Existenz gemeinter Gegenstände

Unabhängig von kommunikativem Erfolg oder Misserfolg einer Bezugnahme auf Gegenstände, muss klar sein: Wenn man sich auf einen Gegenstand bezieht, muss dieser existieren oder existiert haben. Auf Gegenstände, die es nicht gibt, kann man sich nicht beziehen. Doch so klar dieser Zusammenhang scheint, es bleibt Raum für eine Reihe von Fragen.

  1. In welchem Sinn muss existieren, worauf Bezug genommen wird?
  2. Was ist, wenn ein Sprecher von der Existenz eines Gegenstands überzeugt ist und sich aus dieser Überzeugung heraus auf ihn beziehen will? Kann ihm das, entgegen unserer früheren Behauptung, doch misslingen?
  3. Ist referenzieller Gebrauch eines Arguments davon abhängig, ob ein Gegenstand existiert, auf den Bezug genommen wird?

1. In welchem Sinn muss existieren, worauf Bezug genommen wird?

Gegenstände, auf die Bezug genommen werden kann, müssen nicht unbedingt in der realen Welt existieren. Sie können Märchen- und Sagenwelten angehören oder Romanfiguren sein. Ein fiktiver Sprecher, der in einer fiktiven Welt angesiedelt ist, kann sich auf die Gegenstände seiner Welt beziehen, wie wir uns auf Gegenstände unserer Welt beziehen. Wir beziehen uns auf solche Gegenstände in dem Wissen, dass sie Fiktionen sind. Sie existieren als Märchen-, Sagen- oder Romanfiguren. Als solche sind sie so bestimmt wie jeder reale Gegenstand: Dornröschen, Schneewittchen, Hamlet, Philip Marlowe und King-Kong sind jeweils ganz bestimmte Figuren mit einer Charakteristik, die durch die Texte festgelegt wurde, in denen sie auftreten.

Wirklichkeit und Fiktion sind allerdings nicht immer klar unterschieden, weshalb es nicht immer gelingt, den Status eines gemeinten Gegenstands eindeutig zu fassen: Ist Dietrich von Bern eine Sagengestalt oder eine reale Person? Hat Moses wirklich gelebt? Ist Goethes Faust dieselbe Person wie der historische Faust aus dem badischen Knittlingen? Die Bezugnahme gilt in solchen Fällen einfach der Figur, die dadurch zu einer bestimmten wird, dass bestimmte Geschichten über sie im Umlauf sind.

Die Schöpfer fiktiver Gestalten haben sich, anders als man selbst, nicht auf sie bezogen, als sie diese Fiktionen erfanden. Selbst wenn sie sich beim Erfinden von historischen Vorbildern inspirieren ließen, lag keine Bezugnahme vor. Etwas problematisch ist in dieser Hinsicht jedoch die Beurteilung historischer Romane, die von historischen Personen handeln, diese auch weitgehend authentisch darstellen, sie dann und wann aber auch auf erfundene Weise handeln lassen.

2. Was ist, wenn ein Sprecher von der Existenz eines Gegenstands überzeugt ist und sich aus dieser Überzeugung heraus auf ihn beziehen will?

Es kann vorkommen, dass ein Sprecher von der Existenz eines Gegenstands in einer realen oder fiktiven Welt überzeugt ist und sich mit dieser Überzeugung im Irrtum befindet. Sein Irrtum - der nicht mit einer sachlich falschen Charakterisierung zu verwechseln ist - kann sich dabei nur auf den Status des gemeinten Gegenstands beziehen: Wenn er wirklich etwas gemeint hat,also nicht nur vorgetäuscht hat, etwas zu meinen, dann muss zumindest als Fiktion existieren, was er meint. Darauf bezieht er sich, auch wenn er sich nicht darüber im Klaren ist, dass es sich um eine Fiktion handelt. Ein Beispiel:

Dem kleinen Fabian hat man von französischen Königen erzählt, von Schlössern und prachtvollen Gewändern. Er hat nicht so recht mitbekommen, dass all das lange her ist, und er weiß nicht, dass es keine Könige mehr gibt. Der französische König ist für ihn so etwas wie König Artus. Seinen Freunden erzählt er: 'Der französische König lebt in einem ganz großen Schloss mit hunderttausend Spiegeln, und er hat ganz viele Diener, und ...' Man kann hier zurecht sagen, der Kleine habe sich auf etwas bezogen, wenngleich es sicher falsch ist zu sagen, er habe sich auf den derzeitigen König von Frankreich bezogen. Das konnte er nicht, da ein solcher nicht existiert.

3. Ist referenzieller Gebrauch eines Arguments davon abhängig, ob ein Gegenstand existiert, auf den Bezug genommen wird?

Mit referenziell gebrauchten Argumenten wird der Anspruch erhoben, dass der besagte Gegenstand real oder fiktional existiert. Und wie mit Behauptungen Überzeugungen vorgetäuscht werden können, kann mit referenziellem Gebrauch die Existenz eines Gegenstands vorgetäuscht werden. Möglich ist das, weil das Vorliegen referenziellen Gebrauchs unabhängig von der Identifikation des Gemeinten festgestellt werden kann.

Identifikation des Gemeinten kann, wenn die Art des Gebrauchs zunächst nicht klar ist, als Bestätigung dafür gewertet werden, dass referenzieller Gebrauch vorliegt, aber eine solche Bestätigung ist nicht unbedingt erforderlich: Erbettelt jemand Geld mit der Behauptung: 'Meine Kinder hungern', verstehen wir, dass er das mit meine Kinder formulierte Argument referenziell gebraucht, unabhängig davon, ob wir wissen oder überprüfen können, ob er Kinder hat.

Termini werden also nicht dupliziert, wenn einerseits von referenziellem Gebrauch, andererseits von Bezugnahme die Rede ist. Referenzieller Gebrauch von Argumenten dient zwar der Bezugnahme, aber er konstituiert sie nicht. Er kann Bezugnahme vortäuschen, selbst jedoch nicht vorgetäuscht werden.

Zum Text

Schlagwörter
Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
Letzte Änderung
Aktionen
Seite merken
Seite als PDF
Seite drucken
Seite zitieren

Seite teilen