Zur Bedeutung adjektivischer Attribute
Adjektivische Attribute finden sich in Form von:
- einzelnen Adjektiven
- Folgen von Adjektiven
- Adjektivphrasen
Wie sich ein adjektivisches Attribut auf die Bedeutung einer damit erweiterten Nominalphrase auswirkt, lässt sich nicht pauschal bestimmen. Vor allem diese Gesichtspunkte sind zu berücksichtigen:
- Welche Relation besteht zwischen adjektivischem Attribut und seinem Bezugsnomen?
- Setzt das Attribut eine Wahrheitsbedingung unabhängig vom Kontext seiner Verwendung, oder wirkt sich dieser darauf aus, unter welchen Bedingungen das Attribut als zutreffend zu betrachten wäre?
- Wirkt das Attribut restriktiv oder nicht?
Adjektivisches Attribut und Bezugsnomen
Additiv subklassifizierend
Ein alter Mensch ist allemal ein Mensch, eben einer, auf den insbesondere zutrifft, dass er alt ist. Hier wirkt das adjektivische Attribut als weiteres Prädikat, das zu dem Prädikat hinzukommt, das mit seinem Bezugsnomen ausgedrückt wird. Adjektivische Attribute dieses Typs finden sich im Deutschen in großer Zahl. Hier nur einige wenige Beispiele:
(die tageszeitung, 07.05.1990, S. 26)
(Mannheimer Morgen, 16.12.1998, Nach der Saison feiern die Lebensretter)
(Berliner Zeitung, 07.11.2001, S. 15)
(Frankfurter Rundschau, 12.06.1997, S. 3)
Adjektivische Attribute dieses Typs wirken per Addition subklassifizierend. Zu den Wahrheitsbedingungen, die bereits mit ihrem Bezugsnomen gesetzt werden, kommen die Bedingungen hinzu, die sie selbst einführen. Entworfen wird damit ein Gegenstand, der sowohl der Klasse der Gegenstände angehört, auf die zutrifft, was das Nomen bestimmt, als auch der Klasse jener Gegenstände, auf die zutrifft, was das Attribut bestimmt. Der etwa mit ein zwei Zoll breites Brett zu entwerfende Gegenstand gehört damit der Schnittmenge beider Klassen an, hier veranschaulicht als Mischung zweier Farben:
Nicht-additiv subklassifizierend
Doch bei weitem nicht alle adjektivischen Attribute sind auf diese Weise zu interpretieren, wie bereits ein Blick auf die folgenden Beispiele zeigt:
(die tageszeitung, 29.09.1997, S. 9)
(die tageszeitung, 16.06.2001, S. V)
(Vorarlberger Nachrichten, 27.09.1997, Wo Picasso und Matisse Urlaub machten)
Die hier markierten Attribute bewirken keine additive Subklassifikation: Weder ist das Institut geophysikalisch, noch sind die Herren möbliert, noch ist der Wind wirklich französisch. Tatsächlich handelt es sich um ein Institut für geophysikalische Studien, um Herren, die in Unterkünften untergebracht sind, die samt Möbeln vermietet werden, und einen Wind, der über französischem Territorium weht. Den vorgelegten Phrasen selbst ist jedoch lediglich zu entnehmen. dass hier Geophysikalisches mit einem Institut, Herren mit Möbliertem und Wind mit Französischem in Zusammenhang gebracht wird. Für weitergehende Informationen bietet die kompakte Form der Attribution mittels Adjektiv oder Adjektivphrase keinen Raum. Die Interpretation bleibt hier ganz auf allgemeines Weltwissen und - vor allem bei den beiden letzten Beispielen - auf einigen Sprachwitz angewiesen.
Rückbezüglich subklassifizierend
Bestimmte adjektivische Attribute wirken nur indirekt subklassifizierend. Hier einige Beispiele:
(Frankfurter Rundschau, 17.06.1999, S. 6)
(LBC, S. 36, Sprecher: Heinrich Böll)
(Jens Reich, 1994 in SDR 3: Leute)
(die tageszeitung, 18.05.1988, S. 6)
(Berliner Zeitung, 04.05.2000, S. 44)
Die Leistung adjektivischer Attribute dieser Klasse besteht darin, einen Gegenstandsentwurf zu einem bereits vorgenommenen Gegenstandsentwurf in Beziehung zu setzen, ohne darüber hinaus selbst eine weitere Wahrheitsbedingung ins Spiel zu bringen. Da auch die Ordinalzahlen zu dieser Klasse gehören, hat sie tatsächlich unendlich viele Elemente. Charakteristisch für Attribute dieser Art ist, dass sie zwar selbst nicht subklassifizierend wirken, jedoch jederzeit vom Zutreffen der erweiterten Nominalphrase auf das Zutreffen der nicht erweiterten Phrase geschlossen werden kann. So ist etwa jedes weitere oder gleiche Haus allemal ein Haus.
Nicht subklassifizierend
Bestimmte adjektivische Attribute heben die Wahrheitsbedingungen auf, die für die nicht-erweiterte Nominalphrase gelten. Hier einige Beispielen:
(die tageszeitung, 21.01.1998, S. 6)
(Mannheimer Morgen, 24.03.1998, Der erste weibliche Weltstar)
Hier kommen zu den Wahrheitsbedingungen, die mit den Bezugsnomina gesetzt wurden, nicht weitere hinzu. Hier verändert sich vielmehr mit dem Attribut die Funktion des Gegenstandsentwurfs, der mit dem Bezugsnomen vorgenommen wird. Er dient nicht als eine Art Grobskizze, die es zu verfeinern gilt, sondern als Ausgangspunkt für den Entwurf eines Gegenstands, der zwar zu Gegenständen, wie sie mit dem Bezugsnomen zu entwerfen wären, in einer wesentlichen Beziehung steht, jedoch diesen nicht zuzurechnen ist.
Im Fall von halb- geschieht dies durch eine Reduktion der Wahrheitsbedingungen. Dabei bleibt, trotz der numerisch eindeutigen Angabe, meist unklar, um was genau reduziert wird. Lediglich bei Angaben wie ein halbes Prozent oder ein halbes Duzend liegt eine eindeutig Bestimmung vor. Bei Phrasen wie etwa halbes Haus kann, je nach Kontext, durchaus verschiedenes gemeint sein:
(die tageszeitung, 04.02.1994, S. 24)
(die tageszeitung, 14.11.1994, S. 13)
Im Fall von vermutlich- oder vermeintlich wird nicht reduziert, sondern modalisiert. Die Bedingungen, die mit dem Bezugnomen zu setzen wären, können zutreffen, müssen aber nicht zutreffen: Die vermeintlichen Feinde, können Feinde sein, möglicherweise sind sie aber auch keine Feinde.
Subklassifizierend oder nicht-subklassifizierend abhängig vom jeweiligen Gegenstand
Während bei Attributen wie halb- und vermutlich- nie vom Zutreffen der erweiterten Nominalphrase auf das Zutreffen der nicht erweiterten Phrase geschlossen werden darf, ist dies bei Attributen, wie sie in den folgenden Beispielen zu finden sind, manchmal der Fall und manchmal auch nicht:
(die tageszeitung, 01.02.2000, S. 2)
(die tageszeitung, 14.11.1990, S. 23)
(St. Galler Tagblatt, 17.03.1999, Unterhaltung, wie man sie gern hat)
(die tageszeitung, 01.02.1992, S. 20)
(Schild, Walter: Besser Videofilmen. Moderne Technik für perfekte Videos, Niedernhausen/Ts.: Falken-Verlag, 1994)
(Frankfurter Rundschau, 021.02.1997, S. 3)
(Kleine Zeitung, 29.10.1997, Ein Küchenstudio wehrt sich gegen Möbelgiganten)
(die tageszeitung, 06.09.1986, S. 3)
(Berliner Zeitung, 03.03.1999, Zoll beschlagnahmte 10 000 Besteck-Koffer)
(Mannheimer Morgen, 14.06.1989, Kartellamt will Fusionskarussell bremsen)
(Die Presse, 09.08.1995, Angeklagter "Aula"-Chef: War auf Urlaub)
Für Attribute dieser Art kann nicht generell festgestellt werden, ob sie einfach eine zusätzliche Bedingung einführen oder in anderer Weise wirken. So ist etwa ein falscher Eindruck durchaus ein Eindruck, ein falscher Priester hingegen in der Regel nur scheinbar ein Priester, und, um die Interpretation noch schwieriger zu gestalten, muss selbst dies nicht für jede Verwendung von falsch- als Attribut zu Priester gelten: Man kann etwa auch aufgrund einer Verwechslung den falschen Priester zu seiner Hochzeit eingeladen haben, und der ist dann zwar durchaus ein echter Priester nur eben nicht derjenige, den man einladen wollte.
Die unterschiedliche Wirkung von falsch- - wie auch von unecht-, gefälscht-, getürkt-, unzulässig- zu beobachten - als Attribut ist so zu erklären: Ob etwas falsch ist oder nicht, hängt davon ab, ob die einschlägigen Regeln, Vorschriften, Gesetze oder Konventionen eingehalten wurden, in bestimmten Fällen auch davon, die angemessenen Mittel oder Verfahren angewandt wurden. Für bestimmte Gegenstände ist die Einhaltung entsprechender Regeln oder die Anwendung entsprechender Verfahren und Mittel konstitutiv, das heißt, sie hängen hinsichtlich ihrer Existenz davon ab. Das gilt etwa für die Züge in einem Spiel wie Dame oder Schach und eben auch für Priester. Ob etwas hingegen ein Ton ist oder nicht, hängt nicht von der Rolle ab, die dieser Gegenstand im Rahmen einer Melodie zu spielen hat. Deshalb bleibt ein Ton auch dann ein Ton, wenn er den Ansprüchen nicht genügt, die er im Rahmen einer Melodie zu spielen hätte.
Absolut oder relativ
Adjektivische Attribute, die subklassifizierend wirken, können in ihrer Wirkung unabhängig von ihren Bezugsnomina sein, aber auch abhängig. Von der ersten Art sind etwa die Attribute in diesen Beispielen.
(die tageszeitung, 16.09.1995, S. 24)
(St. Galler Tagblatt, 24.01.2000, Eisblöcke: Nichts Ausserirdisches)
(Die Zeit, 17.05.1996, Nr. 21, Der Nationalrat)
(die tageszeitung, 29.08.1988, S. 17)
(die tageszeitung, 25.05.1989, S. 2)
(Frankfurter Rundschau, 25.10.1997, S. 8)
Daneben finden sich adjektivische Attribute, zu deren Bedeutung gehört, dass sie relativ zu ihren Bezugnomina zu sehen ist. Hier einige typische Beispiele:
(Die Zeit, 30.12.1994, Nr. 01, S. 43)
(Neue Kronen-Zeitung, 07.06.1997, Schreckensbilder aus den südlichen Urlaubsländern)
(Frankfurter Rundschau, 019.11.1998, S. 2)
Attribute dieser Art bezeichnen Eigenschaften, die grundsätzlich ein Mehr oder Weniger kennen und deshalb, wie man sagt, auch gesteigert werden können: groß - größer - am größten. Erst dadurch ergibt sich überhaupt die Möglichkeit, dass sie relative Werte annehmen können. Doch das allein erklärt noch nicht, wieso die Werte nicht unabhängig sind von der Art der Gegenstände, denen sie zugesprochen werden. Verständlich wird dies erst, wenn man bedenkt, worin denn jeweils das Maß für das Mehr oder Weniger bestehen könnte. Tatsächlich gibt es für Eigenschaften wie Größe, Stärke, Güte kein absolutes Maß. Es gibt lediglich eine ungefähre Orientierung an dem, was etwa groß, alt oder stark sein für einen Menschen bedeutet. Diese ungefähre Orientierung wird gleich doppelt wirksam: Zum einen werden ganze Gattungen von Gegenständen relativ zum Menschen bewertet, zum andern die Mitglieder einer Gattung in Analogie zu einer für Menschen angenommen Werteskala. So kommt es, dass der kleinste Elefant immer noch weit größer sein kann als die größte Maus und ein junger Mann älter als ein steinalter Hund.
Ein Mehr oder Weniger findet sich - entgegen manchen traditionellen Einschätzungen - auch bei so genannten Farbadjektiven, und zwar gattungsspezifisch:
und gattungsübergreifend:
Wer nicht stur bei der Behauptung bleiben will, dass Farbadjektive nicht steigerungsfähig sind, wird zugeben, dass die linke Tomate entschieden röter ist als die rechte und beide röter sind als die roten Grafensteiner Äpfel.
Am Beispiel der Grafensteiner Äpfel zeigt sich - gleichermaßen bei attributiver wie prädikativer Verwendung - noch eine weitere Besonderheit von Farbadjektiven: Wenn etwas als rot charakterisiert wird, heißt das nicht unbedingt, dass es oberflächlich und durch und durch rot sein muss. Es genügt, dass Röte sein gattungs- und manchmal auch situationsspezifisch herausragendes Merkmal ist.
Restriktiv oder nicht-restriktiv
Die Erweiterung einer Nominalphrase mittels Attribut kann grundsätzlich dazu dienen, eines von zwei Zielen zu erreichen:
- eine Einschränkung des Bereichs der Gegenstände, die damit zu entwerfen sind
- eine zusätzliche Information zum auch ohne dies eindeutig bestimmten Gegenstand zu geben
Im ersten Fall spricht man von restriktivem Gebrauch der Attribute, im zweiten von nicht-restriktivem oder auch appositivem Gebrauch. Welcher Gebrauch jeweils vorliegt, lässt sich oft nur anhand einer Auswertung des Verwendungszusammenhangs bestimmen, denn nicht immer finden sich formale Indikatoren für die beiden Verwendungsweisen.
Eindeutig restriktiv gebraucht sind etwa die markierten Attribute in diesen Beispielen:
(die tageszeitung, 29.07.1989, S. 26)
(die tageszeitung, 30.06.1989, S. 12)
(Frankfurter Rundschau, 08.03.1997, S. 3)
Ebenso eindeutig nicht-restriktiv sind hingegen die markierten Attribute in der nächsten Staffel von Beispielen
(St. Galler Tagblatt, 03.02.2000, Information und Öffentlichkeit!)
(Die Presse, 11.10.1997, Der Tag, als der Scharlach kam)
(die tageszeitung, 06.03.1991, S. 18)
(Frankfurter Rundschau, 04.09.1999, S. 3)
Hier noch ein Beispiel, bei dem ohne weitergehende Kenntnis des Verwendungszusammenhangs keine eindeutige Bestimmung möglich ist:
(Frankfurter Rundschau, 05.11.1997, S. 23)
Bezieht man den vorangegangenen Text ein, wird jedoch klar, dass hier ein nicht-restriktiver Gebrauch vorliegt:
(Frankfurter Rundschau, 05.11.1997, S. 23)
In mündlicher Rede ist restriktiver Gebrauch adjektivischer Attribute manchmal an der Betonung des Adjektivs zu erkennen, die freilich nur dort richtig erkannt wird, wo im näheren Kontext ein entsprechender Kontrast gegeben ist:
Nicht-restriktiver Gebrauch eines adjektivischen Attributs ist daran zu erkennen, dass jede weitere Einschränkung ins Leere laufen müsste, weil die Bestimmung auch ohne das Attribut eindeutig ist. Probleme macht die Einschätzung der gegebenen Verwendungsweise eigentlich nur bei isolierten Beispielsätzen, denn in aller Regel sind die Verhältnisse schon geklärt, bevor das in Frage stehende Attribut auftritt. Hier kann dann ein floskelhaftes übrigens, bekanntlich oder ja als Indikator für nicht-restriktiven Gebrauch dienen.
In bestimmten Nominalphrasen ist eine restriktive Interpretation generell ausgeschlossen, und dagegen kommt man dann auch mit intonatorischen Mitteln nicht mehr an: dieser große Mann, jenes alte Haus. Was bereits eindeutig bestimmt ist, kann eben nicht "eindeutiger" werden.
Bleibt noch anzumerken, dass im Deutschen adjektivische Attribute, die postnominal auftreten, ausnahmslos als nicht-restriktiv zu interpretieren sind. Hier einige Beispiele:
(Züricher Tagesanzeiger, 01.02.1997, S. 17)
(DIE ZEIT, 24. Juni 2004, Nr. 27, S. 31)
(die tageszeitung, 14.02.1994, S. 14)
Siehe auch: Restriktive und nicht-restriktive Erweiterung von Nominalphrasen