Quantifizierte Gegenstandsentwürfe

Gegenstände können ausdrücklich als unquantifiziert entworfen werden. Sehr viel häufiger werden jedoch bestimmte Quantitäten von Gegenständen oder auch Gegenstände in bestimmten Quantitäten entworfen. Als Mittel für die Formulierung solcher Entwürfe kommen gleichermaßen definite und indefinite Charakterisierungen in Frage.

Indefinite Charakterisierungen

Ein quantifizierter Gegenstandsentwurf setzt sich zusammen aus

  1. der Bestimmung einer Quantität von unbestimmten Einheiten
  2. einem Prädikat, das den quantifizierten Einheiten eine besondere Charakteristik zuschreibt.

Das charakterisierende Element erfüllt also beim Entwurf von Gegenstandsquantitäten eine andere Aufgabe als bei unquantifizierten Gegenstandsentwürfen. Es konstituiert nicht selbst schon einen Gegenstandsentwurf, der dann im Zug der Quantifikation in Entwürfe von Entitäten bestimmter Charakteristik verwandelt würde, sondern es bringt sein Charakterisierungspotential als Prädikat zum Tragen.

Knapp ein Drittel der Befragten gab an, selbst MP3-Dateien zu erstellen, und 43 Prozent aller Anwender nutzen beide Möglichkeiten.
(Berliner Zeitung 14.3.2000, 16)

Seit vielen Jahren treten die sieben Jazz-Musiker Anfang Dezember ohne Gage auf, um mit dem Konzerterlös die Altenhilfe der Frankfurter Rundschau zu unterstützen.
(Frankfurter Rundschau, 09.01.1997, 21)

Auch Substanzbezeichnungen, mit denen typischerweise unquantifiziert Gegenstände entworfen werden, können quantifiziert werden. In den folgenden Beispielen wird über Sorten der mit Freiheit, Wasser, Grün bestimmten Substanzen quantifiziert. Die Substanz wird nicht als homogen betrachtet, sondern als etwas, das Subklassen hat.

Das tun die Herren gern; und der Dirigent ließ ihnen jede Freiheit, auch den ganzen Lautstärkenraum auszumessen.
(Salzburger Nachrichten 17.10.2000, o. S.)

Auch reines Wasser, das wir gemeinhin als farblos ansehen, besitzt einen Schimmer blauen Licht.
(St. Galler Tagblatt 19.8.1999, o. S.)

Sie liebte dieses Grün. Es war so frisch und zart.
(Berliner Zeitung 11.4.1998, I)

Die Quantifikationen in den folgenden Beispielen bestimmen Portionen der Substanzen 'Flüssigkeit' und 'angereichertes Uran'.

Pro Tag sollte der erwachsene Mensch mindestens eineinhalb bis zwei Liter Flüssigkeit zu sich nehmen, riet Professor Vahlensiek.
(Mannheimer Morgen 22.3.86, 13)

Nach Berichten für die EG-Kommission sind rund drei Kilo angereichertes Uran in die Nordsee gekippt worden.
(die tageszeitung 5.8.1992, 1)

Die Wirkung von Quantoren erschöpft sich nicht immer an der Argumentstelle, deren Ausdruck sie syntaktisch zugeordnet sind.

Als die Galerie geschlossen wurde, hatte sie das Know-how und viele Freunde: "Alle Künstler, die ich damals hatte, haben gesagt, sie würden auf Geld verzichten; sie wollten, daß ich weitermachte, wollten alle helfen."
(die tageszeitung 3.7.1989, 13)

Das hier in den beiden Termsätzen als Platzhalter fungierende anaphorische Pronomen sie, befindet sich zwar nicht mehr unmittelbar im Skopus des Quantors, der im Obersatz formuliert wird. Es erbt aber die Quantifikation des Gegenstandsentwurfs, auf den es bezogen ist. Das gilt auch dann, wenn die Anapher selbst mit einem quantifizierenden Ausdruck verbunden ist. Die neuerliche Quantifikation operiert dabei auf einer Quantifikation, die fortgeführt wird.

Einige von ihnen wollten, dass ich weitermachte.

Wie weit der Skopus einer einmal vorgenommenen Quantifikation reicht, ist stets im Zusammenhang mit auftretenden Indikatoren einer Fortführung oder angelegten Verweisen zu bestimmen. Allgemein kann man festhalten: Der Wirkungsbereich eines Quantors reicht in einem Text genau so weit nach vorn, wie der am weitesten entfernte Rückbezug, der den Gegenstandsentwurf fortführt, in dem der Quantor direkt angewandt wird.

Definite Charakterisierungen

Eine besondere Klasse argumenttauglicher Ausdrücke bilden definite Charakterisierungen. Sie können einzelne Gegenstände entwerfen, aber auch ganze Ensembles von Gegenständen. In jedem Fall handelt es sich dabei um etwas, das als in seiner Individualität eindeutig bestimmt zu gelten hat, also nicht um einen beliebigen Gegenstand der charakterisierten Art. Man kann deshalb auch sagen: Definite Charakterisierungen formulieren Entwürfe definiter Gegenstände.

Die Sonne schien und die Mannheimer waren nicht mehr zu halten.
(Mannheimer Morgen 14.4.1998, o. S.)

Die neuen Privatsender und später das Abonnements-TV bescherten den Klubs Fernsehgelder in bislang unbekannten Dimensionen.
(die tageszeitung 6.10.1997, 9)

Jetzt mußte der Navy-Chef seinen Hut nehmen.
(die tageszeitung 1.7.1992, 16)

Definite Charakterisierungen können, da sie Singuläres entwerfen, auch Verweise anlegen. Ihr Verweispotenzial wird allerdings nur aktiviert, wenn das Argument, das sie formulieren, gebraucht wird, um auf etwas Bezug zu nehmen, was - wie in Argumente im kommunikativen Handeln aufgeführt - nicht unbedingt der Fall sein muss. Dabei ist der Anspruch einer definiten Charakterisierung auf Singularität des Entworfenen nicht absolut zu verstehen: Einzig in seiner Art muss das Entworfene nur im Hinblick auf das sein, was im Gesprächszusammenhang überhaupt in Frage kommt.

Eine definite Charakterisierung verstehen heißt nicht allein wissen, wie das Charakterisierte zu sein hat. Es heißt darüber hinaus wissen, dass die Charakterisierung auf Singuläres zutreffen soll. Es heißt jedoch nicht schon so viel wie: den Gegenstand kennen, auf den die Charakterisierung zutrifft.

Wenn davon die Rede ist, dass Schillers Geburtshaus in Marbach steht, muss man dieses Haus weder kennen noch erkennen, wenn man vor ihm stünde, um zu wissen, was gemeint ist. Entscheidend ist allein zu erkennen, dass mit der definiten Charakterisierung 'Schillers Geburtshaus' ein individueller Verrechnungsort eingerichtet wurde. Tatsächlich muss der damit entworfene Gegenstand weder existieren noch existiert haben. Müsste er existieren, wären die meisten literarischen Werke weitgehend unverständlich, denn in ihnen werden zuhauf Individuen entworfen, denen keinerlei reale Existenz zukommt.

Gebildet werden definite Charakterisierungen in Form von Nominalphrasen mit definitem Artikel, Possessiv-Artikel oder Demonstrativ-Artikel. Ihre Zahl ist unüberschaubar, weil in solchen Phrasen neben den bereits zahlreichen Nomina in Formverschiedener Typen von Attributen unbegrenzt weitere Charakterisierungsmittel eingesetzt werden können. Die Zahl der in Frage kommenden unselbständigen Verweisausdrücke hingegen ist vergleichsweise klein. Es handelt sich durchweg um Entsprechungen von Demonstrativ- und Possessiv-Pronomina, von denen hier jeweils die nominativischen Singularformen aufgeführt sind. Eine Spezifikation dieser definiten Determinative in der Art der Spezifikation von Pronomina ist nicht möglich.

der, die, das
dieser, diese, dieses
jener, jene, jenes
derselbe, dieselbe, dasselbe
sein, ihr, mein, dein, unser, euer

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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