Pauschale Charakterisierung

Neben Charakterisierungen, bei denen klar erkennbar ein Gegenstand auszumachen ist, auf den sie angewandt werden, finden sich auch Charakterisierungen, bei denen offenbar kein Gegenstand der Charakterisierung namhaft gemacht wird:

In Warmbronn hat's gestern gehagelt.
Morgen ist schon wieder Samstag.
Da hat's furchtbar geblitzt.
So wurde es dunkel und wieder hell, war es mal kalt und mal warm, mal traurig, mal lustig.
(die tageszeitung, 02.05.1996, S. 23)
Danach klarte es wieder auf.
Mir war es plötzlich ganz unheimlich.
Uns ist nicht bange.
Es wird Abend.

Genauere Betrachtung zeigt, dass es in solchen Fällen auch gar nicht so ohne weiteres gelingt, einen Gegenstand namhaft zu machen: Wer oder was hagelt? Wer oder was wird Abend? Dennoch lässt sich auch für solche Charakterisierungen einigermaßen klar bestimmen, ob sie zutreffen oder nicht, und das setzt doch wohl voraus, dass da etwas ist, auf das sie angewandt werden. Da ausdrücklich nichts aufgeführt wird, können dies nur pauschal die Verhältnisse sein, die zum Zeitpunkt der Äußerung - der Sprechzeit - oder zu einer im Zuge der Äußerung bestimmten Orientierungszeit herrschen geherrscht haben oder herrschen werden. Man kann deshalb in solchen Fällen von pauschaler Charakterisierung sprechen.

Man kann auch bei pauschalen Charakterisierungen verschiedene Dimensionen unterscheiden, so etwa Charakterisierungen hinsichtlich

  • der Wetterlage:
    • Und hier in Berlin war es ein bißchen nervig, weil es in Strömen geregnet hat.
      (die tageszeitung, 08.07.1989, S. 40)
    • Es nieselt.
    • Es grisselt.
    • Es graupelt.
    • Es hagelt.
    • Es schneit.
    • Es hat Nebel.
    • Es blitzt.
    • Es donnert.
    • Es stürmt.
    • Es windet.

  • der Temperaturverhältnisse:
    • ... ich muß aufspringen, es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird mir so, dann wird mir so; ...
      (Karl Immermann: Münchhausen, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 96711)
    • Es ist warm und trocken, dann sinkt das Thermometer, die Abendsonne funkelt herüber, ...
      (Peter Altenberg, Wie ich es sehe, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 88)
    • Auf der Erde ist es schwül,
      In den Wassern ist es kühl,
      ...
      (Achim v. Arnim: Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 4994)
    • Nun bricht der Winter an, es friert; ...
      (Adalbert v. Chamisso, Gedichte (Ausgabe letzter Hand), Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 18073)
    • Es ist eisig.
    • Nun ging es in die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon Schnee.
      (Johann Gottfried Seume, Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 150863)
    • Aber es wurde wieder frei, und man sah weit in Gärten hinein, die immer künstlicher wurden, bis es dicht und lau an den Augen war wie in einem Treibhaus:
      (Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 142445)

  • der Lichtverhältnisse:
    • Und es ward Licht.
      (Genesis, 1:2)
    • ... doch es wird schon hell in den Gängen, sie könnten mich erkennen; ...
      (Achim v. Arnim, Die Kronenwächter. Zweiter Band, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 5712)
    • Hier stehen und gehen die Herren, stirbt die Dame nicht ganz, jeder durchbohrt jeden mit dem Schwert so lange, bis es dunkel wird.
      (Frankfurter Rundschau, 025.02.1999, S. 7)
    • In meinem Zimmer war es absolut dunkel, denn meine Eltern waren der Meinung, daß es einem Vierzehnjährigen nicht gut zu Gesicht stünde, sich bis ins Morgengrauen hinein vor dem Fernseher Schweinerock anzutun.
      (die tageszeitung, 27.08.1992, S. 12)
    • Es ist finster.
    • So schwatzten wir zusammen tief in die Nacht, und ich war schon wieder munter, als es tagte.
      (Johann Wolfgang v. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 55961)
    • Es dämmerte schon - und es war eine süße Maidämmerung - aber weder dieses noch der Gesang der nahe nistenden Philomele konnte die Priester der nachtwandelnden Themis irre machen.
      (Ludwig Börne, Schilderungen aus Paris, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 12334)
    • Es ist Nacht.

  • der Sichtverhältnisse:
    • Es war diesig, als wir im Kopenhagener Hafen einliefen.
      (www.tyskforlaget.dk/SpurenQT06Nyhavn.html)
    • Es trübte sich ein und so fanden wir das erste Zelt bei strömendem Regen. Schnell schlüpften wir unter das Ziegenhaar-Dach unter dem es wohlig warm war.
      (www.ehniss.de/reisebericht2001.htm)
    • Es wird wohl ein bißchen feucht gewesen sein, ein bißchen neblig und Abenddunst.
      (Theodor Fontane, Frau Jenny Treibel, Digitale Bibliothek Band 6: Fontane, S. 5108)
    • Beim letzten im Oktober packte die NPD bereits eine Stunde früher als geplant völlig entnervt ihren zerfetzten Schirm ein, es war trüb und zappenduster.
      (www.buendnis-gegen-rassismus.de/artikel_vorwort.htm)
    • Schauerwolken fallen in den Abendstunden auf Grund nachlassender Thermik oft in sich zusammen und es klart auf (zumindest vorübergehend).
      (www.meteoros.de/rainbow/regen_h.htm)

  • der Geräuschkulisse:
    • Es knackt im Nacken, ist alles verspannt, Schwindel, starke Kopfschmerzen und ich kann schlecht schlafen.
      (www.chiropraktik.ch/Deutsch/Ihre_Frage/ShowQA.cfm?ID=909)
    • Es rauscht im Hünengrab.
      (gutenberg.spiegel.de/grimm/sagen/g327.htm)
    • Es ist laut geworden hier. Sehr laut.
      (theaterelch.ch/ahab/deutsch/presse/bund.html)
    • Und es ward plötzlich unheimlich still auf dem Kapitol.
      (Paul Scheerbart, Immer mutig!, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 144664)
    • Es raschelt im Handywald.
      (www.telekom-presse.at/channel_mobile/news_6708.html)

  • eines Zeitpunkts oder Zeitraums:
    • Es war an einem schönen Winterabend kurz vor Weihnachten.
      (www.babywunder.de/spass/geschichte3.htm)
    • Und es ward Abend, und es ward Morgen: der erste Tag.
      (Genesis, 1:5)
    • Es ist gleich fünf, da bist du doch schon seit Stunden zu Hause.
      (www.storyair.de/humor/wahnsinnig_komisch.htm)
    • Es ist nie zu spät für die Liebe.
      (ingeb.org/Lieder/esistnie.html)
    • Es ist nie zu früh.
      (www.fafiz.muehlbauer-verlag.de/c149.html)

  • der Atmosphäre:
    • Denn in dem niedrig gewölbten Saale war es stickig, und kein anderes Licht fiel ein als ein gedämpftes von Flur und Treppe her.
      (Theodor Fontane, Grete Minde, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 26998)
    • Ich habe gleich einheizen müssen, weil es klamm und kalt war.
      (Theodor Fontane, Vor dem Sturm, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 26709)
    • Der Regen war schwächer geworden, aber es war feucht, kühl und dunkel, man würde im Dom wenig sehen, wohl aber würde sich dort, infolge des langen Stehens auf den kalten Fliesen, K.s Verkühlung sehr verschlimmern.
      (Franz Kafka, Der Prozeß, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 105921)
    • ... bei Südwinden ist dieser Flecken gut geschützt, lediglich bei Nordwestern wird es ziemlich zugig.
      (www.eudyptula.net/310800.html)
  • der Stimmung:
    • Den ersten und zweiten Tag ging es noch ziemlich gemütlich zu; ...
      (Gottfried Keller, Der grüne Heinrich [Erste Fassung], Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 107732)
    • Es ward ihnen unheimlich bei diesen Menschen, so daß sie dem Drängen ihrer Frauen, welche fortwollten, nachgaben und sich, so höflich sie konnten, beurlaubten.
      (Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 110307)
    • Es war halt gestern so a bissel lustig.
      (Ludwig Anzengruber, Das vierte Gebot, Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 1696)

Wie an den Beispielen deutlich wird, lassen sich die Dimensionen nicht immer scharf trennen. So werden etwa Charakterisierungen, die prima facie auf Helligkeitswerte bezogen sind, auch gebraucht, um Stimmungen zu charakterisieren. Diese Mehrfachnutzung von Mitteln der Prädikation ist keinesweg außergewöhnlich. Man findet sie, wo immer Charakterisierungen vorgenommen werden.

Neben genuinen Charakterisierungen pauschaler Art finden sich - in gewollter Abweichung von der Norm, die von Haus aus mindestens ein echtes Argument erwarten ließe - auch solche pauschale Charakterisierung:

Es wuchs und gedieh allenthalben.
In Südkorea gärt es seit Wochen.
Auch wenn es nicht so aussieht: Es arbeitet in meinem Kopf.
Jetzt wird getanzt.

Hier dient das Mittel der pauschalen Charakterisierung dazu, einen Gesamteindruck zu erfassen, bei dem bewusst alle Details ausgespart bleiben.

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