Erweiterung von Nominalphrasen mit Infinitiven oder Infinitivkonstruktionen

Bestimmte, meist - aber nicht ausschlie?lich - von Verben oder Adjektiven abgeleitete Nomina konnen mit Attributen in Form von Infinitiven oder Infinitivkonstruktionen erweitert werden:

"Als ich ein sehr kleiner Junge war", sagt Ivan Ivankov, "hatte ich den Traum, zu fliegen wie ein Vogel."
(Frankfurter Rundschau, 024.11.1997, S. 31)
Und Biedenkopf steht sicher nicht im Verdacht , besonders gewerkschaftsfreundlich zu sein.
(Die ZEIT, 08.03.85, S. 17)
..., und sie starb letzten Endes daran , da? die Kommunistische Partei den Gedanken der Willensfreiheit ablehnte , die Freiheit menschlichen Denkens , die Fahigkeit des Menschen zu wahlen.
(Andersch, Alfred: Die Kirschen der Freiheit. Ein Bericht. - Zurich, 1971, S. 37)
Auf diese Botschaft hatte Authari Lust, seine Verlobte selbst zu sehen, nahm wenige, aber geprufte Leute mit, und darunter seinen Getreuesten, der als Altester den ganzen Zug anfuhren sollte.
(GRI/SAG.00402, S. 367)
Das ist namlich ein bisschen wie Wahrsagen: die Kunst, Bundesligaergebnisse exactement zu prophezeien.
(die tageszeitung, 04.10.1999, S. 16)

Schon daran, dass diese Form der Erweiterung auf bestimmte Nomina beschrankt bleibt, ist zu erkennen, dass es sich bei den entsprechenden Attributen ausschlie?lich um N-Komplemente handeln kann. Tatsachlich wirken Infinitive oder Infinitivkonstruktionen als Attribute nicht modifizierend, sondern explikativ: Sie fuhren aus, worin im Einzelnen das besteht, was ihr Bezugsnomen bezeichnet.

Die lineare Position von Infinitiven oder Infinitivkonstruktionen als Attributen ist postnominal. Wenn zusatzlich ein Satz als Attribut auftritt, gehen sie diesem voran:

die Kunst, einen Menschen mit wenigen Worten treffend zu charakterisieren, die Goethe ausnehmend gut beherrschte
?die Kunst, die Goethe ausnehmend gut beherrschte, einen Menschen mit wenigen Worten treffend zu charakterisieren

Genitiv-Attribute und Prapositional-Attribute gehen Infinitiven und Infinitivkonstruktionen stets voran. Postnominale Adjektiv-Attribute konnen ihnen vorangehen:

die Kunst Goethes, einen Menschen mit wenigen Worten treffend zu charakterisieren
den Wunsch, von vielen gehegt, einmal im Leben auf dem K2 zu stehen
die Uberzeugung, fest und unverruckbar, das Beste getan zu haben

Aber auch:

die Uberzeugung, das Beste getan zu haben, fest und unverruckbar

Die Klasse der Nomina, die eine Erweiterung durch Infinitive oder Infinitivkonstruktionen erlauben ist unter formalen Gesichtspunkten nicht zu bestimmen. Aus semantischer Sicht zeigen sich gewisse Gemeinsamkeiten, doch auch hier ist vor schneller Verallgemeinerung zu warnen. Festhalten lasst sich, dass deverbale und deadjektivische Nomina solche Attribute zulassen, wenn bei den entsprechenden Verben und pradikativ verwendeten Adjektiven Infinitivkonstruktionen als Komplemente moglich sind. Fur die Klassifikation ist damit freilich wenig gewonnen, weil so das Problem nur verlagert wird.

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