Dass- und ob-Sätze
Die Wahl des Subjunktors ist durch zwei semantische Aspekte bestimmt:
Auf die Diskussion der beiden Aspekte folgt eine zusammenfassende Übersicht und die Klassifikation der Prädikatsausdrücke des Obersatzes nach regierten Untersätzen.
Faktizität des Redehintergrunds
Faktische Redehintergründe werden durch Prädikatsausdrücke des Obersatzes geschaffen, die über Verhältnisse in der wirklichen Welt prädizieren. Nicht-faktische Redehintergründe entstehen dagegen, wenn Prädikatsausdrücke des Obersatzes lediglich über Einstellungen von Personen prädizieren, also darüber, was sie denken, hoffen usw. So hat man es in Aussagen, wie
(1a) Peter hatte (längst) vergessen, ob Maria verheiratet war.
mit faktischen Redehintergründen zu tun, denn es geht in beiden Fällen um Peters Erinnerung an einen Sachverhalt der realen Welt, und zwar unabhängig davon, ob der Wahrheitswert der diesen Sachverhalt bezeichnenden Proposition wie im dass-Satz bekannt oder wie im ob-Satz unbekannt erscheint. Dagegen ist der Redehintergrund in einer Aussage wie
nicht-faktisch, denn es geht hier um einen Sachverhalt, der zunächst nur Gegenstand Peters Hoffnung ist und keine Gegebenheit der realen Welt. Mit nicht-faktischen Redehintergründen treten nur dass-Sätze auf. Solche Redehintergründe werden etwa durch folgende Prädikatsausdrücke eingeführt: glauben, vermuten, denken, der Meinung sein, überzeugt sein, hoffen, fürchten, möglich sein, notwendig sein, Glaube, Hoffnung.
Wahrheitsbestimmtheit
Wie oben angedeutet, wird in Sätzen mit faktischen Redehintergründen ein anderer Subjunktor gewählt, je nachdem ob der Wahrheitswert der Untersatzproposition bestimmt ist oder nicht. Dies hängt zum Teil mit dem Prädikatsausdruck des Obersatzes zusammen, denn dieser lässt oft nur dass oder nur ob zu. Daneben gibt es aber eine Reihe von Prädikatsausdrücken (wie vergessen, vgl. oben (1) und (1a)), die beide Subjunktoren zulassen (zur Klassifikation der Prädikatsausdrücke des Obersatzes).
Dass wird in wahrheitsbestimmten Termsätzen verwendet, d. h. dann, wenn der Wahrheitswert der Untersatzproposition in der jeweiligen Verwendung als wahr oder falsch bestimmt ist. Es sind dabei zwei Fälle zu unterscheiden:
1. Für die Interpretation des Obersatzes wird die Wahrheit der mit dem dass-Satz bezeichneten Proposition vorausgesetzt (faktiver Fall). Bei Negation im Obersatzrest ändert sich der Wahrheitswert der Untersatzproposition nicht.
(3a) Ich bedaure (es) nicht, dass Sie durch mich in Schwierigkeiten geraten. [+wahr]
Man vergleiche auch (1) und (1b):
(1b) Peter hatte nicht vergessen, dass Maria verheiratet war. [+wahr]
2. Die Wahrheit bzw. Falschheit der mit dem dass-Satz bezeichneten Proposition richtet sich nach der Gültigkeit bzw. Ungültigkeit der übergeordneten Charakterisierungsrelation (implikativer bzw. negativ-implikativer Fall). Bei Negation im Obersatzrest ändert sich der Wahrheitswert der Untersatzproposition.
(4a) Es stimmt nicht, dass sein Finanzberater ein Hochstapler ist. [-wahr]
Im zu 1 komplementären Fall, also wenn für die Interpretation des Obersatzes die Untersatzproposition den Wahrheitswert 'falsch' haben muss bzw. wenn der Sprecher die Frage der aktualen Wahrheit offen lässt (in beiden Fällen werden die Untersätze als [-wahr] markiert), können dass-Sätze nicht verwendet werden. Diese "Bezeichnungslücke" im System der Termsätze füllen adverbiale wenn-Sätze in Komplementfunktion (z. T. auch Infinitivkonstruktionen) aus:
(5a) Ich hätte (es) nicht bedauert, wenn Sie durch mich in Schwierigkeiten geraten wären. [-wahr] (kontrafaktisch aus Sprechersicht)
(6) Ich werde (es) bedauern, wenn Sie durch mich in Schwierigkeiten geraten. [-wahr] (potenzial aus Sprechersicht)
(6a) Ich werde (es) nicht bedauern, wenn Sie durch mich in Schwierigkeiten geraten. [-wahr] (potenzial aus Sprechersicht)
Ob wird in wahrheitsunbestimmten Termsätzen mit faktischen Redehintergründen verwendet:
(7) Der Richter fragte, ob sich die Angeklagte an den Unfall erinnere.
(8) Die Staatsanwaltschaft forschte nach, ob der Fahrer tatsächlich seit zwei Jahren keinen Alkohol mehr trank.
Übersicht und Klassifikation der Prädikatsausdrücke des Obersatzes
Während der Subjunktor ob nur für wahrheitsunbestimmte Propositionen mit faktischen Redehintergründen gebraucht wird, hat dass zwei unterschiedliche Verwendungen: einerseits als der Subjunktor für wahrheitsbestimmte Propositionen mit faktischen Redehintergründen, andererseits als der Subjunktor für Propositionen mit nicht-faktischen Redehintergründen. Die Zusammenhänge zwischen den semantischen Eigenschaften der Termsätze und den Subjunktoren veranschaulicht die folgende Grafik, wobei die Verben in Klammern Beispiele für Prädikatsausdrücke sind, die entsprechende Untersätze regieren.
Prädikatsausdrücke des Obersatzes lassen sich nach den von ihnen regierten Untersätzen klassifizieren:
- Termsätze mit nicht-faktischen Redehintergründen
(dass-Sätze):
z. B.: glauben, vermuten, denken, der Meinung sein, überzeugt sein, hoffen, fürchten, möglich sein, notwendig sein, Glaube, Hoffnung - wahrheitsbestimmte Termsätze mit faktischen Redehintergründen
(dass-Sätze):
z. B.: bestreiten, leugnen, bezweifeln, bestätigen, bedauern, sich freuen, stimmen, richtig sein, bedauerlich sein, Freude, Bedauern - wahrheitsbestimmte und wahrheitsunbestimmte Termsätze mit faktischen
Redehintergründen (dass- und ob-Sätze):
z. B.: wissen, erfahren, bemerken, sich erinnern, vergessen, lernen, entdecken, sagen, zeigen, informieren, entscheiden, bestimmen, raten, sehen, hören, vorhersagen, wichtig sein, bekannt sein, (un)klar sein, offensichtlich sein, Wissen, Erinnerung - wahrheitsunbestimmte Termsätze mit faktischen Redehintergründen
(ob-Sätze):
z.B.: fragen, nachforschen, untersuchen, prüfen, Erkundigungen einziehen, neugierig sein, Frage, Zweifel, Unterschied, Probe