Heischemodus
Unter allen Modi kommunikativer Ausdruckseinheiten ist - wie schon die fast archaische Bezeichnung vermuten lässt - der Heischemodus sicher am wenigsten gebräuchlich.
Der Formtyp des Heischemodus basiert auf unmarkierten Verbzweit- und markierten Verberst-Versionen des Aussagesatztyps. Modus-prägendes Formmerkmal ist der Konjunktiv Präsens:
Formtyp des Heischemodus | Verbzweit- oder Verberst-Stellung Verbmodus = Konjunktiv Präsens formtypkongruente Intonation: Grenztonmuster fallend |
In der Regel werden nur Formen der 3. Person Singular oder Plural des Konjunktiv Präsens verwendet.
Das gebe Gott.
Lang lebe der König.
Des Schwertes Ehre werde Schwyz zuteil.
(Friedrich Schiller, Wilhelm Tell)
Auch 1. und 2. Person Singular sind möglich, eindeutig abgrenzbar jedoch nur bei sein oder heischesatztypischem mögen.
(Friedrich Schiller, Die Bürgschaft)
Gelobet seist du, Jesu Christ.
Möget ihr immer glücklich leben und nie enttäuscht werden.
Ein Satz wie der folgende, bei dem nicht zwischen Konjunktiv und Indikativ zu unterscheiden ist, wird als Sonderform des Adhortativs betrachtet.
(N.N als Mephisto in: W. J. v. Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil)
Vor allem bei mögen sind auch Formen des Präsensperfekt möglich.
Verberst-Stellung ist bei mögen häufig, sonst vorwiegend in formelhaften Wendungen sowie Sentenzen und standardisierten Mustern möglich, ferner in Heischesätzen mit Indefinit-Ausdrücken, die dem Aufforderungsmodus besonders nahestehen, zum Teil auch nicht von ihm zu unterscheiden sind.
Sei 'M' eine beliebige Menge.
Nehme mal einer diesen vollen Aschenbecher vom Tisch.
versus
Nimm einer diesen vollen Aschenbecher vom Tisch.
(Aufforderungssatz)
Hole einer mal eine Flasche Wein aus dem Keller.
(Imperativform = Konjunktiv-Präsens-Form)
Verberststellung ist generell ausgeschlossen in Heischesätzen mit man oder in Sätzen mit sein-Passiv.
(die tageszeitung 25.1.1992, 20)
Man erinnere sich, daß auch erst der gute Goethe hundert Jahre nach ihrem Beginn die erste Revolution gesehen hat aus einer gewissen historischen zeitlichen Perspektive aus einem gewissen zeitlichen Abstand heraus.
(Freiburger Korpus, 19. Bergedorfer Gespräch. "Automatisierung - eine gesellschaftliche Herausforderung?", 38)
Die Nähe von Heischesätzen zu Aufforderungssätzen ist unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen der interaktive Status einer Bezugnahme auf Erfüllungswissen. Heischesätze, bei denen kein Adressatenbezug möglich ist (beliebiger Subjektausdruck außer einer, keiner, man), können nicht wie Aufforderungen wirken.
Wenn man über einen in Australien lebenden Bekannten sagt:
so wird damit kein erst noch herzustellender Zustand ins Spiel gebracht, denn es ist aus der Sicht des Sprechers keineswegs ausgeschlossen, dass der Bekannte dort glücklich ist.
Relativ zum Äußerungsintervall gelten die üblichen Interpretationen von Präsens und Präsensperfekt. Das Betrachtzeitintervall für den erwünschten Sachverhalt überlappt im Präsens mit der Sprechzeit, bei Präsensperfekt liefert es die Orientierungszeit, relativ zu der die Aktzeit in der Vergangenheit liegt. Auch Verlagerung in die Sprechzeitzukunft ist möglich. Die Interpretation von Ausgangs- und Zielzustand als gleichzeitig ist nur in Heischesätzen mit mögen gegeben, wo die Interpretation als Wunsch durch das Modalverb gestützt wird.
Sätze wie Sei M eine beliebige Menge dienen zur Spezifikation von Voraussetzungen in definitorischen Zusammenhängen: Man nehme an oder setze voraus, dass M eine beliebige Menge ist. Eine Überschneidung der Modi Aufforderung und Heischen ergibt sich auch an der Peripherie des Aufforderungsmodus, insofern als bestimmte Aufforderungssätze nur zum Vollzug von Wünschen gebraucht werden können.
* Werde nie enttäuscht!
Beide Modi überlappen sich so:
Die Errichtung eines eigenen peripheren Heischemodus wird dadurch gestützt, dass das Merkmal '+Konjunktiv Präsens außerhalb von Indirektheitskontexten nur bei Voll- oder Obersätzen mit der speziellen Heischefunktion vorkommt: Ein Satz wie
ist entweder Teil eines Indirektheitskontextes oder ein Heischesatz. Die zweite Lesart kann gekennzeichnet sein durch die heische- (und aufforderungs-)spezifischen Partikeln ruhig, ja (mit Gewichtungsakzent), bloß, nur. Andererseits ist auch die Tatsache motivierbar, dass der Formtyp des Heischemodus auf dem Aussagesatztyp aufbaut: Heische-Sätze zielen in der Regel auf Herstellung von Vorfindlichkeit, also auf künftiges repräsentatives Wissen.