Konjunktiv in Text und Diskurs

Der Konjunktiv der Präsensgruppe ist im Wesentlichen ein Phänomen der gehobenen Sprache sowie der öffentlichen, zumal massenmedialen Kommunikation. In der Belletristik ist der Modusgebrauch vermutlich gebunden an gattungs- und autorenspezifische Stilgewohnheiten und Wirkungsabsichten.

Trivialliteratur und Konjunktiv

So sehen Zifonun et al. 1997, Bd 2, 1784 eine Tendenz zum Indikativ bei Indirektheitskontexten vor allem in Romanen der Trivialliteratur oder allgemeiner in Romanen, die Nähe zur Alltagssprache suchen. Dafür lassen sich einige Belege finden.

Die Morgendämmerung war schon zwischen die Zelte gekrochen, als ein Diener Philipps zu mir trat und erklärte, dass unser Herr und Fürst seinen Geist in Gottes Hand gegeben hat.
(Kohnen 2003: Das Geheimnis der Reges Sancti, 11)

Ich hatte das Bedürfnis, noch einen draufzusetzen: Bei unserem letzten Telefongespräch erklärte ich ihr, dass sie 15 Jahre zu alt für mich war.
(Friedrich 2006: Meine Dates, meine Frauen und ich, 20)

Allerdings lassen sich auch einige Belege finden, die dieser Tendenz nicht entsprechen.

Sie gab mir ihre Adresse, sagte, sie wolle mich wiedersehen. Wir wussten beide, dass das im Nichts enden würde. An Eva war kein Rankommen, niemals.
(Klossek 2005: Männer, 35)

Er versuchte eine Stimme in seinem Hinterkopf auszumachen, die ihm sagte, dass er verrückt geworden sei, doch da war keine solche.
(Lange 2003: Via Astra, S. 191)

Er sagte, er habe einige Rundfunkleute und einige Pfarrer zu sich gebeten, man wolle über kirchliche Fragen sprechen.
(Grisebach 2000: Eine Frau im Westen, 360)

Die vermuteten Tendenzen trivialer Romane müssten also anhand der inzwischen deutlich gewachsenen Textkorpora noch einmal überprüft werden. Vgl. zur trivialromanspezifischen Sprache Donalies 1995.

Massenmediale Texte und Konjunktiv

Eindeutiger und vor allem sachlich gut begründbar ist dagegen die Tendenz in massenmedialen, vor allem in Nachrichtentexten, Indirektheitskontexte nahezu durchgängig mittels Konjunktiv zu markieren. Hier geht es um den Bedarf an differenziert und klar geregelter Signalisierung von indirekter Redewiedergabe und Behauptung. Siehe Kontexte der Alltagssprache

Ein romantischer Dichter hat gesagt, es gebe nur zwei glückliche Arten des Lebens und man müsse sich entscheiden: Entweder man blicke von hoch oben auf die Erde hinab, sodass einen nichts von dem rühre, was dort unten geschieht; oder man lasse sich hinab- und hineinfallen in eine beliebige Ackerfurche und bleibe darin sein Leben lang, ohne sich für die Nachbarfurche zu interessieren.
(Die Zeit 7.1.2010, o. S.)

Das Unternehmen erklärte, es gebe keinerlei Beweise für diese Vermutungen.
(Die Zeit 9.8.2007, o.S.)

Ihr Trainer hat gesagt, dass dem FC St. Gallen gegen Lausanne-Sport nicht derselbe Fehler unterlaufen dürfe wie im Viertelfinal den Young Boys.
(St. Galler Tagblatt 3.4.2010, 19)

"Das Herz blutet einem, wenn die Verwaltung empfehlen muss, den Antrag der Essenroder Kyffhäuser abzulehnen", betonte Busch und erklärte, dass der Verein auch Ortsratsmittel beantragen könne.
(Braunschweiger Zeitung 23.1.2010, o.S.)

Öffentliche Diskurse und Konjunktiv

Auch in Diskursen mit öffentlichem oder halböffentlichem Charakter, etwa in Talkshows und Interviews, wird häufig der Konjunktiv der Präsensgruppe zur Kennzeichnung von Indirektheit gebraucht.

Gesprochene Alltagssprache und Konjunktiv

In gesprochener Alltagssprache hingegen spielt der Konjunktiv Präsens in Indirektheitskontexten kaum eine Rolle. Am ehesten findet er sich noch bei den Verben haben und sein. Werden im Alltagsgespräch andere Konjunktiv-Präsens-Formen gebraucht, könnte es sich um Interferenz aus der Schriftsprache handeln, wobei auch beabsichtigt sein kann, mehr Prestige zu erreichen, indem man nachweist, dass man die Normen für die Schriftsprache beherrscht.

Ersatzformen

In Indirektheitskontexten werden auch Konjunktiv Präteritum, Präteritumperfekt sowie die würde-Formen gebraucht. Der sprachpflegerischen Empfehlung, bei Formengleichheit von Indikativ und Konjunktiv Präsens auf den Konjunktiv Präteritum auszuweichen, wird selbst in schriftsprachlichen Texten nur eingeschränkt Folge geleistet. Die Empfehlung verkennt nämlich die gängige Praxis, die erlaubt, in Indirektheitskontexten den Indikativ zu gebrauchen, so dass die Frage nach einem Ersatz erst gar nicht aufkommt. Andererseits wird, wo eindeutige Konjunktiv-Präsens-Formen verfügbar sind, auch der Konjunktiv Präteritum gewählt.

Gegen die "Ersatz"-Empfehlung spricht außerdem, dass in den Varietäten Konjunktiv-Präteritum-Formen zum Teil nur eingeschränkt verfügbar sind: Zum einen liegt bei schwachen Verben vollständige Formengleichheit mit dem Indikativ vor, zum anderen ist der Konjunktiv vieler starker Verben auch schriftsprachlich ungebräuchlich. Formen wie beföhle - befähle, börste, flöchte, kröche, lüde, verdürbe wirken auf viele Hörerleser gekünstelt, oft geradezu lächerlich.

Hätte der Verbraucher mehr Geld zur Verfügung, dächte er vielleicht wieder über den Erwerb eines neuen Autos nach oder lüde sich Hakle feucht und andere Luxusartikel in den Einkaufskorb.
(die tageszeitung 14.6.2003, 14)

Bisher gibt es 2000 solcher Container, 6000 könnten es werden. Dies wäre für Texaid Voraussetzung dafür, in der Schweiz fünf oder mehr regionale Sortierwerke zu errichten. 2500 Tonnen als Minimum, idealerweise 5000 Tonnen pro Jahr bräuchte es für den Betrieb. Die Container-Sammlung brächte einen kontinuierlichen Zufluss - zudem verdürbe die Ware, bliebe sie zu lange in den Säcken.
(St. Galler Tagblatt 4.11.1998, o. S.)

Bestimmte Verben und Konjunktiv

Bereits in der geschriebenen Sprache zeigt sich die Tendenz, den Konjunktiv Präteritum nur bei bestimmten, als Konjunktivformen etablierten Verben zu verwenden und im Übrigen die würde-Form einzusetzen.

Möglicherweise hatte der Angeklagte nicht damit gerechnet, dass das Amtsgericht Zeugen aus Polen laden würde und diese auch wirklich kommen würden.
(Braunschweiger Zeitung 18.5.2006, o. S.)

Tante Ifeoma lächelte, als Pater Amadi ihr sagte, er fahre mit mir zu der Frau, die mir das Haar flechten würde.
(Rhein-Zeitung 14.12.2005, o. S.)

Die zunächst depressive Stimmung nach den schlechten US-Vorgaben vom Mittwoch sei umgeschlagen, sagte Jörg Dechert, Händler bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Noch müsse aber abgewartet werden, ob nicht weitere Gewinnwarnungen - vor allem aus den USA - den Börsianern die Laune verderben würden.
(Mannheimer Morgen 1.6.2001, o. S.)

In gesprochener Umgangssprache sind wohl nur noch die gängigsten Verben im Konjunktiv Präteritum üblich, außer allen Modalverben sind das

als Voll- und Hilfsverben haben, sein, werden
relativ regelmäßig kommen, gehen, wissen, geben
seltener auch tun, halten, gebrauchen, finden, bringen

Bei diesen gebräuchlichen Verben zeigt sich dann kein Unterschied zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Diskursen. Während der Konjunktiv der Präsensgruppe vermutlich textsortenspezifisch und soziostilistisch markiert ist, ist der Konjunktiv der Präteritumgruppe bei allen Sprechergruppen gleichermaßen in Gebrauch. Seine Verbreitung ist jedoch hinsichtlich der verwendeten Verben varietätenabhängig unterschiedlich stark eingeschränkt.

Auch in Kontexten, in denen grundsätzlich der Konjunktiv Präteritum gebraucht werden könnte, überwiegt die würde-Form, was in Anbetracht des beschränkten Vorrats an Verben mit gebräuchlichem Konjunktiv Präteritum nicht verwundern kann. Bei den von Jäger 1971 untersuchten Texten stehen - bezogen auf alle Konjunktiv Präteritum- und würde-Formen - einem Viertel würde-Formen einem Zwölftel Vollverben im Konjunktiv Präteritum gegenüber; der Rest besteht aus periphrastischen Formen mit Hilfs- und Modalverben. Dabei treten würde-Formen zur Hälfte in indirekter Redewiedergabe und in Konditionalgefügen auf, während die übrigen Verwendungsweisen statistisch kaum in Erscheinung treten.

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Autor(en)
Gisela Zifonun, Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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