Würde-Formen

Anstelle nicht eindeutig erkennbarer oder als gesucht empfundener Konjunktivformen werden in - durchaus gehobener - Umgangssprache oft sogenannte würde-Formen verwendet.

Also, ich würde mir wünschen, die Mädels und die Jungs von Hurra Deutschland kämen wieder.
(Ernst-Dieter Lueg 1994 in SDR 3/ Leute)

Ähm, wir haben das geahnt, dass das passieren würde.
(Wolf von Lojewski 1995 in SDR 3/ Leute)

Würden Sie's uns begründen, warum Sie's nicht tun?
(Wolfgang Heim 1995 in SDR 3/ Leute)

Ach ich würd ' mir auch an Rockkonzert anhören oder würde in die, in die, nicht in die Premiere, sondern in die fünfte Aufführung der Volksbühne in Berlin gehen wollen.
(Jens Reich 1994 in SDR 3/ Leute)

Umgangssprachlich treten häufig auch tät(e)-Formen auf.

An deiner Stelle tät ich mir das nicht bieten lassen.
Solche Formen sind nicht dem Konjunktiv-Paradigma zuzurechnen.

Das Konjunktiv-Paradigma ist nämlich im Aktiv mit den in der folgenden Tabelle aufgeführten Formen abgeschlossen.


Tempuskategorie
gemäß Verbstamm
IndikativKonjunktiv
Präsenser gehter gehe
Präteritumer ginger ginge
Futurer wird gehener werde gehen
Präsensperfekter ist gegangener sei gegangen
Präteritumperfekter war gegangener wäre gegangen
Futurperfekter wird gegangen seiner werde gegangen sein


Für würde-Formen wie er würde gehen; er würde gegangen sein ist im Paradigma keine Position frei, auch wenn die Form würde selbst Konjunktiv Präteritum des Vollverbs und des Kopulaverbs werden sein kann und im Präteritum Passiv als Konjunktiv verwendet wird.

Ich würde gern alt und weise.
Man sage nicht, in der Liebe würde nur gepfuscht!

Da jedoch nur die Präsensformen (Indikativ und Konjunktiv) des Hilfsverbs werden als periphrastische Formen in das Paradigma der Voll- und Modalverben im Aktiv eingehen (Indikativ/ Konjunktiv Präsens von werden + Infinitiv des Voll- bzw. Modalverbs), stehen die präteritalen würde-Formen des Aktivs (Konjunktiv Präteritum von werden + Infinitiv vom Voll- oder Modalverb) systematisch neben dem Paradigma.

Würde-Formen können als Zweitformen betrachtet werden, die neben Konjunktiv Präteritum und Konjunktiv Präteritumperfekt treten. Im Konjunktiv ist damit neben der synthetischen Präteritalbildung zusätzlich ein analytisches Verfahren gegeben, das keine Entsprechung im Indikativ hat.


 synthetischanalytisch
Indikativer ging* er wurde gehen
Konjunktiver gingeer würde gehen


Würde-Formen stehen also nicht neben dem Konjunktiv Futur. Ein möglicher Zukunftsbezug ergibt sich vielmehr parallel zum Konjunktiv Präsens und Präteritum. Allerdings werden würde-Formen auf Grund ihrer Nähe zum Konjunktiv Futur häufig zukunftsbezogen gebraucht.

Er glaubte, er werde sich erkälten.
Er glaubte, er würde sich erkälten.

Dies gilt vor allem für den Konjunktiv Futur des Passivs.

Sie hoffte, dass dies erlaubt werden würde.

Hier wird aus Gründen des Wohlklangs werden werde eher vermieden. Thomas Mann bildet eine Ausnahme.

Sie war von einer alten Zigeunerin ausgegangen und lautete dahin, daß durch einen Fürsten "mit einer Hand" dem Lande das größte Glück zuteil werden werde.
(Thomas Mann 1909, 47)

Werden würde kann stets durch den einfachen Konjunktiv Präteritum des Passivhilfsverbs ersetzt werden: zuteil würde. Der systematische Status von werden würde bleibt als Zweitform zum Konjunktiv Präteritum würde erhalten.

Ob Ferchichi da schon ahnte, dass er eines Tages unter dem Namen Bushido zum erfolgreichsten Rapper Deutschlands werden würde?
(St. Galler Tagblatt 2.2.2010, 14)


Sie hoffte, dass dies erlaubt würde Konjunktiv Präteritum Passiv
werden werdeKonjunktiv Futur
Sie hoffte, dass er König würdeKonjunktiv Präteritum der Kopula werden
werden würde Zweitform für würde


Das Perfekt der würde-Formen wird - stilistisch etwas umständlich - konsequenterweise parallel zum Konjunktiv Präteritumperfekt verwendet. Hervorzuheben ist auch hier eine verstärkte Verwendung bei Vorzeitigkeit mit zukunftsbezogener Betrachtzeit.

Sie hoffte, dass sie das bis zum Abend erledigt haben würde.

Soll der resultative Aspekt nicht betont werden, sind hier auch Konjunktiv Perfekt und Konjunktiv Präteritumperfekt möglich.

Sie hoffte, dass sie das bis zum Abend erledigt habe.
Sie hoffte, dass sie das bis zum Abend erledigt hätte.
Sie hoffte, dass sie das bis zum Abend erledigt haben werde.


Bezieht man die würde-Formen ein, so ergeben sich für den Ausdruck von Zeitbezügen durch Konjunktivformen verschiedene Möglichkeiten. Dabei ist zu beachten, dass in Indirektheitskontexten mit Konjunktiv Gleichzeitigkeit, Nachzeitigkeit und Vorzeitigkeit stets von der referierten Zeit aus gesehen werden müssen.


GleichzeitigkeitPräsens, Präteritum würde-Form
NachzeitigkeitPräsens, Präteritum würde-Form
VorzeitigkeitPerfekt, Präteritumperfekt würde + sein/ haben
Vorzeitigkeit mit
zukunftsbezogener Betrachtzeit
Futurperfektwürde + sein/ haben


Für die gesprochene Sprache hat Bausch 1979 aus dem Freiburger Korpus erschließen können, dass selbst bei Verben, die eine nicht homonyme Konjunktiv-Präteritum-Form haben, nur in einem Viertel der Fälle die synthetische Konjunktivform gewählt wird, sonst die würde-Form. Rechnet man noch die Fälle hinzu, bei denen keine distinktive Konjunktiv-Präteritum-Form zur Verfügung steht, dann war nur ein Achtel aller Belege aus dem Bereich Konjunktiv Präteritum/ Zweitform durch die synthetische Form realisiert. Es zeigt sich also, dass die vom Paradigma her als Zweitform einzuschätzende würde-Form, was ihren Verkehrswert angeht, im geschriebenen wie im gesprochenen Deutsch den ersten Rang einnimmt.

Siehe weiter den Spezialfall Erlebte Rede.

Zusätzliche Literatur in Auswahl

Fabricius-Hansen 2000; Leirbukt 2004; Smirnova 2008.


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Autor(en)
Gisela Zifonun, Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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