Stellung der Supplemente im Mittelfeld

Unter Supplemente werden hier nur solche verstanden, die primäre Komponenten des Satzes darstellen (also keine sekundären Komponenten wie z. B. Nomensupplemente).

Es gibt einige übergeordnete Prinzipien, deren Kenntnis für das Verstehen der Abfolgeregeln der Supplemente im Mittelfeld deutscher Sätze hilfreich ist. Im Polnischen finden diese Prinzipien nur teilweise Anwendung:

Allgemeines Stellungsprinzip

Einige Supplemente können – anders als Komplemente – nur im Mittelfeld stehen, also nicht (allein) im Vorfeld, z. B. die Abtönungspartikeln, oder nur stark eingeschränkt wie die Negationspartikel nicht (s. Partikeln im Vorfeld). Innerhalb des Mittelfelds haben Supplemente mehr Stellungsmöglichkeiten als Komplemente. Dennoch gibt es für ihre Stellung Regeln und ein übergeordnetes Prinzip. Dies leitet sich aus ihrer Funktion ab, ganze Sätze oder einzelne Verbalkomplexe (inklusive eventuell dazugehöriger Komplemente, aber unterhalb der Satzebene) näher zu bestimmen oder zu modifizieren. Die interne Abfolge richtet sich danach, ob das jeweilige Supplement einen weiteren oder engeren Skopus (semantischen Bezugsbereich) hat. Das oberste Stellungsprinzip, das für beide Sprachen gilt, lautet also:

Supplement[weiter Bezugsbereich] >> Supplement[enger Bezugsbereich]

So ist zu erklären, dass die unterschiedliche Anordnung der gleichen Supplemente im selben Satz zu unterschiedlichen Satzbedeutungen führen kann.

Übung: Stellungsprinzip der Supplemente

Skopus

Gemäß dem Prinzip, dass beieinander steht, was inhaltlich zusammengehört, kann man die Stellung der Supplementtypen klären: Diejenigen, die den engsten Skopus, also den engsten semantischen Bezugsbereich haben, nämlich den Verbalkomplex (mit den dazugehörigen Komplementen unterhalb der Satzebene), sind die Verbgruppenadverbialia (V-ADV). Weil sie eine enge Bindung an das Verb bzw. den Verbalkomplex haben, stehen sie so nah wie möglich an der rechten Satzklammer. Diejenigen, die inhaltlich weniger stark an das Verb gebunden sind, stehen weiter links im Mittelfeld. Ihr Skopus erstreckt sich auf den ganzen Satz. Das sind vor allem die Satzadverbialia (S-ADV), z. B.:

(1) Du hast dich in letzter ZeitS-ADVauffallendV-ADV verändert, Mama. [Mann, Thomas (1954): Die Betrogene. Frankfurt a.M., S. 70]

Grafisch kann der jeweilige semantische Bezugsbereich wie folgt verdeutlicht werden:

Die Regel, die sich aus dem allgemeinen Stellungsprinzip "weiter Bezugsbereich vor engem Bezugsbereich" ableitet und für beide Sprachen gilt, lautet also

Satzadverbialia (S-ADV) >> Verbgruppenadverbialia (V-ADV)

Es gibt neben den V-ADV und S-ADV noch den Supplementtyp der Abtönungspartikeln (Abp), z. B. denn, ruhig, ja, doch, etwa. Während S-ADV die Satzbedeutung modifizieren, indem sie die Satzaussage modal spezifizieren oder in einen Handlungszusammenhang bzw. Kontext einordnen, operieren Abp auf Erwartungen und Einstellungen des Sprechers und des Adressaten (vgl. Wortart Abtönungspartikel). Der Bezugsbereich von Abp umfasst auch die durch S-ADV eingebrachten Modifizierungen, d. h. ihr Skopus ist noch weiter als der von S-ADV, z. B.:

(2) „Wenn ich sterbe, will ich, dass auf meinem Grabstein steht: ,Ich habe jaAbp gleich S-ADV gesagt, dass ich krank bin‘“. [Nürnberger Nachrichten, 07.05.2007]
(3) Tiefgaragen oder Parkdecks würden in einer Stadt wie Bürstadt nicht angenommen. "Das kann man vielleichtAbp in MannheimS-ADV machen", ergänzt Ortner. [Mannheimer Morgen, 29.11.2001]

Es gilt auch hier "weiter Bezugsbereich vor engem Bezugsbereich", also:

Abtönungspartikeln (Abp) >> Satzadverbialia (S-ADV)

Zu dieser generellen Abfolgeregel gibt es – wie fast immer – Ausnahmen. So sind bei den meisten kontextspezifizierenden Satzadverbialia (ohne besonderen Gewichtungsakzent) Abfolge-Varianten möglich:

(4) Warum muss eigentlich heute in praktisch jedem Popsong eine Rap-Sequenz eingefügt werden? [Rhein-Zeitung, 16.08.2008]
(4') Warum muss heute eigentlich in praktisch jedem Popsong eine Rap-Sequenz eingefügt werden?

Im Unterschied zur Klammersprache Deutsch zeichnet sich die polnische Sprache durch eine verbozentrische Satzstruktur aus: das Finitum ist als topologischer Bezugspunkt im Satz anzusehen, der es erlaubt, den gesamten Satzbereich in linkes und rechtes Stellungsfeld zu gliedern. Die neutrale, unmarkierte Grundfolge der Stellungsglieder umfasst jeweils beide Felder. Die nahezu unbeschränkte Möglichkeit, das Finitum im polnischen Satz zu verschieben, erlaubt – je nach der kommunikativen Absicht und im Hinblick auf die auszudrückenden Nuancen bei der Gewichtung der Sachverhaltselemente – das Volumen des thematischen und des rhematischen Bereichs zu verändern. Vor diesem Hintergrund kann die Regel „Satzadverbialia vor Verbgruppenadverbialia“ auch für das Polnische als starke Stellungstendenz angenommen werden. Lediglich der Negator nie (nicht) steht obligatorisch vor dem Finitum. Die im Polnischen ohnehin seltenen Abtönungspartikeln stehen in der Regel vor Satzadverbialia, sie können aber auch andere Positionen im Satz beziehen.

Die Tabelle zeigt einige von vielen korrekten Anordnungsmöglichkeiten von Supplementen im Beispielsatz.

  • w domu (zu Hause, lokal)
  • wczoraj (gestern, temporal)
  • z powodu bólu zęba (wegen der Zahnschmerzen, kausal)
  • przecież (doch, Abtönungspartikel)
  • właściwie (eigentlich, Fokuspartikel)
linkes StellungsfeldFinitumrechtes Stellungsfeld
NiezrobiłJan w domu wczoraj z powodu bólu zęba przecież właściwie nic.
Jan z powodu bólu zęba wczoraj przecież właściwie nic w domu niezrobił.
Przecież właściwie nic niezrobiłJan w domu z powodu bólu zęba wczoraj.

Keine der Wort-für-Wort-Übersetzungen ergibt eine im Deutschen akzeptable Abfolge der Stellungsglieder.

*Nicht hat gemacht Jan zu Hause gestern wegen der Zahnschmerzen doch eigentlich nichts.
*Jan wegen der Zahnschmerzen gestern doch eigentlich nichts zu Hause nicht hat gemacht.
*Doch eigentlich nichts nicht hat gemacht Jan zu Hause wegen der Zahnschmerzen gestern.

Deutsch lernende Polen übertragen ihre muttersprachlichen Stellungsregularitäten auf die noch zu erlernende Sprache und begehen im Bereich der Wortfolge besonders viele Fehler (nach der Artikelsetzung wohl die zweitgrößte Gefahrenquelle). Die Fortgeschrittenen gewinnen hingegen den Eindruck, Deutsch wäre eine Sprache, in der rigide Stellungsregeln herrschen; eine Ansicht, über die viele deutsche Grammatiker staunen müssen.

Gesamtabfolgeregel der Supplemente

Die Gesamtabfolgeregel dieser drei Supplementtypen im Mittelfeld lautet:

Abtönungspartikeln (Abp) >> Satzadverbialia (S-ADV) >> Verbgruppenadverbialia (V-ADV)

Beispiel:

(5) Viele Leute wären aberAbp im SommerS-ADV lieberV-ADV aufs Fahrrad umgestiegen. [Frankfurter Rundschau, 23.12.1999]

Für bestimmte Subklassen dieser drei Supplementtypen ist diese Reihenfolge zwingend, z. B. für viele Abtönungspartikeln (z. B. wohl, eben, doch), modal abschwächende Satzadverbialia (z. B. angeblich, hoffentlich, möglicherweise, vielleicht), negative Satzadverbialia (z. B. nicht, nie) und Verbgruppenadverbialia (z. B. gern, umständlich, falsch, träge, laut, blindlings), die das jeweilige Ereignis graduieren oder bewerten:

AbpS-ADVV-ADV
(6) Sie hat ihnwohltatsächlichsehr gerngehabt.
(7) Sie hat sichebennichtgetraut, zu fragen.
(8) Sie ist ihmdochkeineswegsblindlingsgefolgt.

Nun kann das Stellungsverhalten der internen Abfolge der Supplemente beschrieben werden.

Für das Polnische kann eine Regel aufgestellt werden, von der es zahlreiche als korrekt empfundene Abweichungen gibt:

Abp>>S-ADV>>V-ADV Finitum >> Abp>>S-ADV >>V-ADV

Übung: Abfolge der Supplemente

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