Offene Propositionsausdrücke in Argumentfunktion

Als offene Propositionsausdrücke werden hier Ausdrucksformationen bezeichnet, mit denen nicht abgeschlossene Propositionen zu formulieren sind, bei denen die Position des Subjekts unbesetzt und mithin offen bleibt.

Offene Propositionsausdrücke sind im Deutschen Ausdrücke, die formal als Infinitivkonstruktionen beschrieben werden. Was diese Konstruktionen argumenttauglich macht, ist der Umstand, dass sie wie Prädikatsausdrücke über ein Charakterisierungspotenzial verfügen, das bei der Bestimmung eines Verrechnungsorts angewendet werden kann. Was jedoch nicht bedeutet, dass Infinitivkonstruktionen ganz auf die Funktion als Argumentausdrücke festgelegt wären. Sie können ebenso als Propositionsspezifikationen, Geltungsspezifikationen oder Weiterführungen fungieren.

So wie Infinitivkonstruktionen gebaut sind, kann in ihnen bis auf den Ausdruck für das zuletzt zu verrechnende Argument - das Subjekt - und bis auf den Ausdruck der Finitheit alles auftreten, was einen Propositionsausdruck ausmacht. Zwei Fragen sind hierzu von Interesse.

  • Wieso ergibt sich die Offenheit von Infinitivkonstruktionen als Propositionsausdrücken stets durch das Fehlen des Subjekts?
  • Welchen Sinn hat die Offenheit dieser Ausdrücke?

Wieso ergibt sich die Offenheit von Infinitivkonstruktionen als Propositionsausdrücken stets durch das Fehlen des Subjekts?

Diese Frage ist zum Teil schon damit beantwortet, dass wir von dem Subjekt als einem Letztargument reden: Wenn das Subjekt zuletzt verrechnet wird, ist es wohl das Argument, das fehlen darf. Alles andere würde die semantische Interpretation weiter komplizieren. Doch stützt sich die Bestimmung des Subjekts als Letztargument wesentlich auf eine Analyse des Baus von Infinitivkonstruktionen, weshalb man, um eine Petitio principii zu vermeiden, hinter eine Bestimmung des fehlenden Arguments als Letztargument zurückgehen sollte.

Was bei Infinitivkonstruktionen offen bleibt, kann unter formalem Aspekt bei diesen Konstruktionen stets als von selber Art identifiziert werden. Geht man davon aus, dass dieses Argument unter den Argumenten eines Prädikats keine Sonderstellung genießt, erscheint es als nicht weiter erklärbare Eigenheit der deutschen Grammatik, dass gerade dieses und nur dieses Argument offen bleibt. Tatsächlich nimmt aber das Subjekt nachweislich eine Sonderstellung ein und zwar nicht nur hinsichtlich seines Ausbleibens bei Infinitivkonstruktionen.

Numerus und Person des finiten Verbs orientieren sich an dem diesem Argument entsprechenden Komplement, wie man hier besser sagen sollte, da es sich um eine Erscheinung des Ausdrucks handelt. Hierzu auch Korrespondenz zwischen Subjekt und finitem Verb.

Verbgruppenadverbialia mit Subjektbezug haben den weitesten Skopus. Hierzu auch Skopus und Stellung.

Was die Sonderstellung des Subjekts beweist, erklärt sie damit jedoch noch nicht. Einiges spricht dafür, dass eine funktionale Erklärung nur insofern möglich ist, als wir in der Existenz eines ausgezeichneten Arguments oder Komplements über ein Strukturelement verfügen, das dazu beiträgt, die Transparenz syntaktischer Konstruktionen zu verbessern. Eine weitergehende Erklärung gerät unweigerlich in den Bereich einer historischen oder statistischen Spekulation.

Zieht man die Sonderstellung des Subjekts in Betracht und dabei insbesondere die Tatsache, dass es als letztes verrechnet wird, versteht sich von selbst, weshalb stets dieses Argument offen bleibt: Würde ein anderes Argument ungesättigt bleiben, wie könnte dann das Verb im Prädikatsausdruck in Anwesenheit des Subjekts unflektiert bleiben?

Welchen Sinn hat die Offenheit dieser Ausdrücke?

Diese Frage erlaubt keine direkte Antwort, weil es den (!) Sinn für die Offenheit von Propositionsausdrücken nicht gibt. Zwei Fälle sind zu unterscheiden, die nur oberflächlich gleich sind, insofern als beide unter Verwendung von Infinitivkonstruktionen Verrechnungsorte bestimmen. Der Unterschied zeigt sich an folgenden Beispielen.

Andererseits lernte er sich auch gegen aussen durchzusetzen.
(St. Galler Tagblatt 22.7.1997, o. S.)

Ich verspreche dir, alles in meinen Kräften stehende zu tun, damit die Traditionen unserer sozialistischen Sportbewegung erfolgreich fortgesetzt werden.
(die tageszeitung 25.3.1988, 9)

Im ersten Beispiel wird mit der Infinitivkonstruktion eine offene Proposition zum Ausdruck gebracht, die auch im Zusammenhang ihrer Verrechnung mit dem Prädikat als eine offene erhalten bleibt. Man kann den Satz so paraphrasieren:

Er lernte das Sich-gegen-außen-Durchsetzen.

Auch im zweiten Beispiel bestimmt die Infinitivkonstruktion eine offene Proposition, die jedoch im Zug der Interpretation der Proposition, in der sie figuriert, zur vollständigen Proposition hochgerechnet wird: Das Letztargument, das die Infinitivkonstruktion offen ließ, kann dabei systematisch bestimmt werden, weshalb Infinitivkonstruktionen in solchen Umgebungen lediglich eine kompaktere Form sind, um Propositionen zum Ausdruck zu bringen. Auch hier zeigt eine Paraphrase, was die Interpretation bewirkt.

Ich verspreche dir, dass ich alles in meinen Kräften stehende tun werde, damit die Traditionen unserer sozialistischen Sportbewegung erfolgreich fortgesetzt werden.

Eine entsprechende Paraphrase zum ersten Beispiel wäre nicht bedeutungserhaltend.

Er lernte, dass er sich auch gegen außen durchzusetzte.
Offene Propositionsausdrücke können also in Argumentfunktion gebraucht werden, um tatsächlich offene Propositionen als Argumente zu bestimmen, aber auch, um in kompakter Form Propositionen zu bestimmen, wobei dann zur Bestimmung des Arguments ein Orientierungsausdruck oder -term in der übergeordneten Struktur oder im weiteren Kontext heranzuziehen ist.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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