Indirektheitskontexte mit Modalitätskomponente

Wer Äußerungen oder Gedanken indirekt wiedergibt, kann sich auf die Rolle eines reinen Berichterstatters beschränken. Geht er so vor, übernimmt er nur die Verantwortung dafür, dass die Wiedergabe sachlich korrekt ist. Ob, was er wiedergibt, auch korrekt ist, steht soweit nicht zur Debatte. Anders und um einiges komplizierter liegen die Dinge, wenn jemand Äußerungen oder Gedanken etwa so wiedergibt:

Meuli sagte, sie hätte auch bei verlockenden finanziellen Angeboten nicht weitergemacht.
(Die Südostschweiz, 09.08.2006, o. S.)

Hilde dachte, Satanspilze seien essbar.

Hier wird mehr erreicht als nur indirekte Wiedergabe. Zur Indirektheit tritt ausdrücklich der Aspekt möglicher Nicht-Faktizität: So sagte das Frau Meuli, so dachte sich das Hilde, aber ich, der Sprecher, lasse offen, ob sich die Dinge auch wirklich so verhalten und ob ich selbst auch dieser Auffassung bin.

Indirektheit und Nicht-Faktizität können unterschiedlich stark akzentuiert sein: Nicht-Faktizität liegt meist vor, wenn jemand von Gefühlen und Einstellungen spricht, die er selbst gegenwärtig hat.

Ich stelle mir vor, Satanspilze seien essbar.

Dass hier keine Indirektheit vorliegt, zeigt sich, wenn man entsprechende Sätze mit Verben des Sagens betrachtet, bei denen keine Verlagerung vom Sprechenden oder Sprechzeitpunkt weg stattfindet. Hier kann kein Konjunktiv stehen, der allein der Markierung von Indirektheit dienen müsste.

Ich sage dir, dass Satanspilze essbar sind.
Ich sage dir, dass Satanspilze essbar * seien.
Ich sage dir, dass Satanspilze essbar * wären.

Auch bei Verben der Gedankenpräsentation oder bei kognitiven Verben, bei denen stets auf das Vorliegen von Faktizität aus Sprechersicht geschlossen werden kann, etwa bei wissen, erkennen, einsehen, fühlen, ist in der Regel der Indikativ obligatorisch.

Bei Modalisierung oder Negation des Verbs ist die Restriktion aufgehoben.

Ich wüsste nicht, was er sonst machen könnte.

In literarischen Texten wird bei Verben wie wissen die Indirektheitskomponente mitunter auch so herausgestellt, dass das von anderen Gewusste trotz Faktizität aus der Erzählperspektive in den Konjunktiv gerückt wird.

Beide wussten, diesmal seien sie verloren.
(Heinrich Mann, Der Gläubiger, 30; zit. nach Kaufmann 1976, 89)

Nun erkannte er, dass der Vogel ihn auf einen anderen Stern gebracht habe und dass alles, was seine Augen sehen, Wirklichkeit und Wahrheit sei.
(Hermann Hesse, Merkwürdige Nachrichten von einem anderen Stern; zit. nach Kaufmann 1976, 89)

Ein Wechsel aus einem Modalitätskontext in einen Faktizitätskontext mit Übergang von Konjunktiv zu Indikativ liegt im folgenden Beleg vor.

Der Ausländer, der so denkt, würde freilich einen Irrtum begehen, wenn er meinte, das liege im deutschen Charakter oder in der deutschen Kultur, während doch in Wirklichkeit ein spezielles Erbe der Hintergrund dafür ist.
(Die Zeit 25.8.1989, 10)

Auch mit der Verwendung von Verben wie fest- oder klarstellen kann ein Urteil über die Faktizität des Gesagten verbunden sein.

Bundesaußenminister Genscher hat am Freitag klargestellt, dass die Bundesregierung beim Europäischen Rat in Mailand für eine Reform eintritt, in der Mehrheitsentscheidungen an Stelle eines Vetos treten sollen.
(Frankfurter Allgemeine 15.6.1985, 1)

Zusätzliche Faktizität scheint die Wahl des Indikativs in indirekter Redewiedergabe auch in der öffentlichen Kommunikation zu begünstigen.

Sowohl Indirektheit als auch Modalität in Form der Nicht-Faktizität kommen in den folgenden Belegen zum Tragen.

Manchmal wachten fünf spanische Polizeiinspektoren über sein gefährdetes Leben. [...] Einmal behaupteten die spanischen Behörden sogar, ein Mann namens Léon Degrelle befände sich nicht im Land.
(Münchner Merkur 35/ 1970, 4; zit. nach Kaufmann 1976, 55)

Aber Hitler suggerierte den Massen auch, um ihre Macht- und Zerstörungstriebe zu befriedigen, dass sie als Herrenrasse den Völkern der ganzen Welt überlegen wären, dass sie das Recht hätten, rassische und politische Untermenschen zu beseitigen, und dass sie sich auf eine künftige Weltherrschaft einrichten könnten.
(Helga Grebing, Der Nationalsozialismus, 48; zit. nach Kaufmann 1976, 55)

Mir meldet er aus Linz, er läge krank. Doch hab ich sichre Nachricht, dass er sich zu Frauenberg versteckt beim Grafen Gallas.
(Friedrich Schiller, Wallensteins Tod, II, 1)

Weiterführend Einschränkungen beim Gebrauch des Konjunktiv Präteritum zur Signalisierung von Modalität

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Autor(en)
Gisela Zifonun, Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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