Übereinstimmungen zwischen Halbmodalen und Modalverben

Die Halbmodale zeigen Übereinstimmungen mit den Modalverben in Bezug auf:

Valenzübertragung

Halbmodale haben keinen eigenen Valenzrahmen, sondern übertragen den des zu-Infinitivs auf den gesamten Verbalkomplex (Merkmal 4 der Modalverben, vgl. Valenzübertragung und Konversion). Man vergleiche jeweils:

(1) Dass ich heute nicht kommen kann, schien ihm einzuleuchten.
(1a) Dass ich heute nicht kommen kann, leuchtete ihm ein.
(2) Die Krise in Argentinien droht sich auszuweiten.
(2a) Die Krise in Argentinien weitet sich aus.
(3) Die Filme von Kieslowski pflegen schlecht auszugehen.
(3a) Die Filme von Kieslowski gehen schlecht aus.

Allerdings bringt scheinen zuweilen ein fakultatives Dativkomplement zusätzlich mit ein:

(4) Diese Frau scheint mir intelligent zu sein.

Durch die Valenzübertragung kann es auch dazu kommen, dass im Satz mit scheinen oder pflegen als Halbmodal Komplemente erscheinen, die beim gleichen Verb im Vollverbgebrauch nicht zugelassen sind. So sind bereits ein Subjunktorsatz wie in (1) und ein unpersönliches Subjekt wie in (3) bei scheinen bzw. pflegen als Vollverben nicht zugelassen, vgl.:

(1b) * Dass ich heute nicht kommen kann, schien (hell).
(3b) * Die Filme pflegten mich.

Das Fehlen eines eigenen Valenzrahmens wird besonders deutlich bei Infinitiven ohne Subjekt, aber mit dativischem oder akkusativischem letztzubindendem Komplement:

(5) Ihm drohte/schien/pflegte schlecht zu werden.
(6) Ihn droht/scheint/pflegt zu schaudern.

Passiv des Vollverbs

Ebenso wie Modalverben lassen Halbmodale jede beim eingebetteten Vollverb mögliche Passivvariante zu:

(7) An diese Sache droht/scheint/pflegt ernsthaft herangegangen zu werden.
(8) Er droht/scheint/pflegt eins ausgewischt zu kriegen.
(9) Ihm droht/scheint/pflegt widersprochen zu werden.

Dabei sind bei drohen werden-Passiv-Konstruktionen mit Subjekt (vgl. auch Zweitakt-Passiv) nur dann synonym mit entsprechenden Aktivsätzen, wenn drohen als Halbmodal verwendet wird:

(10) Die Regierung drohte die Arbeiter zu unterdrücken.<=>
(10a) Die Arbeiter drohten von der Regierung unterdrückt zu werden.

Wird drohen als Vollverb verwendet, gibt es nur ein subjektloses werden-Passiv (vgl. auch Eintakt-Passiv).

(10b) Die Regierung drohte, die Arbeiter zu unterdrücken. <=>
(10c) Von der Regierung wurde gedroht, die Arbeiter zu unterdrücken.

Topologische Eigenschaften

Ebenso wie Modalverben verbinden sich Halbmodale mit dem Infinitiv in kohärenter Konstruktion. Im Subjunktorsatz steht der zu-Infinitiv links vom Halbmodal, und zwar bei scheinen und pflegen ausschließlich, bei drohen kann er auch rechts vom Halbmodal stehen, hier ist also auch inkohärenter Gebrauch möglich:

(11) ... weil die Wunde sich noch immer zu verschlimmern drohte/schien/pflegt.
(11a) * ... weil die Wunde noch immer schien/pflegte, sich zu verschlimmern.
(11b) ... weil die Wunde noch immer drohte, sich zu verschlimmern.

Deutlicher noch:

(12) ... weil die Situation noch immer drohte, recht unübersichtlich zu werden.

Einschränkungen im Formenparadigma

Ebenso wie bei Modalverben ist der Gebrauch des Partizip Perfekt bei Halbmodalen in der Regel ausgeschlossen:

(13) * Der Fluss hat über die Ufer zu treten gedroht/geschienen/gepflegt.

Immerhin möglich erscheint aber:

(13a) Der Fluss hätte über die Ufer zu treten gedroht, wäre das Hochwasser nicht schlagartig zurückgegangen.

Zum Text

Schlagwörter
Letzte Änderung
Aktionen
Seite merken
Seite als PDF
Seite drucken
Seite zitieren

Seite teilen