Unquantifizierte Gegenstandsentwürfe
Bei Gegenständen denkt man zunächst meist an Individuen, und diese sind, kraft ihrer Individualität, von vornherein als quantifiziert zu betrachten, als mehr oder weniger viele Exemplare einer Art. Daneben lassen sich aber auch Gegenstände entwerfen, die nicht schon quantifiziert sind: Wird ein Verrechnungsort für ein Prädikat durch ein Argument bestimmt, das allein mit einem Ausdruck mit Charakterisierungspotenzial formuliert wird, dann wird ein Gegenstand entworfen, der zwar hinsichtlich eines Charakteristikums bestimmt ist, hinsichtlich einer Quantität jedoch unbestimmt bleibt. Das bloße Charakteristikum genügt.
(die tageszeitung 8.8.1987, 4)
Reines Wasser ist eine geruchs- und geschmacksneutrale Flüssigkeit. "Wasser."
(Microsoft® Encarta® Enzyklopädie 2001)
Unter normalen Bedingungen wird Beton mit dem Alter härter.
(Microsoft® Encarta® Enzyklopädie 2001)
Die Beispiele sind 'typische' Beispiele. Sie beschränken sich auf Fälle, die häufig genannt werden, wenn von unquantifizierten Gegenstandsentwürfen die Rede ist. Grundsätzlich können aber mit allen Prädikatsausdrücken solche Gegenstände entworfen werden.
Wolf mag ich nicht so.
Straße ist mir allemal lieber als Trampelpfad.
Magenta ist die Farbe der Deutschen Telekom.
Hüpfen hält dich fit.
Allerdings ist normalerweise wenig Anlass gegeben, derartige Argumente zu gebrauchen. Grundsätzlich ist eine Interpretation als Substanz unter geeigneten Voraussetzungen bei allen Prädikatsausdrücken möglich, denn sie ist in gewisser Weise elementar: Sie greift allein das Charakteristikum auf, eben das, was jeder Prädikatsausdruck auf sich gestellt besagt. So sind wir zwar gewohnt, etwa bei Haus sofort an ein Haus zu denken und daran, dass es viele einzelne Häuser gibt, aber Haus allein bedeutet nicht 'ein Haus', eher so viel wie 'Haushaftes'.
Zwei Beobachtungen, die in diesem Zusammenhang zu machen sind, bedürfen noch der Erklärung:
1. Unquantifizierte Gegenstandsentwürfe vertragen sich nicht mit beliebigen Prädikaten.
Es fällt schwer, Ausdrücke als Sätze zu akzeptieren, wenn die markierten Ausdrücke nicht als Eigennamen oder Kurzformen im Schlagzeilenstil verstanden werden dürfen.
Lied schläft in allen Dingen. Träumen bedankt sich bei dem noblen Spender.
Die Schwierigkeiten dabei sind nicht jedoch darauf zurückzuführen, dass die Bildung entsprechender Gegenstandsentwürfe unzulässig wäre, sondern darauf, dass es kaum gelingt, aus der Verbindung dieses Arguments mit diesem Prädikat Sinn zu machen.
Diese Schwierigkeit ist nicht spezifisch für Entwürfe unquantifizierter Gegenstände. Der folgende Ausdruck ist kaum besser zu verstehen.
2. Mitunter werden unquantifizierte Gegenstandsentwürfe so interpretiert, als sei von einer zwar unbestimmten, aber eben doch einer Quantität die Rede.
Gemeint sind dabei Verwendungen wie die folgenden.
In dieser Flasche befindet sich Salzsäure.
Zucker ist wasserlöslich.
Offenbar will, wer Wasser wünscht, nicht die Substanz Wasser, sondern ein Quantum Wasser: Zum Beispiel ein Glas, wenn er etwas trinken, mehrere Eimer, wenn er einen Brand löschen will. Wenn es zutrifft, dass Zucker wasserlöslich ist, dann heißt das, dass alles, was Zucker ist, wasserlöslich ist. Man sieht: Ein Entwurf unquantifizierter Gegenstände ist nicht unbedingt Entwurf der bloßen Substanz. Auch nicht weiter bestimmte Portionen entsprechender Substanzen können so bestimmt werden.
Wie verträgt sich das mit unserer Behauptung, die entworfenen Gegenstände seien nicht quantifiziert? Die Quantifikation, die wir bei diesen Beispielen vorfinden, ist nicht auf die Information zurückzuführen, die wir bei der Einrichtung des Verrechnungsorts erhalten. Wir stützen uns dabei auf das Prädikat und manchmal auch auf unser Hintergrundwissen. Wir stellen auf der Basis allgemeiner Kommunikationsprinzipien eine Überlegung an, die uns eine Quantifikation vornehmen lässt, die durch das Argument selbst nicht angezeigt ist. Dass wir eine solche Überlegung legitim anstellen können, bedeutet allerdings nicht, dass wir den Gegenstandsentwurf am Ende doch als quantifiziert zu betrachten haben.
Dabei mag irritieren, dass bei Argumenten, die als Entwürfe unquantifizierter Gegenstände realisiert werden, mit dem Argument hinsichtlich der Quantität keine bestimmte Verifikationsbedingung vermittelt wird. Wie kann ein derartiger Gegenstand als Bestimmung eines Verrechnungsorts in Frage kommen? Hier kann das Bild vom Verrechnungsort als eine Art Konto weiterhelfen: Ein Konto kann Konto eines Individuums sein, aber auch Konto einer Gemeinschaft, etwa einer Hauseigentümergemeinschaft oder eines Vereins. Als Gemeinschaftskonto ist es einerseits Konto der Mitglieder der Gemeinschaft, steht diesen andererseits aber als Individuen nicht zur Verfügung. Insofern kann man verstehen, dass etwas auf das Konto von 'Schwein' gehen kann, ohne damit immer auch auf das Konto einer bestimmten Anzahl von Schweinen zu gehen.
Dass ein Gegenstand in einer Hinsicht bestimmt und in anderer unbestimmt bleibt, ist so ungewöhnlich nicht. Wie in Selbständige Quantoren ausgeführt wird, finden sich auch Entwürfe, die hinsichtlich einer Quantität bestimmt sind, ohne ein Charakteristikum anzugeben, das die so quantifizierten Gegenstandseinheiten gemeinsam haben. Werden unquantifizierte Gegenstandsentwürfe so verstanden, bereitet es keine Schwierigkeiten, auch so genannte Abstrakta darunter zu fassen.
(Neue Kronen-Zeitung 11.5.1997, o. S.)
Es ist Bewegung in die deutschen Abend-, Tages- und sonstigen Nachrichtenschaus gekommen, und Ruhe ist nicht mehr erste Bürgerpflicht.
(die tageszeitung 28.2.1992, 20)
Nach Angaben der WHO haben sich in den vergangenen Jahren vor allem Tuberkulose, Cholera, Gelbfieber und Pest wieder verbreitet.
(die tageszeitung 2.5.1994, 13)
Die Klassifikation solcher argumenttauglicher Ausdrücke als Abstrakta ist - wie eine Klassifikation von Wasser als Substanzbezeichnung - sachbezogen, nicht sprachbezogen. Es ist deshalb nicht Sache einer Grammatik, solche Klassifikationen vorzunehmen.