Rekursive Anwendung

Charakteristisch für die Modalverben ist, dass mehrere Modalverben gemeinsam vorkommen können. Dabei operiert das finite Modalverb auf einem Modalverb-Infinitiv-Komplex. Der Modalverb-Infinitiv kann seinerseits entweder auf einem Vollverb (vgl. (1)) oder einem weiteren Modalverb-Infinitiv-Komplex operieren (vgl. (1a)):
Rekursive Anwendung der Modalverben

In der Regel kommen allerdings nur Doppelmodalisierungen wie (1) vor, Einheiten wie (1a) liegen wohl an der Grenze verarbeitbarer Komplexität, vgl. auch:

(2) Auf 22 Seiten hatte im Juni 1983 ein Gutachtergremium befunden, dass Frauen grundsätzlich zum Bund wollen, aber nicht müssen dürfen: freiwillig ja, gezogen nein, und jedenfalls ohne Waffe. (Spiegel, 8.6.1987, 55)
(3) Sind aber alle Menschen nur frei, das zu tun, was sie wollen und wollen können (hier nähere ich mich von einer ganz anderen Ecke her Nolte), so ist auch die Menschheit nicht frei, unterzugehen oder nicht. (Spiegel, 27.7.1987)

Für die Kombinierbarkeit von Modalverben gibt es die klare Einschränkung, dass epistemisch verwendete Modalverben nur als finiter Bestandteil des Verbalkomplexes, d. h. als äußerster Operator, vorkommen können. Diese Einschränkung ist semantisch bedingt: Die Annahmen des Sprechers können nicht erst vor anderen Redehintergründen entwickelt werden, sondern müssen jeweils den "ersten" Redehintergrund bilden. In (4) liegt epistemische Verwendung von muss vor:

(4) Diese Entwicklung muss sich wohl schneller vollziehen können, als wir gedacht hätten. Sonst würden nicht diese Ergebnisse vorliegen.

In (4a) kann müssen hingegen nicht epistemisch interpretiert werden:

(4a) Diese Entwicklung kann/wird/soll sich schneller vollziehen müssen, als wir gedacht hatten.

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