Erweiterung von Nominalphrasen mit Genitivattributen
Erweiterungen von Nominalphrasen mit Genitivattributen - meist Nominalphrasen im Genitiv, daneben die genitivischen Demonstrativ-Pronomina dessen (pränominal) und desselben/derselben (postnominal) - sind ebenso gängig wie in ihrer Wirkungsweise unspezifisch: Allein aus der Tatsache, dass ein Genitivattribut zur Erweiterung eingesetzt wird, kann man nur erschließen, dass zwischen dem Denotat des Bezugsnomens und dem Denotat des Genitivattributs ein irgendwie gearteter Zusammenhang besteht. Da dieser Zusammenhang im gegebenen Fall mal so und mal so gesehen werden kann, hat man Genitivattribute traditionell als ausgesprochen mehrdeutig betrachtet und eine Vielzahl von Genitiven unterschieden.
Wirklich zu unterscheiden sind nicht die Attribute selbst, sondern die syntaktischen und semantischen Verbindungen, die sie eingehen können, und diese werden nicht von den Attributen bestimmt, sondern von den Nomina, zu denen sie als Attribute treten. Das wird deutlich, wenn man ein und dieselbe Genitiv-Phrase mit verschiedenen Nomina verbindet:
der Rat des Vaters | verstanden wie | der Rat, den der Vater gibt |
der Wagen des Vaters | verstanden wie | der Wagen, der dem Vater gehört |
die Entlassung des Vaters | verstanden wie | die Entlassung , die den Vater betraf |
die Bücher des Vaters | verstanden wie | die Bücher, die der Vater geschrieben hat |
Die Interpretationen, die hier jeweils gegeben werden, sind bei weitem nicht die einzig möglichen, aber sie sind in jedem Fall möglich, und untereinander hinreichend verschieden, um deutlich zu machen, dass die verschiedenen Deutungen nicht auf das Attribut selbst zurückzuführen sind.
Erweiterungen von Nominalphrasen mit Genitivattributen können pränominal und postnominal vorgenommen werden, wie diese Beispiele zeigen:
pränominal:
(Berliner Zeitung, 15.11.1997, S. 4)
(FKO/XAE.00000)
(Die Zeit, 17.10.1997, Nr. 43, S. 46)
(Berliner Zeitung, 03.04.2000, S. 18)
postnominal:
(Vorarlberger Nachrichten, 18.05.2000, S. C10)
(die tageszeitung, 12.02.1990, S. 18)
(Berliner Ensemble, Bertold Brecht: Das Leben des Galilei)
Pränominale und postnominale Genitivattribute unterscheiden sich formal in zweifacher Hinsicht:
- Pränominale Genitivattribute sind stets in maximaler Entfernung vor zu
attribuierenden Nomen zu positionieren:
- des Kaisers Kleider
- des Kaisers neue Kleider
- des Kaisers neue, von Armani entworfene Kleider
- des Kaisers von Armani entworfene, schon etwas in die Jahre gekommene Kleider
- des Kaisers von Armani entworfene, schon etwas in die Jahre gekommene, aber immer noch ansehnliche Kleider
- mit einem neuen Wagen
- mit dem neuen Wagen
- mit Vaters neuem Wagen
- Ein postnominales Genitivattribut blockiert Phrasen einleitende Artikel
nicht. Es steht - von Erweiterungsnomina abgesehen - immer unmittelbar rechts vom Kopfnomen, auf das es bezogen ist. Dabei lässt es
rechts von sich nur dann ein weiteres Attribut zu, wenn dieses nicht als Attribut zum
Attribut aufgefasst werden kann. Folgt auf ein Genitivattribut ein weiteres Attribut
fungiert, ist die erste Option stets, das zweite Attribut auf die nominale Komponente
des ersten zu beziehen und nicht über dieses hinweg auf dessen Bezugsnomen, also
so:
und nicht so:
Zwingend ist dies allerdings nur, wenn das zweite Attribut auch ein Genitivattribut ist:
Bei anderen postnominalen Attributen kann das dem Genitivattribut folgende Attribut auch auf den nominalen Kopf der gesamten Phrase bezogen werden. Bei der Interpretation solcher Phrasen gilt jedoch das Prinzip, dies nur dann zu tun, wenn dies sachlich plausibler scheint als ein Bezug auf den Kopf des vorangehenden Attributs. Ein solcher Fall liegt etwa hier vor:
Ganz ohne sachliche Erwägungen kann von einer solchen Abfolge von Interpretationsschritten ausgegangen werden, wenn- das zweite Attribut ein Relativsatz ist, der durch ein
Relativ-Element eingeleitet wird, das in Numerus und Genus mit dem Kopf der
gesamten Phrase korrespondiert, nicht aber mit dem Kopf des vorangehenden
Genitivattributs:
- das zweite Attribut ein Komplementausdruck ist, der nur Komplement
zum Kopf der gesamten Phrase sein kann:
- das zweite Attribut ein Relativsatz ist, der durch ein
Relativ-Element eingeleitet wird, das in Numerus und Genus mit dem Kopf der
gesamten Phrase korrespondiert, nicht aber mit dem Kopf des vorangehenden
Genitivattributs:
Eine Erweiterung von Nominalphrasen mit einem Genitivattribut wirkt stets restriktiv, eine Eigenschaft, die auch ausdrucksseitig als Beschränkung wirksam wird: Nominalphrasen im Genitiv sind als Attribute nur bei Nominalphrasen zulässig, deren Bedeutung prinzipiell eine Restriktion zulässt, also nicht bei Eigennamen und anderen artikellos gebrauchten Individuenbezeichnungen:
- *Heidelberg der sechziger Jahre
- *Lothar Margits
- ?Gott der Christen
- ?Mutter zweier Söhne
Die beiden letztgenannten Ausdrucksformen sind nicht wirklich in jeder Verwendung inakzeptabel. Sie können als Formen der Anrede verwendet werden, wirken dann allerdings reichlich antiquiert.
In jedem Fall kann festgehalten werden, dass Genitivattribute, da stets restriktiv, immer als N-Supplemente zu interpretieren sind.