Bildung des Partizips II

Bildungsregel

(ge) + Partizipialstamm + (e) n / (e) t

Hierbei sind Präfix und Suffix als ein diskontinuierliches Affix (Zirkumfix) zu betrachten.

Partizipialpräfix

Ob das Partizipialpräfix verwendet wird, hängt unter anderem von intonatorischen Gründen ab. Das Partizipialpräfix ge- wird gesetzt, wenn das Verb Initialbetonung aufweist, also bei:

  1. Simplexverben
  2. Präverbfügungen mit abtrennbarem, den Hauptakzent tragendem Präverb: Das Partizipialpräfix wird zwischen Präverb und Verbstamm eingefügt.
  3. Verbkomposita mit nicht abtrennbarem ersten Kompositionsbestandteil: Hier wird das Partizipialpräfix in der Regel initial gesetzt.

(1)arbeiten
finden

abarbeiten
auffinden


ab
auf
ge
ge
ge
ge
arbeit
fund
arbeit
fund
et
en
et
en

(2)freisprechen
loskommen
frei
los
ge
ge
sproch
komm
en
en

(3)wetteifern
handhaben

ratschlagen
ge
ge
ge
wett
hand
rat
eifer
hab
schlag
t
t
t


Das Partizipialpräfix ge- wird nicht gesetzt bei:

  1. Verben ohne Initialbetonung mit dem nicht einheimischen Suffix -ieren oder auf anderer nicht-indigener Basis (siehe dazu auch die Einheit "Downgeloadet oder gedownloadet - wie Verben aus dem Englischen eingedeutscht werden" in Grammatik in Fragen und Antworten).
  2. Verben mit nicht abtrennbarem Präfix
  3. Zusammensetzungen oder Präverbfügungen mit Verben der Gruppen 4. und 5.

(4)studieren
isolieren
recyceln
interviewen
studier
isolier
recycle
interview
t
t
t
t

(5)erziehen
besprechen
erstehen
übersetzen
er
be
er
über
zog
sproch
stand
setz
en
en
en
t

(6)einstudieren
abisolieren
auferstehen
nachbesprechen
anerzogen
handverlesen
ein
ab
auf
nach
an
hand


er
be
er
ver
studier
isolier
stand
sproch
zog
les
t
t
en
en
en
en

Nicht intonatorisch allerdings, sondern von der grammatischen Funktionalität her bestimmt, ist die Setzung von ge- bei werden (ist fleißig geworden). Bei werden II zur Passivbildung wird ge- nicht gesetzt (ist ausgelacht worden).

Das Auftreten des Partizipialpräfixes ge- (im Folgenden: Ppx) als Teil eines Zirkumfixes ge...te oder ge...en auf intonatorische Kriterien zurückzuführen, ist nur eine Möglichkeit der Begründung. Das Deutsche hat eine Neigung zum jambischen Alternieren, und es ist verständlich, dass dies in der Grammatik eine Rolle spielt. Im Bereich des Ppx bleiben allerdings Fragen hinsichtlich der Stellung offen, denen man mit anderen Argumenten begegnen muss.

Bei Präfixverben kann kein ge- stehen, weil dieses Präfix zu derselben paradigmatischen Gruppe gehört wie die übrigen nicht abtrennbaren Präfixe (siehe genießen, geschehen) und innerhalb eines Satzes immer nur ein Element desselben Paradigmas eine syntagmatische Position besetzen kann. Die Präfixe und damit auch ge- schließen einander aus. Dennoch ist diese Präfixposition die einzig mögliche für ge. Also:

A.Warum steht kein ge- bei Verben mit nicht abtrennbarem Prä-Element (im Folgenden: Präfix) und bei Verben mit nicht indigener Basis (also fremder Herkunft), auch wenn diesen ein abtrennbares Prä-Element (im Folgenden: Präverb) vorangeht? Warum also erzogen, besprochen, verteilt, studiert? Warum anerzogen, umverteilt, einstudiert, abisoliert, obwohl doch hier Anfangsbetonung vorliegt und daher eigentlich ge- stehen müsste?

B. Warum wird das Ppx ge- bei Simplexverben mit Initialbetonung vorangestellt, bei Präverbfügungen, die ebenfalls Initialbetonung aufweisen, jedoch zwischen Präverb und den restlichen Wortkörper eingeschoben? Warum also ge-arbeitet, ge-funden, ge-sprochen, aber ab-ge-arbeitet, auf-ge-funden, frei-ge-sprochen?

C. Warum wird bei der als "Verbalkomposita" bezeichneten Gruppewetteifern, handhaben das Ppx vorangestellt, obwohl es doch ebensogut eingeschoben werden könnte?

Was auf den ersten Blick inkonsequent wirkt, wird als einfache Logik deutlich, wenn man ein System darin zu erkennen sucht.

1. Wie sich durch Rekurs auf den urgermanischen Abgeschlossenheitsmarker gi-/ga- nachweisen lässt, gehörte das Ppx ge- ursprünglich zu derselben paradigmatischen Kolumne (Was sind syntagmatische und paradigmatische Beziehungen?) wie die nicht abtrennbaren Präfixe (siehe genießen, geschehen). Innerhalb eines Satzes kann – unkoordiniert – immer nur ein Element desselben Paradigmas auf einer syntagmatischen Position stehen, also z. B.

- nicht möglich: *das Auto Fahrrad steht in der Garage, *der die Teller (und) Tasse stehen auf dem Tisch, *Großvater sitzt schläft im Sessel
- sondern nur: das Auto und das Fahrrad stehen..., der Teller und die Tasse stehen..., Großvater sitzt und schläft...

Entsprechend schließen die Präfixe ver-, be- ent- usw. und damit auch ge- auf derselben Position einander aus. Dennoch ist diese Präfixposition die einzig mögliche für ge-. Also:

verschwunden, aber weder: *geverschwunden noch *vergeschwunden; genossen, aber nicht *gegenossen.

Kein Problem natürlich für alle Simplexverben, die, sofern sie zum indigenen Fundus gehören, zwar stamm- also anfangsbetont sind, bei denen aber vor allem die Präfixposition frei ist:

fahren gefahren, singen gesungen, kaufen gekauft, altern gealtert, ...

2. Bei den Verben der Gruppe wetteifern, handhaben ist der erste Kompositionsbestandteil kein Präfix oder Präverb, sondern als Lexem Teil einer lexikalischen Zusammensetzung, von welcher das Verb abgeleitet ist (Wetteifer) oder die zumindest als Ganzes den lexikalischen Stamm des Verbs ausmacht (handhab-en). Diese Verben verhalten sich also hinsichtlich des ge- wie Simplexverben. Manche unter diesen Verben lassen nur eine sehr eingeschränkte oder gar keine Flexion zu und damit auch kein "ge-". Zu diesen gehört bergwandern und sonnenbaden. Will man sie flektieren, muss man sie auflösen:

nicht: *Claudia sonnenbadet / hat sonnengebadet, sondern: Claudia nimmt ein Sonnenbad / hat ... genommen.

3. Die Verben nicht indigener Herkunft sind meist jambisch oder anapästisch, ein zusätzliches unbetontes ge- am Anfang würde einen doppelten, ja mehrgliedrigen Auftakt bewirken (*ge-organisiert), was die alternierende Tendenz des Deutschen zu stören scheint. Dennoch ist in älterer germanischer Dichtung Senkungshäufung normal, auch sind Einzelfälle wie gefabuliert (im 16. Jh.) oder gebenedeit attestiert. Es ist wohl eher so, dass sich das germanische ge- (ahd. gi- oder ga-) mit den nicht indigenen, schlecht ins System passenden Stämmen nicht verträgt. Bei Neuschöpfungen wie downloaden muss man wohl von einer Analogiebildung zu gleich gebauten deutschen Verben ausgehen: runtergeholt, raufgeschoben, also: downgeloadet, aber gedownloadet gibt es auch. Gerade bei diesem Verb hat sich schließlich eine rettende Übersetzung etabliert und das Dilemma beendet: herunter(ge)laden.

4. Präverbfügungen: Deren erster Bestandteil, das Präverb, gehört nach heutigem Konsens nur bedingt bis gar nicht zu dem, was man den zentralen Wortkörper des Verbs nennen könnte :

Dies nicht nur, weil sich das Präverb in Verbzweitsätzen vom Verb ablöst (er kauft den gesamten Fabrikkomplex auf), sondern auch, weil das betonte Erstelement auch ein Voll-Lexem sein kann, das Komplementstatus bezüglich des Simplexverbs hat: rasenmähen = den Rasen mähen; freisprechen = jemanden (straf)frei machen usw. Es leuchtet also ein, dass das Ppx ge- nicht vor dem Präverb sondern nur am Anfang des zentralen Wortkörpers auftreten kann. Die Stellung von "zu" beim Infinitiv bestätigt diese Verhältnisse: frei-zu-sprechen usw.


5. Bei komplexeren Bildungen, die sowohl ein Präverb als auch ein Präfix aufweisen, kann kein Ppx auftreten, da sein Platz durch ein anderes Präfix besetzt ist: umverteilt, einbezogen, abverlangt, ...

Eine gewisse Anzahl Verben mit den dualen Präverben durch-, hinter-, über-, um- und unter-, gehören gleichzeitig der Klasse der Präverbfügungen als auch der Klasse der Präfixverben an. Sie können daher sowohl betont-trennbar als auch unbetont-untrennbar sein und weisen folglich zwei Formen von Partizip II auf: mit und ohne Setzung des Partizipialpräfixes ge-; z.B.:

Sie sind zwischen den Felsen durchgesegelt. vs. Er hat letztes Jahr das Meer durchsegelt.
Ihre Fröhlichkeit ist auf alle übergesprungen
vs. Die deutsche Athletin hat im Hochsprung die 1,90m-Marke übersprungen.
Sie haben zur Abstützung einen Eisenträger untergezogen.
vs. Sie hatten sich dieser Aufgabe nur unfreiwillig unterzogen.

Bei diesen sog. "doppelförmigen Verben" treten zwischen den beiden Varianten Bedeutungs- und Rektionsunterschiede auf. Das Verb umbauen z.B. hat mit betontem Präverb eine nach innen gekehrte, mit unbetontem Präfix eine nach außen gekehrte Rektion:

wir haben das Haus umgebaut = das Haus selber war von den Bauarbeiten betroffen
wir haben das Haus umbaut = um das Haus herum wurde etwas gebaut, z. B. eine Mauer, ein Zaun

Partizipialsuffix

Das Partizipialsuffix lautet bei schwachen Verben -(e)t, bei starken Verben -(e)n. Die Realisation von e ist von der phonologischen Struktur abhängig.

schwach
machengemacht
arbeitengearbeitet
stark
findengefunden

Übung zum Partizip II

Übung: Partizip, Infinitiv oder finites Verb?

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