Explizite Nomenderivate

Morphosyntaktische Eigenschaften

Die Basen expliziter Nomenderivate sind vielfältig.


NominaDichterling
Häschen
Lehrerin
AdjektiveFrechling
Gemeinheit
Liebchen
Verben
Verbderivate
Präverbfügungen
Läufer
Begehung
Ausrutscher
KonfixeChronist
Demonstration
Zynismus
PhrasenDickhäuter


Vgl. zu den in der Forschungsliteratur als Zusammenbildungen verstandenen Bildungen des Typs Dickhäuter Zusammenbildung.

Die Wortbildungsaffixe sind unterschiedlich an der Bildung expliziter Nomenderivate beteiligt, Präfixe und Suffixe deutlich häufiger als Zirkumfixe.


PräfixnominaUntat
SuffixnominaSchönheit
ZirkumfixnominaGerede


Präfixnomina

Viele Präfixe expliziter Nomenderivate wie erz (Erzfeind), hyper (Hyperinflation), mega (Megaparty), un (Untat) und ur (Urzeit) werden auch zur Derivation von Adjektiven verwendet. Mit Verben und Adjektiven gemeinsam ist etwa ko (Koautor) und miss (Missmanagment). Einige Präfixe kommen aber auch ausschließlich bei der Nomenbildung vor, etwa ex (Exgatte). Besonders im Präfixbereich haben sich zahlreiche entlehnte Einheiten etabliert wie inter, multi, neo, post, prä, vize.

Suffixnomina

Im Gegensatz zu Präfixen können Suffixe nicht zur Bildung von Wörtern verschiedener Wortarten herangezogen werden; sie bestimmen ja die morphosyntaktischen Merkmale wie die Wortart, sind also wortartspezifisch. Basen sind vor allem Wörter wie in Schönheit und Konfixe wie in identisch, mitunter auch Sätze und Phrasen wie in blauäugig. Basis solcher Bildungen sind häufig neben Verben auch Präverbfügungen.

Acht der neun liberianischen Flüchtlinge, die von der Wasserschutzpolizei auf einem maltesischen Frachter als "Einschleicher" verhaftet worden waren.
(die tageszeitung 29.2.1996, 21)

Systematische Beschränkungen gibt es hier offenbar nicht, daher finden sich auch zahlreiche Okkasionalismen.

Hinrichs spielt den esoterischen Einflüsterer, den käuflichen Versteher sehr charmant.
(die tageszeitung 26.5.2009, 15)

Sie, die Studenten von heute, sind die Entscheider von morgen!
(Werbung von BASF im Programmheft zum 3. Mannheimer Sprachfestival 1997, o. S.)

Zirkumfixnomina

Die Zirkumfigierung ist auf das Zirkumfix ge...e beschränkt. Als Basis für Zirkumfixnomina kommen außer Verben auch Präverbfügungen vor, wobei jeweils nur ein Verb wie brüllen zirkumfigiert wird, Präverbien wie an werden morphologisch abgetrennt:

Angebrülle
Eingeschleime
Durchgekaue
Herbeigerede
Rumgespringe
Zugeklotze

Semantische Eigenschaften

Präfixnomina

Präfixe der Nomenderivation determinieren die Basis: So bezeichnet Megaparty 'eine Party, und zwar eine besonders große, großartige, herausragende'. Vgl. mega.

Suffixnomina

Ein Suffix dagegen kann ein Transponierer, ein Determinans oder ein Determinatum sein: Suffixe transponieren wie in Schönheit, Versuchung; hier ändert sich die grammatische Funktion, jedoch nicht die kategorielle Bedeutung. Außerdem determinieren Suffixe: So determiniert das Suffix ling in Dichterling Dichter als 'Dichter, und zwar ein schlechter, ein lächerlicher'; das Suffix in in Lehrerin determiniert Lehrer als 'Lehrer, und zwar ein weiblicher'. Schließlich werden Suffixe determiniert, wie chen durch sensibel in Sensibelchen 'jemand, und zwar jemand, der besonders sensibel ist'. So auch ling durch lehr in Lehrling 'jemand, und zwar jemand, der gelehrt wird'. Vgl. Transponierendes, determinierendes und determiniertes Affix.

Mit der nominalen Suffixderivation werden unter anderem Personenbezeichnungen gebildet wie Asylant, Liebchen, Schönling. Vgl. auch Wortbildungsprodukte, die Personen bezeichnen. Vor allem leiten Sprecherschreiber mit dem Suffix er Nomina agentis ab, also Nomina, die handelnde Lebewesen bezeichnen wie Argumentierer, Bäcker, Bastler, Boxer, Erbauer, Jogger, Lerner, Leugner, Prüfer, Randalierer, Sprinter, Verkäufer, Zweifler beziehungsweise Geräte, die als Handlungsträger wahrgenommen werden wie Entsafter, Leuchter, Mixer, Plattenspieler. Vgl. Einige Lesarten zu nominalen Wortbildungsprodukten.

Zirkumfixnomina

Durch Zirkumfigierung mit ge...e leiten Sprecherschreiber vor allem nomina actionis ab, also Nomina, die eine Tätigkeit ausdrücken.

Geblubbere
Gedränge
Gefauche
Gehopse
Geklimpere
Gemeckere
Gerede
Gezanke

Diese Bildungsmöglichkeit wird auch häufig okkasionell genutzt.

Bundestagspräsidentin Antje Vollmer und Außenminister Kinkel meiden das wichtigtuerische Gejette.
(die tageszeitung 23.12.1996, 4)

Das Wetter bis Samstag früh: Ungut launisch im Norden, zwangsneurotisches Geregne, Geböe und Geschaure im ganzen Land.
(die tageszeitung 1.11.1996, 20)

Mit ge...e werden Nomina meist abgeleitet, um - unabhängig von der negativ oder positiv bewerteten oder neutralen Verbbasis - ein negativ bewertetes Tun auszudrücken: Zum Beispiel vom Gerede des Bundespräsidenten zu sprechen ist einigermaßen despektierlich. Vgl. aber daneben eher positive Bildungen.

Über dem Goldgelb des Rapsfeldes das Geschäume der Kirschbäume.
(Rezzori 1994, 6)

Weniger genutzt wird die Möglichkeit, Kollektiva, also Sammelbezeichnungen, mit Nomenbasis zu bilden: Gebirge 'Ansammlung vieler Berge', so auch Gestänge.

Abgrenzung zu ähnlichen Phänomenen

Nicht hierher gehören sprachhistorisch relativ alte nomina actionis wie Getratsch, Gezänk und Kollektiva wie Geäst, Gebüsch, Gefieder, Gestüt, Gewölk, Gewitter. Bildungen dieses Typs sind offenbar nicht zirkumfigiert, wobei das e des Zirkumfixes apokopiert worden wäre, d. h. im Verlauf der Sprachgeschichte entfiel. Vielmehr ist es, wie Olsen 1991 zeigt, auf eine althochdeutsche Flexionseigenart zurückzuführen, also überhaupt nicht durch Wortbildung entstanden. Häufig sind die älteren und gegenwartssprachlich unproduktiven e-losen Formen Parallen zu den heutigen hochproduktiven wie Geheul und Geheule, Gestöhn und Gestöhne.