Zur Bedeutung adjektivischer Attribute

Adjektivische Attribute finden sich in Form von:

  • einzelnen Adjektiven
ein schöner Schlamassel, der alte Fuchs, die unvergessene Diva, jenes beliebte Mittel
  • Folgen von Adjektiven
die gute alte Eisenbahn, der dicke, fette Vater, ein unvermutetes spätes Glück
  • Adjektivphrasen
eine fast überlebensgroße Plastik, diese sehr bedenkliche Entwicklung, jenes über hundert Jahre alte Gebäude

Wie sich ein adjektivisches Attribut auf die Bedeutung einer damit erweiterten Nominalphrase auswirkt, lässt sich nicht pauschal bestimmen. Vor allem diese Gesichtspunkte sind zu berücksichtigen:

Adjektivisches Attribut und Bezugsnomen

Additiv subklassifizierend

Ein alter Mensch ist allemal ein Mensch, eben einer, auf den insbesondere zutrifft, dass er alt ist. Hier wirkt das adjektivische Attribut als weiteres Prädikat, das zu dem Prädikat hinzukommt, das mit seinem Bezugsnomen ausgedrückt wird. Adjektivische Attribute dieses Typs finden sich im Deutschen in großer Zahl. Hier nur einige wenige Beispiele:

Ein schönes Konzert also, ein feines Konzert, eines von der Art, wie wir sie uns schon immer gewünscht haben.
(die tageszeitung, 07.05.1990, S. 26)
Ein erfreuliches Ereignis war die Verleihung des Vereinsförderpreises der Stadt Lampertheim an die DLRG-Jugend.
(Mannheimer Morgen, 16.12.1998, Nach der Saison feiern die Lebensretter)
Sie passt zu den zähen, verrückten und irgendwie unbesiegbaren Frauen aus dem Almodovar'schen Kosmos.
(Berliner Zeitung, 07.11.2001, S. 15)
Der große Parkplatz in der Zeppelinstraße wird von der ersten bis zur vierten Stunde für jeweils zwei Klassen als "Unterrichtsraum" genutzt, danach kann Badminton gespielt werden.
(Frankfurter Rundschau, 12.06.1997, S. 3)

Adjektivische Attribute dieses Typs wirken per Addition subklassifizierend. Zu den Wahrheitsbedingungen, die bereits mit ihrem Bezugsnomen gesetzt werden, kommen die Bedingungen hinzu, die sie selbst einführen. Entworfen wird damit ein Gegenstand, der sowohl der Klasse der Gegenstände angehört, auf die zutrifft, was das Nomen bestimmt, als auch der Klasse jener Gegenstände, auf die zutrifft, was das Attribut bestimmt. Der etwa mit ein zwei Zoll breites Brett zu entwerfende Gegenstand gehört damit der Schnittmenge beider Klassen an, hier veranschaulicht als Mischung zweier Farben:

Nicht-additiv subklassifizierend

Doch bei weitem nicht alle adjektivischen Attribute sind auf diese Weise zu interpretieren, wie bereits ein Blick auf die folgenden Beispiele zeigt:

Das Geophysikalische Institut in Jakarta registrierte den Erdstoß um 8.30 Uhr Ortszeit (3.30 MESZ) mit einer Stärke von sechs.
(die tageszeitung, 29.09.1997, S. 9)
Die Wohnungssituation allein stehender Arbeiter und Beamter als "möblierte Herren" ließ es kaum zu, nähere Kontakte zum gleichen Geschlecht in den eigenen vier Wänden zu pflegen, ohne ungebetenes Aufsehen zu erregen.
(die tageszeitung, 16.06.2001, S. V)
Spanien ist nah, und katalanische Flaggen in Rot und Gelb flattern munter im französischen Wind, der die ehemalige Sommerresidenz der Könige von Mallorca und der Königin von Aragon streichelt und ihre trutzigen Mauern und Wälle dazu.
(Vorarlberger Nachrichten, 27.09.1997, Wo Picasso und Matisse Urlaub machten)

Die hier markierten Attribute bewirken keine additive Subklassifikation: Weder ist das Institut geophysikalisch, noch sind die Herren möbliert, noch ist der Wind wirklich französisch. Tatsächlich handelt es sich um ein Institut für geophysikalische Studien, um Herren, die in Unterkünften untergebracht sind, die samt Möbeln vermietet werden, und einen Wind, der über französischem Territorium weht. Den vorgelegten Phrasen selbst ist jedoch lediglich zu entnehmen. dass hier Geophysikalisches mit einem Institut, Herren mit Möbliertem und Wind mit Französischem in Zusammenhang gebracht wird. Für weitergehende Informationen bietet die kompakte Form der Attribution mittels Adjektiv oder Adjektivphrase keinen Raum. Die Interpretation bleibt hier ganz auf allgemeines Weltwissen und - vor allem bei den beiden letzten Beispielen - auf einigen Sprachwitz angewiesen.

Rückbezüglich subklassifizierend

Bestimmte adjektivische Attribute wirken nur indirekt subklassifizierend. Hier einige Beispiele:

Bob Connell gibt mit einem solchen Programm wichtige Hinweise für die in der Bundesrepublik seit vielen Jahren wieder virulente Koedukationsdebatte.
(Frankfurter Rundschau, 17.06.1999, S. 6)
Ich hatte Monika viel zu gern, um mit ihr das Verlangen nach einer anderen Frau zu stillen.
(LBC, S. 36, Sprecher: Heinrich Böll)
Ach ich würd' mir auch an Rockkonzert anhören oder würde in die, in die, nicht in die Premiere, sondern in die fünfte Aufführung der Volksbühne in Berlin gehen wollen.
(Jens Reich, 1994 in SDR 3: Leute)
Den jeweiligen Parlamenten werden derweil Lügengeschichten aufgetischt, alle des gleichen Inhalts: bisher sei noch gar nichts entschieden.
(die tageszeitung, 18.05.1988, S. 6)
Vielleicht sind alte Seilschaften am Werk. Dann erübrigt sich jedes weitere Argument.
(Berliner Zeitung, 04.05.2000, S. 44)

Die Leistung adjektivischer Attribute dieser Klasse besteht darin, einen Gegenstandsentwurf zu einem bereits vorgenommenen Gegenstandsentwurf in Beziehung zu setzen, ohne darüber hinaus selbst eine weitere Wahrheitsbedingung ins Spiel zu bringen. Da auch die Ordinalzahlen zu dieser Klasse gehören, hat sie tatsächlich unendlich viele Elemente. Charakteristisch für Attribute dieser Art ist, dass sie zwar selbst nicht subklassifizierend wirken, jedoch jederzeit vom Zutreffen der erweiterten Nominalphrase auf das Zutreffen der nicht erweiterten Phrase geschlossen werden kann. So ist etwa jedes weitere oder gleiche Haus allemal ein Haus.

Nicht subklassifizierend

Bestimmte adjektivische Attribute heben die Wahrheitsbedingungen auf, die für die nicht-erweiterte Nominalphrase gelten. Hier einige Beispielen:

Daß er im permanenten Abwehrkampf gegen tatsächliche und vermeintliche Feinde der eigenen Fraktion und der bündnisgrünen Minister auch schon einmal in eine sozialdemokratische Wade biß, dürfte ihm jetzt mit zum Verhängnis geworden sein.
(die tageszeitung, 21.01.1998, S. 6)
Der Herzog von Morny, ein Halbbruder Napoleons III., protegierte die Tochter der in Paris stadtbekannten holländischen Kokotte Judith van Hard, nachdem Sarahs vermutlicher Vater, ein französischer Student namens Edouard Bernhard, verschwunden war.
(Mannheimer Morgen, 24.03.1998, Der erste weibliche Weltstar)
Rund ein halbes Prozent der erwachsenen Großstadtbevölkerung ist Schätzungen nach bereits spielsüchtig, zwei weitere Prozent sind gefährdet.

Hier kommen zu den Wahrheitsbedingungen, die mit den Bezugsnomina gesetzt wurden, nicht weitere hinzu. Hier verändert sich vielmehr mit dem Attribut die Funktion des Gegenstandsentwurfs, der mit dem Bezugsnomen vorgenommen wird. Er dient nicht als eine Art Grobskizze, die es zu verfeinern gilt, sondern als Ausgangspunkt für den Entwurf eines Gegenstands, der zwar zu Gegenständen, wie sie mit dem Bezugsnomen zu entwerfen wären, in einer wesentlichen Beziehung steht, jedoch diesen nicht zuzurechnen ist.

Im Fall von halb- geschieht dies durch eine Reduktion der Wahrheitsbedingungen. Dabei bleibt, trotz der numerisch eindeutigen Angabe, meist unklar, um was genau reduziert wird. Lediglich bei Angaben wie ein halbes Prozent oder ein halbes Duzend liegt eine eindeutig Bestimmung vor. Bei Phrasen wie etwa halbes Haus kann, je nach Kontext, durchaus verschiedenes gemeint sein:

Bei einem Mitglied, das ein halbes Haus erbte, sei das Vermögen bis zu einer endgültigen Entscheidung treuhänderisch festgelegt worden.
(die tageszeitung, 04.02.1994, S. 24)
Deilmann kennt den Fall einer Holzschutzmittelvergiftung, bei dem die Betroffenen nicht nur ihr halbes Haus abreißen, sondern die abmontierten Teile auch noch als Sondermüll teuer beseitigen lassen mußten.
(die tageszeitung, 14.11.1994, S. 13)

Im Fall von vermutlich- oder vermeintlich wird nicht reduziert, sondern modalisiert. Die Bedingungen, die mit dem Bezugnomen zu setzen wären, können zutreffen, müssen aber nicht zutreffen: Die vermeintlichen Feinde, können Feinde sein, möglicherweise sind sie aber auch keine Feinde.

Subklassifizierend oder nicht-subklassifizierend abhängig vom jeweiligen Gegenstand

Während bei Attributen wie halb- und vermutlich- nie vom Zutreffen der erweiterten Nominalphrase auf das Zutreffen der nicht erweiterten Phrase geschlossen werden darf, ist dies bei Attributen, wie sie in den folgenden Beispielen zu finden sind, manchmal der Fall und manchmal auch nicht:

Jahrelang hat ein falscher Priester in Frankreich Witwen telefonisch belästigt.
(die tageszeitung, 01.02.2000, S. 2)
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es spricht überhaupt nichts dagegen, in Berlin gut ausgestattete Umweltberatungen einzurichten.
(die tageszeitung, 14.11.1990, S. 23)
Dass sich beim einen oder anderen Lied, zwar selten genug, ein falscher Ton einschlich, vermochte dem Applaus der Besucher keinen Abbruch zu tun.
(St. Galler Tagblatt, 17.03.1999, Unterhaltung, wie man sie gern hat)
Ihre Bande, die ihren Sitz in New York hatte, soll für etwa 17 Mio. Mark unechte Picassos, Dalis, Miros und Werke anderer Künstler an Privatsammler verkauft haben.
(die tageszeitung, 01.02.1992, S. 20)
Die optische Wirkung von echter und unechter Kamerafahrt ist auf den ersten Blick gleich, doch bei näherem Hinsehen erkennen Sie sofort, ob hier jemand gezoomt hat oder ob die Kamera tatsächlich bewegt wurde.
(Schild, Walter: Besser Videofilmen. Moderne Technik für perfekte Videos, Niedernhausen/Ts.: Falken-Verlag, 1994)
Am Mittwoch hat die Polizei in Bad Homburg einen Mann ertappt, der unechte Lederimitate als Luxus-Kleidung verkaufen wollte.
(Frankfurter Rundschau, 021.02.1997, S. 3)
Wie sich zeigte, geht es nicht nur um den strafrechtlichen Tatbestand gefälschter Unterschriften und nicht erfüllter Verträge, sondern um den Streit eines Möbelhauses und eines Küchenherstellers, die ihren Kampf auf dem Rücken von Klein- und Mittelbetrieben austragen.
(Kleine Zeitung, 29.10.1997, Ein Küchenstudio wehrt sich gegen Möbelgiganten)
Obote kommt dank gefälschter Parlamentswahlen erneut an die Macht.
(die tageszeitung, 06.09.1986, S. 3)
Fast 10 000 Besteckkästen mit minderwertiger und gefälschter Markenware hat der Zoll sichergestellt.
(Berliner Zeitung, 03.03.1999, Zoll beschlagnahmte 10 000 Besteck-Koffer)
So sollten vor allem bei unzulässigen Baupreisabsprachen nicht nur "die kleinen Kalkulatoren" bestraft werden, sondern auch Vorstandsmitglieder wegen unterlassener Aufsichtspflicht.
(Mannheimer Morgen, 14.06.1989, Kartellamt will Fusionskarussell bremsen)
Für Staatsanwalt Manfred Kammerer, der den Artikel als ein Gemisch aus Platitüden, Halbwahrheiten und unzulässigen Schlüssen beschreibt, ist damit das Verbotsgesetz gebrochen.
(Die Presse, 09.08.1995, Angeklagter "Aula"-Chef: War auf Urlaub)

Für Attribute dieser Art kann nicht generell festgestellt werden, ob sie einfach eine zusätzliche Bedingung einführen oder in anderer Weise wirken. So ist etwa ein falscher Eindruck durchaus ein Eindruck, ein falscher Priester hingegen in der Regel nur scheinbar ein Priester, und, um die Interpretation noch schwieriger zu gestalten, muss selbst dies nicht für jede Verwendung von falsch- als Attribut zu Priester gelten: Man kann etwa auch aufgrund einer Verwechslung den falschen Priester zu seiner Hochzeit eingeladen haben, und der ist dann zwar durchaus ein echter Priester nur eben nicht derjenige, den man einladen wollte.

Die unterschiedliche Wirkung von falsch- - wie auch von unecht-, gefälscht-, getürkt-, unzulässig- zu beobachten - als Attribut ist so zu erklären: Ob etwas falsch ist oder nicht, hängt davon ab, ob die einschlägigen Regeln, Vorschriften, Gesetze oder Konventionen eingehalten wurden, in bestimmten Fällen auch davon, die angemessenen Mittel oder Verfahren angewandt wurden. Für bestimmte Gegenstände ist die Einhaltung entsprechender Regeln oder die Anwendung entsprechender Verfahren und Mittel konstitutiv, das heißt, sie hängen hinsichtlich ihrer Existenz davon ab. Das gilt etwa für die Züge in einem Spiel wie Dame oder Schach und eben auch für Priester. Ob etwas hingegen ein Ton ist oder nicht, hängt nicht von der Rolle ab, die dieser Gegenstand im Rahmen einer Melodie zu spielen hat. Deshalb bleibt ein Ton auch dann ein Ton, wenn er den Ansprüchen nicht genügt, die er im Rahmen einer Melodie zu spielen hätte.

Absolut oder relativ

Adjektivische Attribute, die subklassifizierend wirken, können in ihrer Wirkung unabhängig von ihren Bezugsnomina sein, aber auch abhängig. Von der ersten Art sind etwa die Attribute in diesen Beispielen.

Und im australischen Bamaga wurde ein drei Meter langes Krokodil wegen "Herumlungerns" für eine Nacht hinter Gitter gesteckt.
(die tageszeitung, 16.09.1995, S. 24)
Inzwischen ist auch in Italien, in der Nähe von Padua, ein fünf Kilo schwerer Eisklotz entdeckt worden.
(St. Galler Tagblatt, 24.01.2000, Eisblöcke: Nichts Ausserirdisches)
Was aber ist das beschriebene Ideal anderes als die gute alte Soziale Marktwirtschaft?
(Die Zeit, 17.05.1996, Nr. 21, Der Nationalrat)
In weißen Blutkörperchen toter Robben sind Mikroorganismen nachgewiesen worden, die etwa 0,5 bis 1,5 Mikrometer groß sind und die nicht den Viren zuzuordnen sind.
(die tageszeitung, 29.08.1988, S. 17)
Nicht erfaßt werden durch das Gesetz allerdings Wald- und Gebäudeschäden, die nicht einem einzelnen Verursacher zugerechnet werden können.
(die tageszeitung, 25.05.1989, S. 2)
Die Bewerbungen sind in vierfacher Ausfertigung bis zum 30. November einzureichen.
(Frankfurter Rundschau, 25.10.1997, S. 8)

Daneben finden sich adjektivische Attribute, zu deren Bedeutung gehört, dass sie relativ zu ihren Bezugnomina zu sehen ist. Hier einige typische Beispiele:

Die Kellner servierten in den Kostümen von Gondolieri und ein kleiner Elefant trug auf seinem Rücken eine von Kerzen erleuchtete Riesentorte herein.
(Die Zeit, 30.12.1994, Nr. 01, S. 43)
Da lebt zum Beispiel ein alter Hund in einer Erdhöhle ohne Wasser und wird nur selten von wohlmeinenden Urlaubern versorgt.
(Neue Kronen-Zeitung, 07.06.1997, Schreckensbilder aus den südlichen Urlaubsländern)
Mit einem Messer hat ein maskierter junger Mann am Dienstag mittag einen Überfall auf eine Bäckerei in der Altstadt versucht.
(Frankfurter Rundschau, 019.11.1998, S. 2)

Attribute dieser Art bezeichnen Eigenschaften, die grundsätzlich ein Mehr oder Weniger kennen und deshalb, wie man sagt, auch gesteigert werden können: groß - größer - am größten. Erst dadurch ergibt sich überhaupt die Möglichkeit, dass sie relative Werte annehmen können. Doch das allein erklärt noch nicht, wieso die Werte nicht unabhängig sind von der Art der Gegenstände, denen sie zugesprochen werden. Verständlich wird dies erst, wenn man bedenkt, worin denn jeweils das Maß für das Mehr oder Weniger bestehen könnte. Tatsächlich gibt es für Eigenschaften wie Größe, Stärke, Güte kein absolutes Maß. Es gibt lediglich eine ungefähre Orientierung an dem, was etwa groß, alt oder stark sein für einen Menschen bedeutet. Diese ungefähre Orientierung wird gleich doppelt wirksam: Zum einen werden ganze Gattungen von Gegenständen relativ zum Menschen bewertet, zum andern die Mitglieder einer Gattung in Analogie zu einer für Menschen angenommen Werteskala. So kommt es, dass der kleinste Elefant immer noch weit größer sein kann als die größte Maus und ein junger Mann älter als ein steinalter Hund.

Ein Mehr oder Weniger findet sich - entgegen manchen traditionellen Einschätzungen - auch bei so genannten Farbadjektiven, und zwar gattungsspezifisch:

und gattungsübergreifend:

Wer nicht stur bei der Behauptung bleiben will, dass Farbadjektive nicht steigerungsfähig sind, wird zugeben, dass die linke Tomate entschieden röter ist als die rechte und beide röter sind als die roten Grafensteiner Äpfel.

Am Beispiel der Grafensteiner Äpfel zeigt sich - gleichermaßen bei attributiver wie prädikativer Verwendung - noch eine weitere Besonderheit von Farbadjektiven: Wenn etwas als rot charakterisiert wird, heißt das nicht unbedingt, dass es oberflächlich und durch und durch rot sein muss. Es genügt, dass Röte sein gattungs- und manchmal auch situationsspezifisch herausragendes Merkmal ist.

Restriktiv oder nicht-restriktiv

Die Erweiterung einer Nominalphrase mittels Attribut kann grundsätzlich dazu dienen, eines von zwei Zielen zu erreichen:

  • eine Einschränkung des Bereichs der Gegenstände, die damit zu entwerfen sind
  • eine zusätzliche Information zum auch ohne dies eindeutig bestimmten Gegenstand zu geben

Im ersten Fall spricht man von restriktivem Gebrauch der Attribute, im zweiten von nicht-restriktivem oder auch appositivem Gebrauch. Welcher Gebrauch jeweils vorliegt, lässt sich oft nur anhand einer Auswertung des Verwendungszusammenhangs bestimmen, denn nicht immer finden sich formale Indikatoren für die beiden Verwendungsweisen.

Eindeutig restriktiv gebraucht sind etwa die markierten Attribute in diesen Beispielen:

Noch sind insgesamt rund 113 Millionen Kubikmeter Wasser in den Stauseen. Ausgetrocknet ist bereits die älteste Talsperre Europas aus dem Jahr 1721, der Oderteich bei St. Andreasberg.
(die tageszeitung, 29.07.1989, S. 26)
Auf den sechs vorangegangenen Fachkongressen hat es dagegen Theorie pur gegeben: Keiner der früheren Organisatoren hatte anscheinend daran gedacht, Aktive einzuladen. Die meisten Beteiligten zogen diesmal ein positives Fazit.
(die tageszeitung, 30.06.1989, S. 12)
Täter war zwischen 45 und 50 Jahre alt, schlank, 1,68 Meter groß und Brillenträger. Er trug ein braunes Jackett, eine dunkle Hose, ein weißes Hemd und eine Krawatte.
(Frankfurter Rundschau, 08.03.1997, S. 3)

Ebenso eindeutig nicht-restriktiv sind hingegen die markierten Attribute in der nächsten Staffel von Beispielen

Ich bin überzeugt, dass diese unverschämte Einmischung wiederum nicht der Wille der EU-Bevölkerung ist.
(St. Galler Tagblatt, 03.02.2000, Information und Öffentlichkeit!)
Das ist jene beliebte Frage, die Historiker bekanntlich nicht stellen dürfen.
(Die Presse, 11.10.1997, Der Tag, als der Scharlach kam)
Auch der gute alte Red Adair soll bereits seine Dienste angeboten haben, und das ZDF wird sicher in zwei Jahren eine heroische Reportage über die Löscharbeiten senden.
(die tageszeitung, 06.03.1991, S. 18)
Der Spott, ja Hohn, den meine alte Mutter dabei über die Machinationen des Wetters ausgoss, zeigt durchaus Ähnlichkeit mit jenem Stolz, den die Literaturprofessorin bei der Entlarvung der amerikanischen Nahrungsmittelindustrie an den Tag legte, so seltsam das klingt.
(Frankfurter Rundschau, 04.09.1999, S. 3)

Hier noch ein Beispiel, bei dem ohne weitergehende Kenntnis des Verwendungszusammenhangs keine eindeutige Bestimmung möglich ist:

Die Brauherren, vertreten durch den neuen Vorstandschef PAUL E. RITTER, bieten das bunte Stück nun über den Versandhandel feil, das numerierte und handgedeckelte "Unikat" für 289 Mark.
(Frankfurter Rundschau, 05.11.1997, S. 23)

Bezieht man den vorangegangenen Text ein, wird jedoch klar, dass hier ein nicht-restriktiver Gebrauch vorliegt:

Kein Wappen, kein Ornament schmückt den hellen Fayencekrug: Die Paulskirche, da sie doch demnächst Geburtstag hat, hält in leuchtenden Orange- und Rottönen für's Dekor her. Flankiert von den Bankentürmen der Stadt, die in Ahrles städtebaulicher Vision freilich deutlich vom Henninger-Turm überragt werden. Die Brauherren, vertreten durch den neuen Vorstandschef PAUL E. RITTER, bieten das bunte Stück nun über den Versandhandel feil, das numerierte und handgedeckelte "Unikat" für 289 Mark.
(Frankfurter Rundschau, 05.11.1997, S. 23)

In mündlicher Rede ist restriktiver Gebrauch adjektivischer Attribute manchmal an der Betonung des Adjektivs zu erkennen, die freilich nur dort richtig erkannt wird, wo im näheren Kontext ein entsprechender Kontrast gegeben ist:

Ich wollte doch das kleine Stück, nicht dieses übergroße!

Nicht-restriktiver Gebrauch eines adjektivischen Attributs ist daran zu erkennen, dass jede weitere Einschränkung ins Leere laufen müsste, weil die Bestimmung auch ohne das Attribut eindeutig ist. Probleme macht die Einschätzung der gegebenen Verwendungsweise eigentlich nur bei isolierten Beispielsätzen, denn in aller Regel sind die Verhältnisse schon geklärt, bevor das in Frage stehende Attribut auftritt. Hier kann dann ein floskelhaftes übrigens, bekanntlich oder ja als Indikator für nicht-restriktiven Gebrauch dienen.

In bestimmten Nominalphrasen ist eine restriktive Interpretation generell ausgeschlossen, und dagegen kommt man dann auch mit intonatorischen Mitteln nicht mehr an: dieser große Mann, jenes alte Haus. Was bereits eindeutig bestimmt ist, kann eben nicht "eindeutiger" werden.

Bleibt noch anzumerken, dass im Deutschen adjektivische Attribute, die postnominal auftreten, ausnahmslos als nicht-restriktiv zu interpretieren sind. Hier einige Beispiele:

Der Stadtweibel, blau uniformiert fast wie ein Polizist, überreichte eine Blumenschale und brachte einen Alphornbläser mit, Wagerenhof-Direktor Peter Läderach einen Blumenstrauss und einen schönen Fingerring.
(Züricher Tagesanzeiger, 01.02.1997, S. 17)
Das metallisch glänzende Monstrum, groß wie ein Flugzeughangar, steht im Bezirk Kanazawa in Yokohama.
(DIE ZEIT, 24. Juni 2004, Nr. 27, S. 31)
Abends schließlich das "Aktuelle Sportstudio" des ZDF: Eissack Katarina Witt, gackernd, nichtssagend. Moderator Steinbrecher, schleimend, nichtfragend, dumm wie ein Pfund Mehl unterm Fön.
(die tageszeitung, 14.02.1994, S. 14)

Siehe auch: Restriktive und nicht-restriktive Erweiterung von Nominalphrasen

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Bruno Strecker
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