Referenziellen Gebrauch von Argumenten erkennen
Die Mittel, mit denen referenziell gebrauchte Argumente zum Ausdruck gebracht werden, unterscheiden sich nicht immer von den Mitteln, mit denen essenziell gebrauchte Argumente zu formulieren sind. Wie stellt man in solchen Fällen fest, welcher Gebrauch vorliegt?
Da die Art des Gebrauchs im Deutschen nicht formal angezeigt wird, muss sich die Unterscheidung auf eine Einschätzung der jeweiligen Verwendungszusammenhänge stützen. In der alltäglichen Praxis kommunikativen Handelns nehmen wir solche Einschätzungen meist so selbstverständlich und unmerklich vor, dass wir von unserem Entscheidungsverfahren kaum Rechenschaft ablegen können. Erst eine theoretische Rekonstruktion zeigt die Entscheidungsgründe.
Problemlose Fälle
Wird auf einen Gegenstand mittels eines reinen Verweises Bezug genommen, dann ist das über die in Argumentfunktion gebrauchten Deixis als ein Fall referenziellen Gebrauchs zu erkennen. Wird auf einen Gegenstand durch Nennung seines Eigennamens Bezug genommen, dann ist das über den in Argumentfunktion gebrauchten Namen als Fall referenziellen Gebrauchs zu erkennen.
Problematische Fälle
Problematisch sind Argumente, die mit dem Mittel der Charakterisierung arbeiten, weil dieses Mittel referenziell und essenziell eingesetzt werden kann. In solchen Fällen wird man zunächst einmal das zugehörige Prädikat in Rechnung stellen. Bestimmte Prädikate sind nämlich nur sinnvoll anzuwenden, wenn das entsprechende Argument referenziell gebraucht wird.
Bei genauer Betrachtung erweist sich allerdings, dass oft auch in Fällen, in denen man spontan nur einen referenziellen Gebrauch des Arguments für möglich hält, ein essenzieller Gebrauch vorliegen könnte. Man muss sich nur entsprechende Kontexte oder Rahmenbedingungen dazu denken.
Zwei Geschäftspartner schließen ein Abkommen:
"Sie kaufen das Gelände und ich finanziere die Lagerhalle."
Die Katze, von der die Rede ist, braucht kein bestimmtes Individuum zu sein. Das Gelände und die Lagerhalle, die Gegenstand des Abkommens sind, können noch völlig unbestimmt sein.
Für Fälle, in denen ohne Auswertung des besonderen Verwendungszusammenhangs, essenzieller wie referenzieller Gebrauch möglich ist, gibt es kein Entscheidungsverfahren, allenfalls Entscheidungshilfen: Es kann sich als nützlich erweisen, zunächst davon auszugehen, dass ein referenzieller Gebrauch vorliegt, und diese Annahme erst aufzugeben, wenn Gründe für eine andere Interpretation vorliegen. Durch eine solche Verteilung der Beweislast wird vermieden, dass vorschnell die kontextfrei verstehbare Interpretation als essenziell akzeptiert wird. Hilfreich kann auch eine Bewertung der Sprachhandlung unter dem Aspekt der Befolgung allgemeiner Kommunikationsmaximen sein: Unter welcher Interpretation scheint die Handlung wichtiger, informativer, verständlicher und wahrhaftiger? Da aber eine solche Bewertung weder eindeutig noch immer korrekt ist, führt auch sie zu keiner klaren Entscheidung.
Durch eine Besinnung auf allgemeine Kommunikationsmaximen kann immerhin erreicht werden, dass referenzieller Gebrauch auch dann erkannt wird, wenn es einem Hörerleser nicht gelingt herauszufinden, welcher Gegenstand gemeint ist. Wenn der Verwendungszusammenhang sich so darstellt, dass es Sinn machen würde, wenn der Sprecherschreiber sich auf einen Gegenstand bezieht, während ein essenzieller Gebrauch des Arguments unter den gegebenen Bedingungen skurril erscheint, wird man davon ausgehen, dass ein referenzieller Gebrauch vorliegt. Ein Beispiel:
Gert und Frieder beobachten einen Mann, der ganz aufgelöst durch die Straßen irrt. Wenig später tritt der Mann zu ihnen. Sie fragen ihn, was er denn so aufgeregt suche. Er antwortet: 'Ich suche einen kleinen rothaarigen dreijährigen Buben mit blauem Pullover und grünen Hosen.'
Wie der Mann das Argument gebraucht hat, sollte hier eindeutig sein, obwohl theoretisch beide Gebrauchsweisen in Frage kommen.