Verfahren der Bezugnahme

Die Verfahren, über die Sprecher des Deutschen für eine Bezugnahme, eine Referenz auf von ihnen gemeinte Gegenstände verfügen, können über eine Betrachtung der Typen argumenttauglicher Ausdrücke dieser Sprache erschlossen werden. Jedem Verfahren entsprechen bestimmte Ausdruckstypen. Diese Verfahren lassen sich wie folgt bestimmen

  1. Charakterisieren
  2. Nennen
  3. Verweisen

Auf Rückverweise mittels Anadeixeis und Fortführungen mittels Anaphern gehen wir hier nicht eigens ein, da diese nicht dazu dienen, das grundsätzliche Problem des Bezugnehmens oder Referierens zu bewältigen. Die erfolgreiche Verwendung dieser Mittel setzt immer die Lösung des Ausgangsproblems voraus.

1. Charakterisieren

Charakterisieren ist weiter zu unterscheiden in definites und indefinites Charakterisieren, wobei definites Charakterisieren immer auch ein Verweisen ist, wenn es einer Bezugnahme dient. Es liegt damit in gewisser Weise quer zu der hier vorgenommenen Einteilung. Indefinite Bezugnahme kann nur auf dem Weg eines indefiniten Charakterisierens erfolgen. Referenziellen Gebrauch vorausgesetzt, exemplifizieren die markierten Argumentausdrücke in den folgenden Sätzen die verschiedenen Formen definiter oder indefiniter Bezugnahme.


definite BezugnahmeIhre Frage ist durchaus berechtigt.
Wir warten immer noch auf Godot.
Die da drüben sind aber schöner.
Ihr kennt doch den Fritz. Wisst ihr, ob es wahr ist, dass er geheiratet hat?
indefinite BezugnahmeBudapest kenne ich ein Café, da glaubst du, die Zeit wäre stehen geblieben.


Unter den Verfahren definiter Bezugnahme ist definites Charakterisieren am vielseitigsten einsetzbar. Es gibt im Prinzip nichts, auf das nicht mittels definiten Charakterisierens Bezug genommen werden kann, sofern es überhaupt möglich ist, darauf Bezug zu nehmen. (In seltenen Ausnahmen wissen selbst kompetente Sprachteilhaber nicht, wie sie charakterisieren können, was sie vor sich haben, und können deshalb nur zeigen.) Kein anderes Verfahren und auch keine Kombination anderer Verfahren kann definites Charakterisieren ersetzen, denn definite Charakterisierungen sind nahezu unbegrenzt ausbaufähig. Sie können stets auf gegebene Voraussetzungen abgestimmt werden. Mit den Informationen mittels Spezifikation definiter Charakterisierungen können selbst abgelegene oder längst vergessene Kenntnisse der Partner aktiviert werden.

Kannst du dich an das Hotel erinnern, in dem wir damals auf unserer Spanienrundfahrt zwischen Granada und Alicante übernachtet haben und wo die Bettwäsche wegen der salzigen Luft ganz klebrig war?

Obwohl sie grundsätzlich immer zu verwenden wären, werden nicht immer definite Charakterisierungen gebraucht, wenn ein Sprecher sich definit auf etwas beziehen will. Das hat einen einfachen Grund: Unter bestimmten Voraussetzungen ist es ökonomischer, andere Verfahren zu wählen. Wenn das Gemeinte einen den Gesprächspartnern bekannten Eigennamen hat, kann mit dem Eigennamen ohne Rücksicht auf besondere Redeumstände auf den Träger des Namens Bezug genommen werden. Die Verwendung des Namens kann dabei unter Umständen längere Charakterisierungen ersparen.

2. Nennen

Nennen ist das zielsicherste Verfahren der definiten Bezugnahme. Man könnte deshalb der Meinung sein, dass es geradezu ideal wäre, wenn wir für jeden erdenklichen Gegenstand genau einen Namen hätten. Das ist aber aus praktischen und theoretischen Gründen nicht realisierbar. Selbst wenn es realisierbar wäre - immerhin haben Milliarden Menschen und Millionen Orte Eigennamen - so würde es nicht die Erleichterung bringen, die man sich versprechen könnte. Niemand kann alle Namen kennen. Was aber, wenn von etwas die Rede sein soll, dessen Namen man noch nicht kennt?

Nennen kann, wie man sieht, nie das einzige Verfahren definiter Bezugnahme sein, da man erst etwas benennen kann, wenn ein Eigenname dafür eingeführt ist. Auch muss die Einführung eines Namens voraussetzen, dass anders als mit Namen auf das zu Benennende Bezug genommen werden kann. Stellt man in Rechnung, dass vorgängige Einführung eines Namens, bei der auf ein Individuum nur einmal Bezug zu nehmen ist, zu einer unnötigen Verdopplung führen müsste und dass jeder Name eigens erlernt werden muss, dann leuchtet ein, dass das Nennen und damit der Einsatz von Eigennamen nicht als das allgemeinste Verfahren der Bezugnahme betrachtet werden kann.

Effizient ist eine Bezugnahme mittels Eigennamen nur dort, wo auf ein und dasselbe Individuum wiederholt Bezug genommen wird. Wir gehen dabei sogar so weit, Eigennamen nur für solche Individuen einzuführen, die als besondere Individuen für uns Bedeutung haben. Wo wir uns auf ein und dasselbe Individuum nur deshalb wieder und wieder beziehen müssen, weil es als Träger einer für uns wiederkehrend wichtigen Funktion fungiert, führen wir entweder einen Namen gar nicht erst ein oder gebrauchen ihn nicht, obwohl er verfügbar wäre. Zwei Beispiele:

Hast du meine Lesebrille gesehen?
Heute Nachmittag muss ich zum Arzt.

Man kann davon ausgehen, dass ein Mensch, der dazu neigt, seine Brille zu verlegen, häufiger Anlass hat, auf dieses individuelle Objekt Bezug zu nehmen. Dennoch führt kaum jemand einen Namen für seine Brille ein. Der Arzt hat zwar einen eingeführetn Eigennamen. Dennoch wird auf den Arzt nicht nennend, sondern charakterisierend Bezug genommen, weil seine Funktion und nicht seine Individulaität von Interesse ist. Allenfalls, wenn Sprecher und Angesprochener persönliche Freunde des Arztes sind, wird von ihm per Eigenname die Rede sein. Siehe weiter hierzu in Eigennamen.

3. Verweisen

Ein Verfahren der Bezugnahme, das sich auf die aktualen Bedingungen ihrer Verwendung stützt, ist reines Verweisen mit deiktischen Ausdrücken. Hierbei handelt es sich um ein Zeigen mit sprachlichen Mitteln, das, wo der gemeinte Gegenstand konkreter Natur ist, oft von gestischem Zeigen oder entsprechender Ausrichtung des Blicks begleitet wird.

Komm hier her.
Das geht so.
Schau mal, da drüben!
Die sehen vielleicht abgerissen aus!

Reines Verweisen zeichnet sich dadurch aus, dass es keine Unterstützung durch Charakterisieren erfährt. Als Verfahren definiter Bezugnahme ist reines Verweisen deshalb dort einzusetzen, wo eine solche Unterstützung nicht nötig oder nicht möglich ist.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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