Kontexte der Alltagssprache

Die strikte Gebrauchsdifferenzierung von Indikativ und Konjunktiv in professionellen Nachrichtentexten entspricht dem Bedarf an differenziert und klar geregelter Signalisierung von indirekter Redewiedergabe und Behauptung: Für den Inhalt der wiedergegebenen Rede übernimmt der Journalist keine Verantwortung, nur für die Korrektheit der Wiedergabe. Dagegen hat der Journalist für die behauptenden Nachrichtenteile geradezustehen.

In der Alltagskommunikation wird dagegen häufig Indirektheit nicht konsequent markiert. Zum Beispiel kann der Indikativ den Konjunktiv in Indirektheitskontexten weitgehend ersetzen. Dann kann auch beim Indikativ Indirektheit mit dem abgeschwächten Verbindlichkeitsanspruch vorliegen: 'Ich lasse offen, ob ich mich dem anschließe.'

So entspricht einer Zeitungsnotiz wie

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Wagner berichtete, niemand habe die Absicht geäußert, beim Parteitag in zwei Wochen gegen Kohl zu kandidieren.
(Rhein-Neckar-Zeitung 29.8.1989, 1)

im alltagssprachlichen Gespräch durchaus eine Bemerkung wie

Wagner berichtete, niemand hat die Absicht geäußert ...

ohne dass hier unterschiedliche Verbindlichkeitsansprüche von Artikelautor oder alltagssprachlichem Sprecher naheliegen. Beide lassen eine eigene Stellungnahme offen.

Wird innerhalb eines Satzes zwischen Konjunktiv und - im Folgekontext - Indikativ gewechselt, gibt es drei Optionen.

  1. Der Indikativ wird gewählt, weil Indirektheit durch den vorangehenden Konjunktiv schon ausreichend signalisiert ist. Diese Option macht sicherlich die Mehrzahl aller Fälle aus.
  2. Der Indikativ markiert den Übergang zum Behauptungs- oder Faktizitätskontext: Sie behauptet, sie hätte mir irgendwann mal gesagt, wie das richtig geht.
  3. Der Indikativ zeigt Überlagerung an. Diese Option ist kommunikativ am schwierigsten einzuschätzen. Sie kann etwa in einem Kausalsatz dem Indikativ zugrundeliegen: Er sagt, er könne keine Noten geben, weil zu viele Kriterien da sind.

Beim letzten Beispiel mag auch der aktuale Sprecher hinter der Begründung stehen. Dagegen liegt der folgende Kausalsatz im Konjunktiv vollständig im Indirektheitsbereich.

Sie müssen der Behauptung entgegentreten, die Koalition sei undemokratisch, weil sie eine Verfälschung des Wählerwillens bedeute.

Wenn die indirekte Redewiedergabe auf einen Satz folgt, in dem die Wiedergabe mit lexikalischen Mitteln angezeigt wird, kann der Indikativ in allen Textsorten nur als Übergang in einen Behauptungskontext gewertet werden. Eine Ersetzung des Konjunktivs durch Indikativ müsste einen Wechsel in die Behauptungsperspektive signalisieren. Der Wechsel in einen Behauptungskontext ist hier eindeutig.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Wagner berichtete, niemand habe die Absicht geäußert, beim Parteitag in zwei Wochen gegen Kohl zu kandidieren. Es ist aber über die Möglichkeit einer Gegenkandidatur gesprochen worden.

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Autor(en)
Gisela Zifonun, Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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