Erfolgsbedingungen referenziellen Gebrauchs
Referenzieller Gebrauch von Argumenten ist erfolgsorientiert. Das Gelingen der Bezugnahme steht im Vordergrund. Wie der Erfolg erreicht wird, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Ein einfaches Beispiel:
Wenn der Adressat auf besagtem Schreibtisch tatsächlich einen Brief vorfindet, der ein Angebot für einen Durchlauferhitzer zum Gegenstand hat, jedoch von einer Firma Zumlage stammt, dann wird er mit großer Wahrscheinlichkeit dennoch diesen Brief für den gemeinten halten, womit trotz der sachlich inkorrekten Bezugnahme das Kommunikationsziel erreicht werden konnte.
Zwei Fragen stellen sich im Zusammenhang mit der Erfolgsorientierung referenziellen Gebrauchs von Argumenten.
- Welche Voraussetzungen hat ein kommunikativ erfolgreicher referenzieller Gebrauch von Argumenten?
- Wie kann es möglich sein, auch mit sachlich nicht korrekten Mitteln erfolgreich zu sein?
Bei referenziellem Gebrauch eines Arguments wird kein Gegenstand gesetzt, es wird vielmehr auf einen solchen Bezug genommen. Der als Argument eingesetzte Gegenstandsentwurf oder Verweis hat dabei vorrangig die Aufgabe, den Gegenstand für die Adressaten erkennbar zu machen. Wie man sich das im Einzelnen vorzustellen hat, wird in Verfahren des Bezugnehmens beschrieben.
Will man anderen etwas Bestimmtes zu erkennen geben, muss man vor allem bedenken, dass sie (!) dies sehen sollen und nicht man selbst. Das ist trivial, versteht sich jedoch keineswegs von selbst. Kleine Kinder haben damit manchmal Schwierigkeiten, weil sie meinen, jeder sehe, was sie sehen, und jeder kenne, was sie kennen.
Wenn es aber immer die anderen sind, die sehen müssen, dann bedeutet das auch, dass man es letztlich nicht in der Hand hat, ob man Erfolg haben wird. Man kann nur versuchen, die Partner in eine Lage zu bringen, in der sie, wie man vermutet, sehen müssten, was sie sehen sollen.
Wenn es darum geht, aktual existierende, raumzeitliche Objekte sichtbar zu machen, ist es im Prinzip möglich, den Partner bei der Hand zu nehmen und ihn so aufzustellen, dass er kaum anders kann, als das Gemeinte zu sehen. Freilich können sich selbst hierbei Schwierigkeiten ergeben, wenn, was der Partner sehen soll, nichts Alltägliches, auf Anhieb Erkennbares ist. Dann kann es sein, dass dem Partner die Voraussetzungen fehlen, selbst wenn man ihn mit der Nase darauf stößt. So wird wohl dieser Gegenstand nur von Personen mit einschlägigen Kenntnissen sofort erkannt.
Die Gegenstände, auf die man mit Argumenten Bezug nehmen will, sind nicht selten von einer Art, bei der einfaches Zeigen praktisch oder prinzipiell ausgeschlossen ist. Um unter solchen Voraussetzungen dennoch zu einer Klarstellung zu kommen, muss man Argumente wählen, die das Wissen oder die Ansichten des Partners nutzen. Er kennt Personen, Sachen, deren Namen und Eigenschaften, und darüber hinaus, was man selbst als Wissen anerkennt. Er hat Überzeugungen und Vermutungen über das Bestehen und Nicht-Bestehen bestimmter Sachverhalte. All das lässt sich nutzen, wenn man erreichen will, dass er erkennt, was man meint. Vorausgesetzt natürlich, man hat seinerseits die richtigen Vermutungen über das, was der Partner weiß oder glaubt.
Wie schwer oder leicht die referenzielle Klarstellung eines gemeinten Gegenstands fällt, hängt wesentlich davon ab, wie gut man über die Kenntnisse und Annahmen seiner Kommunikationspartner Bescheid weiß. Es hängt weiterhin davon ab, wie einschlägig die Kenntnisse des Partners sind und wie leicht sie aktiviert werden können: Wo etwa auf einen gemeinsamen Freund Bezug genommen werden soll, wird beides kaum Probleme bereiten. Soll dagegen von lang vergessenen, dem Partner möglicherweise nie bekannten Gegenständen die Rede sein, kann das an seinen fehlenden Kenntnissen scheitern, aber auch daran, dass es nicht gelingt, seine prinzipiell vorhandenen Kenntnisse zu aktivieren.
Welche Kenntnisse aktiviert werden müssen, um jemand in die Lage zu versetzen, einen gemeinten Gegenstand zu erkennen, hängt auch davon ab, wie sich ein Sprecher auf den Gegenstand bezieht. Grundsätzlich kann sich ein Sprecher auf zweierlei Weisen auf einen Gegenstand beziehen: definit und indefinit.
Indefinite Bezugnahme
Indefinite Bezugnahme liegt etwa bei diesen Beispielen vor, in denen die mit den markierten Ausdrücken formulierten Argumente referenziell gebraucht werden.
(die tageszeitung 8.7.1989, 21)
Die Nackttänzerin hat einen Amerikaner geheiratet, aus Unterweltlern wurden brave Geschäftsleute.
(Die Presse 16.8.1994, o. S.)
In Brunnadern kehrten der 22- und der 24jährige in ein Restaurant ein, stritten sich mit dem Wirt und bedrohten ihn mit einer Flasche.
(St. Galler Tagblatt 4.10.1997, o. S.)
Nimmt ein Sprecher indefinit auf etwas Bezug, gibt er damit zu verstehen, dass es sich beim gemeinten Gegenstand um einen bestimmten, also keineswegs beliebigen Gegenstand der Art handelt, die der Gegenstandsentwurf präsentiert. Er setzt aber kein vorgängiges Wissen um den Gegenstand voraus, und weil er das nicht tut, muss er bei seinen Kommunikationspartnern keinerlei spezielle Kenntnisse aktivieren. Es genügt, wenn sie verstehen, welcher Gegenstandsentwurf mit dem Argument vorliegt und wie das Argument gebraucht wird. Beides setzt nur hinreichende Sprachkenntnisse voraus.
Definite Bezugnahme
Definite Bezugnahme kann bei diesen Belegen vorliegen.
(Salzburger Nachrichten 24.12.1992, o. S.)
Meine Tochter wurde von der Erschütterung unter den Vordersitz geschleudert.
(St. Galler Tagblatt 29.7.1998, o. S.)
Anders als bei indefiniter Bezugnahme wird bei definiter Bezugnahme darauf abgehoben, dass es sich um etwas handelt, von dem der Adressat nach Meinung des Sprechers bereits Kenntnis hat, und es wird ausgeführt, auf welche Gegenstände Bezug genommen wird. Angezeigt wird das durch die Verwendung eines unselbständigen Verweisausdrucks.
Es ist jedoch nicht damit getan, die Bezugnahme als definit auszuweisen. Der Partner soll ja nicht nur verstehen, dass definite Bezugnahme beabsichtigt ist. Er soll ja in die Lage versetzt werden, die gemeinten Individuen prinzipiell identifizieren zu können. Um dies zu erreichen, müssen geeignete Elemente seines Wissens und seiner Annahmen über diese Individuen aktiviert werden. Solche Wissenselemente sind Kenntnisse, die Eigenschaften von Individuen betreffen, die diese von anderen in Frage kommenden Individuen unterscheiden. Sind solche Kenntnisse vorhanden, können sie mittels definiter Beschreibungen aktiviert werden. Das Problem für einen Sprecher besteht dann darin, zutreffende Hypothesen über das Wissen und die Annahmen seines Partners zu entwickeln.
Aus der Sicht des Partners stellt sich das so dar: Wenn man sich mit einer definiten Charakterisierung konfrontiert sieht, muss man Hypothesen darüber bilden, auf welches oder welche Individuen die Charakterisierung zutreffen könnte. Sind Sprecher und Partner gut miteinander bekannt, wird die richtige Hypothese leicht fallen. Auch sonst macht die Hypothesenbildung kaum Schwierigkeiten, solang das erforderliche Wissen im Rahmen dessen bleibt, was man auf Grund allgemeiner Einschätzung für selbstverständlich halten darf.
Problematisch wird definite Bezugnahme, wenn Wissen erforderlich wird, über dessen Verfügbarkeit die Partner sich nicht gewiss sind. Ein Sprecher kann unter solchen Voraussetzungen zunächst eine Klärung des gemeinsamen Wissens herbeiführen. Er kann seinen Partner fragen, ob er dies und dies weiß, oder die Gegenstände, auf die er definit Bezug nehmen will, zunächst über eine indefinite Bezugnahme einführen und so charakterisieren, dass sie auch für den Partner individuell bestimmbar werden. Das könnte dann etwa so aussehen:
Natürlich ist es nicht immer einfach, die erforderlichen Voraussetzungen für eine definite Bezugnahme zu schaffen. Für Adressaten stellt sich das Problem anders dar. Im direkten Gespräch können sie nachfragen, wenn ihnen Wissensvoraussetzungen fehlen. Aber ein Hörer ist nicht immer auch Gesprächspartner des Sprechers. Und vor allem kann ein Leser nicht unmittelbar nachfragen, sondern muss Interpretationsarbeit leisten. Wie die Interpretationsarbeit im Einzelnen zu gestalten ist, kann hier nicht ausgeführt werden. Nur so viel: Sie erfordert Spürsinn, die Fähigkeit, sich in die Lage des Sprecherschreibers zu versetzen, und die Bereitschaft, sich durch entsprechende Nachforschungen auf den Wissensstand zu bringen, den dieser offenbar vorausgesetzt hat.
Befähigung zur Interpretation hilft nicht nur, mit defizitären Argumenten zurechtzukommen: Eine Interpretation, die auf ein Verstehen der Absichten eines Sprechers oder Schreibers gerichtet ist, kann sogar bei Argumenten, die sachlich falsche Charakterisierungen geben, zu einem Verständnis des Gemeinten kommen: Hat die Annahme, die Charakterisierung sei sachlich korrekt, nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt, und liegt offenbar auch kein nicht-referenzieller Gebrauch vor, dann kann man Hypothesen über das Gemeinte entwickeln, die nahe liegende Fehler des Sprechers in Rechnung stellen und korrigieren.
Wie man sich das vorzustellen hat, lässt sich sehr gut an einem Beispiel zeigen, das einer Szene aus Ludwig Thoma's Roman 'Erster Klasse' nachempfunden ist:
Bei der Besichtigung eines Bauernhofs stellt ein Städter beeindruckt fest: 'Diese Kuh hat aber ein schönes Euter.' Die umstehenden Leute vom Land müssen herzlich lachen: Die 'Kuh' ist nämlich ein Bulle.
Die Leute lachen, weil sie trotz des in der Sache unzutreffenden Arguments den gemeinten Gegenstand identifizieren können. Hätte einer der ihren den Satz geäußert, hätten sie vermutlich angenommen, er sinniere über irgendeine Kuh nach; einem dummen Städter dagegen trauen sie selbstverständlich zu, eine Kuh mit einem Bullen verwechseln zu können. Wenn es den Hörern gelingt, falsche Annahmen des Sprechers zu erschließen, ist eine erfolgreiche Bezugnahme also auch mit sachlich unzutreffenden Argumenten möglich. Sie ist auch möglich, wenn ein Sprecher falsche Annahmen seiner Hörer antizipiert oder wenn Sprecher und Hörer dieselben irrigen Annahmen machen oder sich wechselseitig unterstellen.
Siehe weiter Definite und indefinite Bezugnahme.