Verbkomposita

Die Komposition von Verben spielt eine untergeordnete Rolle. In der Forschungsliteratur wird sogar überhaupt bezweifelt, ob es Verbkomposition gibt.

Zur Diskussion stehen vier Verbtypen:

Typ 1schönschreiben, kennenlernen, abholen
Typ 2übernachten
Typ 3spritzgießen, schleifpolieren
Typ 4überblicken, frohlocken

Typ 1: schönschreiben, kennenlernen, abholen

Die Bestandteile von Verben dieses Typs werden in vielen Kontexten getrennt.

Er schreibt schön.
Er holt das Buch ab.

Daher können diese Verben nicht als Komposita verstanden werden, denn bei der Komposition werden ausschließlich Wörter, also syntaktisch nicht trennbare Einheiten, produziert und nicht Phrasen mit syntaktisch mobilen Einheiten. Vgl. Komposition. Dass es sich bei Verben dieses Typs um Phrasen und nicht um Wörter handelt, berücksichtigt übrigens zum Teil auch die gültige Orthografie, nach der nun gilt: Rad fahren (analog bisherigem Auto fahren), kennen lernen und schön schreiben (jedoch weiterhin: schönreden). Vgl. Orthografie und Wortbildung. Solche Gefüge werden hier als Präverbfügungen verstanden. Vgl. speziell zu Verben wie abholen auch Partikelverb.

Typ 2: übernachten

Dagegen sind die Einheiten der eher seltenen Verben des Typs übernachten, überwintern, unterkellern syntaktisch nicht mobil. Diese Verben sind also Wortbildungsprodukte. Sie werden hier als Konvertate aus Phrasen wie über Nacht analysiert.

Er übernachtet im Büro.

Typ 3: spritzgießen, schleifpolieren

Ebenfalls als Komposita zu definieren sind Verben dieses Typs. Die beiden Einheiten sind, soweit erkennbar, fest miteinander verbunden; die erste Einheit bestimmt die zweite näher: 'polieren und zwar durch Schleifen'. Solche Komposita finden sich vor allem in den technischen Fachsprachen: brennhärten, sprengnieten, schwingschleifen (nach Reinhardt 1966, 186), seltener auch in der Belletristik: grinskeuchen, zuckschlingen, schnaufwittern (nach Fleischer/Barz 1995, 295).

Ich streute zu allem Überfluss noch krossgebackene Schweinespeckbrösel über den Rohkostsalat und knirschkaute genüsslich.
(Lander 1995: 110)

In der Forschungsliteratur werden solche Verben häufig als Kopulativkomposita interpretiert; diese Interpretation ist jedoch nicht zwingend, meist sogar zweifelhaft. Vgl. dazu Kopulativkomposita.

Typ 4: überblicken

Auch Verben des vierten Typs werden hier als Komposita aufgefasst. Sie bestehen aus einer Präposition und einem Verb. Die Präposition determiniert das vom Verb Bezeichnete vor allem hinsichtlich des Raumes.

Das Messer durchdringt den Stoff.
Sie hinterlässt ihm ein Vermögen.
Er übergießt den Braten mit Wein.
Sie unterschreibt den Vertrag.
Er widerlegt ihre Thesen.

Bei Verben mit über und unter wird ein Zuviel oder Zuwenig ausgedrückt.

Er übernimmt sich.
Sie unterfordert ihn.

Darüber hinaus finden sich einige etablierte nichttrennbare Verben wie frohlocken, nachtwandeln, vollbringen, vollenden, vollführen, vollziehen, wiederholen, die der Definition nach ebenfalls den Komposita zugerechnet werden müssen. Weitere Verben nach diesem Muster bilden Sprecherschreiber aber offenbar gegenwärtig nicht mehr.