Stellung der Komplemente im Mittelfeld
Unter Komplementen werden hier Verbkomplemente verstanden (s. auch Primäre Komponenten des Satzes: Komplemente).
Die Abfolge der Komplemente im Mittelfeld wird durch mehrere Prinzipien geregelt, wonach die Komplemente nach ihrem syntaktisch-semantischen Status, ihrer morphologischen Realisierungsform und ihrer semantischen Rolle in verschiedene Stellungsklassen eingeteilt werden können. Diese übergeordneten Prinzipien müssen berücksichtigt werden, um die Stellungsklassen kasusbestimmter Komplemente nach ihrer syntaktischen Funktion (als Subjekt, Akkusativ-, Dativ- oder Genitivkomplement) zu bestimmen und in einer Gesamtabfolge der Komplemente darstellen zu können.
Bezogen auf eine konkrete satzförmige Äußerung gelten für die Prinzipien der Wortstellung im Mittelfeld folgende Bedingungen:
- sie stellen mehr oder weniger stark ausgeprägte Tendenzen dar, keine festen Stellungsregeln
- sie sind nicht isoliert zu betrachten: eine Stellungseinheit kann mehreren Stellungsklassen gleichzeitig zugeordnet werden
- sie können sich gegenseitig im Zusammenspiel verstärken oder in Konkurrenz zueinander treten
Neben den hier erläuterten Stellungsprinzipien sind immer auch die Intonation und die Informationsstruktur der Sätze zu berücksichtigen. Im Satz hängt die Stellung der Komplemente auch von der Stellung der Supplemente ab, die Interaktion dieser primären Komponenten wird in der Gesamtabfolge der Komplemente und Supplemente im Mittelfeld behandelt.
Stellungsklassen
Kernkomplemente
Komplemente lassen sich nach ihrem syntaktisch-semantischen Status (s. Komplemente und ihre Leitformen) in zwei Stellungsklassen einteilen :
- Kernkomplemente: Subjekt, Akkusativ-, Dativ-, Genitiv- und Präpositivkomplement
- Nicht-Kernkomplemente: Prädikativ-, Adverbial- und Verbativkomplement
Kernkomplemente (+KRN) | Nicht-Kernkomplemente (–KRN) |
Subjekt (Ksub): Bei dieser Katastrophe hat er seine Familie
verloren. Akkusativkomplement (Kakk): Viele Jahre lang hat er seine Frau betrogen. Dativkomplement (Kdat): [...], weil er dem Personalchef unverantwortbare Zusagen gemacht hatte. Genitivkomplement (Kgen): Wir alle gedenken seiner tiefen Menschlichkeit mit großer Verehrung. Präpositivkomplement (Kprp): Ich hatte zunächst über seine Antwort nicht genauer nachgedacht. | Prädikativkomplement
(Kprd): Schließlich wurde er
Handballtrainer. Adverbialkomplement (Kadv): Wir lagen vor Madagaskar. Verbativkomplement (Kvrb): Die Reform hat endlich zu wirken begonnen. |
Die folgenden Beispiele zeigen die Abfolge von Kernkomplementen (+KRN) und
Nicht-Kernkomplementen (–KRN) im Mittelfeld (die Satzklammerteile sind farbig, Komplemente fett
markiert):
Nicht-Kernkomplemente stehen i. d. R. am rechten Rand des Mittelfelds. Zu dieser Stellungsklasse zählen auch die nicht-verbalen Teile von Nominalisierungsverbgefügen (im Beispiel grün markiert), z. B.:
Nicht alle Realisierungsformen von Komplementklassen sind mittelfeldfähig. Satzförmige Realisierungen scheiden z. B. für die Mittelfeldstellung aus oder sind nur stark markiert möglich.
* Die einschlägige Forschung hat, dass dies ein Trugschluss ist, schon lange bewiesen.
+KRN » –KRN
Die interne Abfolge innerhalb der Stellungsklasse der Kernkomplemente, d. h. nach welchem Prinzip linearisiert wird, wenn mehrere Komplemente mit verschiedenen syntaktischen Funktionen (Ksub/Kakk/Kdat/Kgen) zusammen vorkommen, lässt sich anhand der folgenden Beispiele illustrieren:
Da Genitiv- und Dativkomplemente nie zusammen vorkommen, bilden sie eine einzige Stellungsklasse. Es gilt generell folgende Regel für die Abfolge kasusbestimmter Kernkomplemente:
Präpositivkomplemente tendieren gegenüber den anderen (kasusbestimmten) Kernkomplementen dazu, weiter rechts im Mittelfeld zu stehen:
Weitere Stellungsklassen
Obwohl die Reihenfolge der Komplemente in den folgenden beiden Beispielen von der oben formulierten Regel abweicht, handelt es sich in beiden Fällen dennoch um eine unmarkierte Mittelfeldfolge. In (9) werden die Komplemente teilweise durch Pronominalphrasen realisiert (vgl. auch (8)). In Beispiel (10) ist das Subjekt unbelebt:
schlug ihn (Kakk) der 29-Jährige (Ksub) mit der Faust (Kadv) ins Gesicht (Kadv). (Nürnberger Nachrichten, 25.10.2005)
(10) Gelingt dem smarten Rheintaler (Kdat) nun die Revanche (Ksub)? (St. Galler Tagblatt, 18.03.2008)
Als Erklärung müssen weitere Stellungsprinzipien herangezogen werden, die morphologische Realisierungsformen und die semantischen Rollen der Komplemente berücksichtigen:
Personalpronomina
Die Stellung der Komplemente im Mittelfeld wird auch durch unterschiedliche morphologische Realisierungsformen bestimmt. Komplemente, die durch bestimmte pronominale Subklassen realisiert werden, unterscheiden sich in Bezug auf ihre Stellungsfolge von anderen Realisierungsformen, wie z. B. Nominalphrasen (das Geld) oder Pronominalphrasen mit Vertretern anderer pronominaler Subklassen (dieser, meine, jemand):
- Kommunikanten-Pronomina (Sprecher- und Hörer-Pronomen): ich, wir; du, ihr, Sie + Flexionsformen
- anaphorisches Personalpronomen: er, sie, es + Flexionsformen
- gebundenes Personalpronomen (Reflexivpronomen): sich
- generalisierendes Personalpronomen: man
Zur gleichen Stellungsklasse gehören im Mittelfeld auch die nicht-phorischen (–phor) Verwendungsweisen der Form es (Korrelat- und fixes es), die keine Komplemente realisieren, sondern als reine Stellungseinheiten zu betrachten sind (vgl. Beispiel 13).
Die folgenden Beispiele zeigen unmarkierte Abfolgen von Personalpronomina
(fett) und Nicht-Personalpronomina:
(12) Ob sich der Beschenkte auch lieb gefreut hat, berichten wir im nächsten Jahr. Wenn es (Kakk) uns (Kdat) jemand (Ksub) verrät. (Frankfurter Rundschau, 19.12.1998)
Die Abfolge innerhalb der Stellungsklasse der Personalpronomina illustrieren folgende Beispiele:
(15) Dr. Wenzel brachte mir das Manuskript. Nach Fertigstellung brachte ich (Ksub) es (Kakk) ihm (Kdat) in seine Wohnung (Kadv).
Auch bei der Realisierung als Personalpronomina ist im Mittelfeld (Ksub ») Kakk » Kdat/gen die typische, d. h. unmarkierte Abfolge. Dabei ist – anders als bei den nominalen Realisierungen – die Kasusform entscheidend, das Belebtheitsprinzip, das im folgenden Abschnitt erläutert wird, spielt keine Rolle.
Neben den bisher formulierten Stellungsprinzipien kann auch ein weiteres sehr allgemeines und auf verschiedenen Ebenen wirksames Prinzip beschrieben werden:
Die Wirkungsweise dieses Prinzips lässt sich im Mittelfeld anhand der Abfolge der Personalpronomina illustrieren. Es bezieht sich zum einen auf die Anzahl der Silben und zum anderen auf die Länge der Vokale pronominaler Formen: Zweisilbige Formen (alle Genitiv-Formen, Dativ-Plural/-Distanzform ihnen) stehen nach einsilbigen Formen (alle anderen Formen). Dem Prinzip kurz >> lang entspricht auch die Stellung bestimmter Realisierungsformen von Komplementen, z. B. die Nachstellung von Nominalphrasen und Präpositionalphrasen gegenüber Pronominalphrasen. Dies ist aber größtenteils auch durch die anderen Stellungsprinzipien erklärbar: Die längeren Formen entsprechen i. d. R. den weiter rechts stehenden pronominal realisierten kasusbestimmten Kernkomplementen (zweisilbilge Pronomina) und Nicht-Kernkomplementen (z. B. Präpositiv- und Adverbialkomplement).
Das Prinzip kurz >> lang wurde schon als "Gesetz der wachsenden Glieder" von Otto Behaghel (1932) beschrieben und besagt, "daß von zwei Gliedern, soweit möglich, das kürzere vorausgeht, das längere nachsteht."
Belebtheit
In den unmarkierten Mittelfeldfolgen der Beispiele (17) bis (20) weisen die Komplemente unterschiedliche semantische Rollen in Bezug auf Belebtheit (bzw. einen höheren Grad von Handlungsfähigkeit) auf. Die Träger belebter Rollen (+bel) sind handlungsfähig und stehen häufig voran, die Träger unbelebter Rollen (-bel) sind meistens nachgestellt. Tendenziell gilt das nicht nur für Lebewesen, sondern auch für (von Menschen geschaffene) Institutionen (19, 20):
Sehr häufig kommt dieses Prinzip auch bei dreiwertigen Verben mit Dativ- und Akkusativkomplement wie geben, schenken, senden, überlassen, gewähren, verkaufen, leihen, wegnehmen, stehlen, entziehen, verweigern und übermitteln, mitteilen, erzählen, gestehen, berichten, schildern, vorschlagen (Mitteilungsverben) zur Geltung.
+bel » –bel
Einige Beispiele für die Abfolge von nominalen Komponenten im Mittelfeld:
Sie können heute dem Gastgeber+bel Blumen–bel auch in durchsichtigem Papier übergeben.
Schon als Medizinstudent waren Salk+bel die Ungereimtheiten der gängigen Impfstofftheorie–bel aufgefallen. (Zeit, 3.5.1985, 82)
Gesamtabfolge der Komplemente
Die grammatisch determinierte Mittelfeldfolge der Komplemente in sachlich-neutraler Rede ist in der folgenden Übersicht zusammengefasst:
Die mögliche Stellung von pronominalem Kakk/dat vor nominalem Ksub ist der grafischen Klarheit zuliebe hier nicht berücksichtigt.
Übung: Syntaktisch-semantischer Status
Übung: Komplemente: syntaktische Funktion
Übung: Syntaktische Funktion: pronominale Abfolgen