Sinne der Bezugnahme

In aller Regel findet man auf Anhieb eine Vielzahl von geeigneten Argumenten. Besonders kreativ sind wir, wo es darum geht, auf eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens Bezug zu nehmen. Ein Beispiel:

der erste Bundeskanzler
der damalige Chef der Regierung
der Alte aus Rhöndorf
der CDU-Vorsitzende
der ehemalige CDU-Vorsitzende
der Wahlsieger von 1957
der schwarze Riese
der frühere Oberbürgermeister von Köln
der erste Nachkriegskanzler
der Rosenliebhaber
Konrad Adenauer
Dr. Adenauer Adenauer
Conny
der Selbstwähler
der Mann dort drüben

Hier zeigt sich:

  • Es werden verschiedene Wissensvoraussetzungen gemacht. Damit diese Mittel kommunikativ erfolgreich eingesetzt werden können, genügt es nicht, dass die Partner die gemeinte Person kennen. Sie müssen sie unter der jeweils besonderen Kennzeichnung kennen.
  • Umgekehrt tragen die verschiedenen Mittel der Bezugnahme bis zu einem gewissen Grad den verschiedenen Wissensvoraussetzungen der Partner Rechnung. Insofern bestimmt der Wunsch, dem Partner gerecht zu werden, den Sinn, in dem auf einen Gegenstand Bezug genommen wird.
  • Bloße Verständnissicherung erschöpft nicht die Möglichkeiten kommunikativ erfolgreicher Bezugnahme. So wird vermutlich jeder einigermaßen informierte Bürger der Bundesrepublik Deutschland noch weit mehr Möglichkeiten kennen und verstehen. Er wird auch verstehen, dass mit der Wahl eines bestimmten Mittels ein bestimmter Sinn verbunden ist oder sein kann.
  • Mit der Verfügung über verschiedene Sinne der Bezugnahme ergibt sich auch die Möglichkeit, verschiedene Zwecke zu verfolgen.

Verschiedene Sinne der Bezugnahme sind bereits aus systematischen Gründen möglich, denn jeder Gegenstand steht in vielfältigen Beziehungen zu anderen Gegenständen und hat Eigenschaften, die definite wie indefinite Charakterisierung verschiedenster Art erlauben. Wenn wir die grundsätzlichen Möglichkeiten auch faktisch nutzen, so ist das darauf zurückzuführen, dass sie erlauben, mit der Formulierung eines Arguments viel mehr zu tun, als nur einen gemeinten Gegenstand für einen Hörerleser erkennbar zu machen.

Was alles wir im Einzelnen tun können, indem wir in einer bestimmten von vielen möglichen Weisen auf einen Gegenstand Bezug nehmen, ist kaum zu überblicken. Im Folgenden einige der Leistungen, die dabei fast standardmäßig erbracht werden.

  • Durch die Wahl einer Charakterisierung kann ein Sprecher seine Einstellung zu dem Gegenstand kundgeben, auf den er sich bezieht. Wer auf den früheren Bundeskanzler mit der Selbstwähler Bezug nimmt, zeigt, dass er nicht gerade zu seinen Verehrern gehört. Die Charakterisierung lässt den gemeinten Gegenstand in mehr oder weniger gutem Licht erscheinen, etwa um für ihn zu werben oder ihn madig zu machen.
  • Ein Sprecher kann die Charakterisierung nutzen, um sich selbst als einfallsreich oder witzig darzustellen. Der oben aufgeführte schwarze Riese dürfte so zu interpretieren sein.
  • Ein Sprecher kann durch die Art und Weise der Bezugnahme herausstreichen, in welcher Beziehung er zu dem gemeinten Gegenstand steht. Wer etwa von dem früheren Bundeskanzler per Conny spricht, kann damit zeigen wollen, dass er mit ihm befreundet war, aber auch, dass er ihn für keine Respektsperson hält.
  • Charakterisierungen können als sogenannte 'Fahnenwörter' oder 'Feindwörter' dienen, mit denen ein Sprecher sich als Sympathisant oder Gegner einer politischen, wissenschaftlichen, sportlichen oder sonstigen Vereinigung zu erkennen gibt.
  • Mit Charakterisierungen können die Gefühle bestimmter Hörer oder Leser bewusst verletzt, aber auch respektiert werden.

Für derlei kommen vor allem Charakterisierungen und Eigennamen in Frage. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang eine Ausdruckserscheinung, die geradezu überflüssig erscheint, solange man die Spezialfunktionen nicht in Rechnung stellt: nicht- restriktiv gebrauchte Attribute. Solche Attribute leisten nichts für die Klarstellung des gemeinten Gegenstands. Wenn man erkennt, dass sie dazu dienen können, Spezialfunktionen zu erfüllen, wie sie hier skizziert wurden, zeigt sich ein kommunikativer Sinn dieser Ausdrucksmittel.

Auch reine Verweise können unter bestimmten Voraussetzungen als zusätzliche Leistungen interpretiert werden: Wer auf eine allseits bekannte Person mit der da drüben verweist, wo er eine Charakterisierung oder einen Eigennamen wählen könnte, gibt sich durchaus nicht neutral, sondern zeigt Geringschätzung. Weitgehend neutral ist nur der Gebrauch von Anaphern, mit dem allein eine weitere Chance zur Erfüllung einer zusätzlichen Funktion ausgelassen werden kann.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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