, ist das Attribut nicht-restriktiv zu interpretieren, sofern es sich nicht um betontes der, die, das oder derjenig-, diejenig-, dasjenig- handelt. Bei diesen beiden Demonstrativ-Artikeln sind Attribute stets restriktiv zu interpretieren. Liegt hingegen ein definiter Artikel vor, ist zu Schritt drei überzugehen.
- Bei Nominalphrasen mit definitem Artikel ist die Interpretation der Attribute davon abhängig zu machen, ob das Attribut erforderlich ist, um einem Hörer oder Leser in die Lage zu versetzen nachzuvollziehen, wovon die Rede sein soll, oder ob dies auch ohne das Attribut schon hinreichend klar wäre.
Spezifikation durch explizite Angabe von Komplementen
Anders als die Subklassifikation, die bei allen Nomina möglich ist, bleibt die Spezifikation als Verfahren auf eine Teilmenge der Nomina beschränkt. Typischerweise - allerdings nicht ausschließlich - handelt es sich dabei um Nomina, die von Verben des Sagens, Denkens oder Fühlens abgeleitet sind:
(die tageszeitung, 27.01.1988, S. 5)
(Frankfurter Allgemeine, 30. 1. 1993, S. 1)
(die tageszeitung, 05.09.1990, S. 15-16)
Die Pokémon-Figur "Yun Geller", ein fuchsähnliches Wesen, hat
stets einen Löffel bei sich und die Fähigkeit, durch psychische
Kräfte Kopfschmerzen auszulösen.
(die tageszeitung, 03.11.2000, S. 23)
Während bei Subklassifikation das Attribut als ein Operator wirkt, der auf das Kopfnomen anzuwenden ist, wirkt bei Spezifikation das Kopfnomen selbst als ein Operator, der auf das spezifizierende Attribut angewandt wird. Das wird deutlich, wenn man die Phrasen in entsprechende Aussagesätze umformt:
Die Gabe, mit allem zufrieden zu sein | - | Mit allem zufrieden zu sein, ist eine Gabe |
Die Vermutung, dass Napoleon ermordet wurde | - | Dass Napoleon ermordet wurde, ist eine Vermutung |
Sein Wunsch, man möge ihn in Ruhe lassen | - | Man möge ihn in Ruhe lassen, ist sein Wunsch |
Nach Mutmaßung
Eine besondere Form der Bestimmung von Redegegenständen liegt bei Nominalphrasen wie der vermeintliche Freund, der mögliche Aufsteiger in die zweite Liga oder der mutmaßliche Täter vor. Formal scheint es sich dabei um Subklassifikationen zu handeln, doch, anders als bei echter Subklassifikation, kann hier vom Zutreffen der modifizierten Nominalphrase nicht auf das Zutreffen der nicht modifizierten Phrase geschlossen werden: Ein mutmaßlicher Täter muss nicht wirklich der Täter sein.
Wenn der Weg zur Bestimmung eines Redegegenstands dennoch über solche, möglicherweise unzutreffende Charakterisierung führt, dann liegt das daran, dass bereits das Bestehen einer entsprechenden Mutmaßung oder Möglichkeit unter geeigneten Umständen - etwa wenn nur eine Mannschaft als möglicher Aufsteiger gehandelt wird - der gemeinten Redegegenstände erachtet wird.
Sonderfälle
Neben Attributen, die eindeutig subklassifizierend wirken, gibt es eine Reihe von Attributen, die sich zwar formal genau wie subklassifizierende Attribute verhalten, in bestimmten Lesarten in Verbindung mit bestimmten Nomina jedoch keine Subklassifikation bewirken, sondern zur Bezeichnung von Gegenständen anderer Art dienen als eben jener, die mit der Nominalphrase ohne dieses Attribut zu bezeichnen wäre. Das hört sich sehr kompliziert an, ist auch kompliziert, aber dennoch ganz alltäglich, wie diese Beispiele zeigen:
(www.zeit.de/2002/02/Leben/print_200202_miami_aktualisie.html)
(die tageszeitung, 25.09.1986, S. 5)
(die tageszeitung, 02.07.1990, S. 1)
(die tageszeitung, 02.09.1986, S. 6)
In all diesen Fällen liegt keine Subklassifikation durch die markierten Attribute vor: Falsche Tatsachen sind eben gerade keine Tatsachen, eine gefälschte 100-Dollar-Note ist sowenig eine 100-Dollar-Note, wie ein unechter Hunderter ein Hunderter ist, und einem halben Dutzend fehlt die Hälfte zum wirklichen Dutzend.
Dass sich diese Beobachtungen nicht ohne weiteres zu Regeln verallgemeinern lassen, zeigt allerdings ein Blick auf die Verwendung derselben Adjektive in anderen Kontexten:
Damit wäre der Beweis erbracht worden, daß sich Kutschmann 1950 die argentinische Staatsbürgerschaft unter Angabe falscher Daten erschlichen hatte.
(die tageszeitung, 02.06.1987, S. 4)
Hier werden tatsächlich Einzelfälle benutzt, um viele als
"unechte" Verweigerer zu
diffamieren.
(die tageszeitung, 08.10.1986, S. 5)
(die tageszeitung, 22.08.1988, S. 11-13)
Auch falsche Daten sind Daten, auch eine gefälschte Erklärung ist eine Erklärung, auch "unechte" Verweigerer sind - zumindest rein rechtlich - erst einmal Verweigerer, und zu behaupten, dass man als halbes Kind einfach kein Kind sei, hieße den Witz des Attributes verkennen.
Bei Adjektiven wie diesen ist immer auch in Rechnung zu stehlen, zu welchem Nomen sie als Attribute treten. Entsprechendes gilt für Relativsätze, in denen solche Adjektive prädikativ auftreten: Geld, das falsch ist, ist kein Geld, während Töne, die falsch sind, deshalb sehr wohl Töne sind. Mit Mitteln der grammatischen Analyse ist diese Erscheinung offenkundig nicht zu erfassen.
Zur Frage, wie es überhaupt möglich sein kann, mit Nominalphrasen wie der Mörder, der keiner war erfolgreich einen Redegegenstand zu bestimmen: Der erfolgreiche Gebrauch von Nominalphrasen