Zur Bedeutung von Nominalphrasen

Was eine Nominalphrase zur Bedeutung eines Satzes beiträgt, hängt ab:

  • von ihrem internen Aufbau
  • von der Funktion, die sie im Rahmen des Aufbaus der Satzbedeutung zu erfüllen hat

Da zum internem Aufbau von Nominalphrasen immer auch gehört, dass sie in einem bestimmten Kasus gehalten sind, scheinen beide Faktoren ineinander zu greifen: Der jeweilige Kasus bzw. die entsprechenden Flexionsmorpheme könnten bedeutungstragende Elemente sein, die bestimmen, wie die Phrasen im größeren Zusammenhang zu verrechnen sind. Beim Versuch, die verschiedenen Kasus auf ihren spezifischen Bedeutungsbeitrag hin zu interpretieren, zeigt sich jedoch schnell, dass sich keine eigenständige Bedeutung der Kasus bestimmen lässt, die über ihre Rolle als Indikator der Einordnung von Nominalphrasen in bestimmte syntaktische Gefüge hinausgeht. Sie entspricht dabei in etwa der Bedeutung der Farben im diesem Beispiel:

Der Verkäufer des Wagens erklärt dem Interessenten den Sinn eines Sechsgang-Getriebes.

Was bei der Interpretation von Sätzen für die besondere Bedeutung eines Kasus gehalten werden könnte, ist nicht am jeweiligen Kasus festzumachen, sondern an dem Zusammenhang, in den die Phrase eingebracht wurde. Dieser Zusammenhang reicht oft weit über rein strukturelle Beziehungen hinaus, wie sich anhand eines einfachen, ganz alltäglichen Beispiels zeigen lässt:

Mit Heißhunger stürzten sie sich auf das Fleisch des jungen Metzgers.

In Kenntnis der syntaktischen Regularitäten des Deutschen erkennt man, dass die hier markierte genitivische Nominalphrase als Attribut zu das Fleisch zu interpretieren ist. Alles Weitere hängt ab von Wissen über den Bezug der Anapher sie, von bereits im Kontext gegebenen Informationen und von allgemeinem Weltwissen, insbesondere hinsichtlich kultureller Konventionen. Wo - wie im Fall eines isolierten Beispielsatzes - entsprechende Informationen nicht zur Verfügung stehen, lässt sich über die Phrase das Fleisch des jungen Metzgers nicht mehr sagen, als dass beides offenbar miteinander zu tun hat.

In Anbetracht dieser Beobachtungen zur Bedeutung der Kasus lässt sich festhalten: Bei der Betrachtung der Bedeutung von Nominalphrasen kann der Umstand, dass diese in verschiedenen Kasus gehalten sein können, ohne Schaden außer Acht gelassen werden. Das bedeutet auch: Gegenstand der Betrachtung ist allein, was Nominalphrasen an Bedeutung mitbringen, nicht die Funktion bzw. die Funktionen, die sie aufgrund dieser Bedeutung im Satz erfüllen können. Erst unter dieser Voraussetzung lässt sich eine allgemeine Bestimmung der Bedeutung von Nominalphrasen geben:

Als Nominalphrasen werden sprachliche Entwürfe oder Repräsentationen von Gegenständen realisiert - wobei Gegenstand im weitestem Sinn verstanden werden darf: vom einfachsten Stück Material (ein Nagel, ein Ziegel) über Substanzen (Milch, Roheisen) und Abstrakta (Freiheit, Gemütlichkeit) bis zu Sachverhalten (Es regnet in Süddeutschland) und komplexen Geschehnissen (Krieg in Afghanistan).

Eine - auf den ersten Blick - recht einfache Form der sprachlichen Repräsentation eines Gegenstands ist seine Benennung: Einem konkreten Gegenstand wird in einer Art Taufe ein Eigenname - z.B. Markus, Heimerdingen, Donau - zugeteilt, mit dem künftig auf ihn Bezug genommen werden kann. Diese Form ist allerdings aus praktischen wie prinzipiellen Gründen nur bei einem winzigen Bruchteil der Gegenstände zu nutzen, von denen wir schon ganz alltäglich zu reden haben. Hinzu kommt, dass ihr Gebrauch tatsächlich weit mehr voraussetzen muss, als man zunächst vermuten möchte.

Mehr hierzu in Nominalphrasen im Gebrauch.

In allen anderen Fällen sind sprachliche Repräsentationen von Gegenständen auf andere Weise zu realisieren, nämlich als mehr oder weniger komplexe Zuschreibung von Eigenschaften verbunden mit der Setzung, dass diese dem repräsentierten Gegenstand zukommen bzw. - im Fall einer Negation (kein Mensch, nicht ein Pfennig) - gerade nicht zukommen.

Das hört sich kompliziert an, ist tatsächlich auch so kompliziert, dass nur Menschen dazu in der Lage sind, und ist doch jedem Sprachteilhaber so vertraut, dass er dieses Verfahren problemlos nutzen kann. Im einfachsten Fall wählt er ein geeignetes Nomen, etwa Hund, setzt, wenn er nicht von der ganzen Gattung der Hunde reden will, sondern von einem einzelnen Exemplar, einen Artikel davor - ein, wenn von dem Exemplar so weit noch nicht die Rede war, oder der, wenn es sich um ein bereits eingeführtes Exemplar handelt. Der Artikel ein richtet dann gewissermaßen ein individuelles Konto ein, auf dem die Zuschreibung zu verbuchen ist, die das Nomen liefert. Mit der wird das bereits eingerichtete Konto aktiviert.

Phrasen wie ein Hund, der Hund sind typische minimale Nominalphrasen, doch keineswegs die einzigen dieser Art. Wie solche Nominalphrasen gebaut sein können, beschreibt die Einheit:

Die Struktur minimaler Nominalphrasen

Wie sich ihre Bedeutung aus den Bedeutungen ihrer Komponenten ergibt, wird ausgeführt in:

Die Bedeutung minimaler Nominalphrasen

Minimale Nominalphrasen können auf vielerlei Weisen erweitert werden. Viele Erweiterungsmöglichkeiten dienen dazu, den Bereich einzuschränken, dem der oder die Gegenstände angehören, die von der Nominalphrase repräsentiert werden, so etwa die Erweiterung von ein Hund zu ein alter Hund, mit der eine Subklassifikation in dem Bereich vorgenommen wird, der mit Hund angegeben wird. Daneben gibt es Erweiterungen, die zusätzliche Informationen zum entworfenen Gegenstand geben (Helmut Kohl, der übrigens aus Ludwigshafen kommt), und solche, die nur scheinbar subklassifizierend wirken (ein falscher Fünfziger).

Die Formen, die eine Erweiterung minimaler Nominalphrasen annehmen kann, werden dargestellt in:

Die Struktur erweiterter Nominalphrasen

Was die verschiedenen Erweiterungsmöglichkeiten zur Bedeutung einer Nominalphrase beitragen, unter welchen Bedingungen eine bestimmte Erweiterung möglich ist und in welcher Beziehung sie zu ihrer Basis steht, ist Gegenstand von:

Die Bedeutung erweiterter Nominalphrasen

In eigenständigen Vertiefungseinheiten zur Nominalphrasensemantik soll genauer geklärt werden, wie NP-Bedeutungen sprachphilosophisch fundiert rekonstruiert werden können. Diese Einheiten bauen aufeinander auf und sollten in der angegebenen Reihenfolge rezipiert werden:

  1. Definite Deskriptionen
  2. Eigennamen
  3. Existenzquantifizierende Nominalphrasen
  4. Negativ existenzquantifizierende Nominalphrasen
  5. Eine einheitliche Semantik der Nominalphrase

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Roman Schneider
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