Stellungsregularitäten in Nominalphrasen
Der Ankerpunkt
Um bestimmen zu können, wie die verschiedenen optionalen und obligatorischen Komponenten in linearer Abfolge angeordnet werden können oder müssen, ist zunächst ein Ankerpunkt (Origo) festzulegen, von dem aus die gesamte Ordnung erfasst werden kann. Als Ankerpunkt wählt man sinnvoller Weise die Komponente, die strukturell wie informationell das Zentrum der Nominalphrase bildet. In aller Regel ist dies ein Nomen:
Die weiteren Komponenten von Nominalphrase lassen sich einteilen in solche, die links vom Kopfnomen stehen - pränominale Komponenten - und solche, die rechts davon stehen - postnominale Komponenten.
Die lineare Anordnung pränominaler Komponenten
Als pränominale Komponenten kommen Ausdrücke dieser Klassen in Frage:
Die Abfolge der pränominalen Komponenten ist - anders als die der postnominalen - strikt geregelt. Möglich sind einzig diese Sequenzen:
Nomen
Adjektivphrase1 - ... - Adjektivphrasen - Nomen
Adjektivphrase1 - ... - Adjektivphrasen - Erweiterungsnomen - Nomen
Artikel - Nomen
Artikel - Adjektivphrase1 - ... - Adjektivphrasen - Nomen
Artikel - Adjektivphrase1 - ... - Adjektivphrasen - Erweiterungsnomen - Nomen
Präpositional-Attribut - Artikel - Nomen
Präpositional-Attribut - Artikel - Adjektivphrase1 - ... - Adjektivphrasen - Nomen
Präpositional-Attribut - Artikel - Erweiterungsnomen - Nomen
Präpositional-Attribut - Artikel - Adjektivphrase1 - ... - Adjektivphrasen - Erweiterungsnomen - Nomen
Genitiv-Attribut - Nomen
Genitiv-Attribut - Adjektivphrase1 - ... - Adjektivphrasen - Nomen
Genitiv-Attribut - Erweiterungsnomen - Nomen
Die lineare Anordnung postnominaler Komponenten
Postnominal können in Nominalphrasen eine oder mehrere dieser Komponenten auftreten:
- Erweiterungsnomina
- Genitiv-Attribute
- Adjektivphrasen
- Adjunktorphrasen
- Präpositionalphrasen und/oder Präpositionaladverbien
- Nominalphrasen als Attribute zu Maßausdrücken
- Appositionen
- Infinitive oder Infinitivkonstruktionen
- Attributsätze
Nur drei dieser möglichen Komponenten haben schriftlichsprachlich wie mündlich feste Positionen in der linearen Abfolge:
Erweiterungsnomina - die im Allgemeinen nur in Verbindung mit bestimmten Klassen von Nomina auftreten - folgen stets dem Kopfnomen:
unser Jugendfreund Fritz, der sich erst nach Jahren wieder gemeldet hat
die Fahrer Hausmann und Löblich der Firma ExportImport
meine Tante Frieda, damals bereits über 90 Jahre alt
Admiral Nelson, der Held von Trafalgar
Einem Genitiv-Attribut kann postnominal allenfalls ein Erweiterungsnomen vorangehen.
Nominalphrasen als Attribute zu Maßausdrücken müssen dem Maßausdruck unmittelbar folgen. Ein Konflikt mit den genannten Regeln ergibt sich dabei nicht, da bei Maßausdrücken keine Erweiterungsnomina möglich sind und eventuell auftretende Genitiv-Attribute Alternativen zu dieser Form der Attribution darstellen.
Weitgehend fest liegt darüber hinaus auch die Position attributiver Präpositionalphrasen oder Präpositionaladverbien. Schriftsprachlich folgen sie auf Erweiterungsnomen und Genitiv-Attribut - sofern solche vorhanden sind - und gehen weiteren möglichen postnominalen Erweiterungskomponenten voraus. In mündlicher Rede können Präpositionalphrasen - jedoch nicht Präpositionaladverbien! - auch auf einen Infinitiv, einen Relativsatz oder anderen Attributsatz folgen:
die Überzeugung, recht zu haben, trotz aller gegenteiligen Evidenz
ein gut dotierter Posten, wie sie ihn bekommen hat, mit eigenem Büro und Sekretärin
Für die Anordnung aller weiteren postnominalen Komponenten von Nominalphrasen lassen sich keine verbindlichen Regeln bestimmen. Soweit sich doch gewissen Beschränkungen zu zeigen scheinen, ist dies nicht auf formale Regularitäten zurückzuführen, sondern auf die Berücksichtigung des allgemeinen Kommunikationsprinzips, nach dem erwartbare Fehlinterpretationen zu vermeiden sind. Zu solchen Fehlinterpretationen könnte es etwa kommen, wenn jemand (b) anstelle von (a) verwenden würde, obwohl er damit sagen wollte, was mit (a) zu sagen wäre:
- die Vermutung, die Erika gemeint hatte, dass dies die Straße nach Pfäffingen sei
- die Vermutung, dass dies die Straße nach Pfäffingen sei, die Erika gemeint hatte
Dass diese Beobachtung nicht zu der Regel verallgemeinert werden darf, Relativsätze hätten bei Bezug auf dasselbe Nomen dass-Sätzen voranzugehen, zeigt sich, wenn man an beiden Nominalphrasen eine kleine Änderung vornimmt:
- die Vermutung, die Erika gemeint hatte, dass dies der Weg nach Pfäffingen sei
- die Vermutung, dass dies der Weg nach Pfäffingen sei, die Erika gemeint hatte
Da hier der Bezug des Relativsatzes auf die Vermutung durch am Genus des Relativelements erkannt werden kann, könnte man vermuten, eine Abfolge wie in (b) sei bei Bedeutungsgleichheit mit (a) nur möglich, wenn ein Bezug des ausgeschlossen ist. Dass auch diese Einschränkung nicht keine gültige formale Regularität erfasst, wird deutlich, wenn man die folgenden Nominalphrasen betrachtet:
- die Vermutung, auf die Erika vertraut hatte, dass dies die Straße nach Pfäffingen sei
- die Vermutung, dass dies die Straße nach Pfäffingen sei, auf die Erika vertraut hatte
Die Formulierung in (b) ist sicher stilistisch nicht sehr geglückt, doch sie wird schwerlich zu Fehlinterpretationen führen.
Was hier für die Abfolge von Relativsatz und dass-Satz festgestellt werden konnte, gilt - von Erweiterungsnomina und Genitiv-Attributen abgesehen - gleichermaßen für die Abfolge alle anderen postnominalen Komponenten von Nominalphrasen.