Nein
Beim Gebrauch von nein hat die Negation selbst den Charakter eines genuinen Diktums, ist mithin nicht mehr als Diktumserweiterung zu betrachten. Mit nein kann man
- Behauptungen und Annahmen zurückweisen
(die tageszeitung, 16.04.1999, S. 6-7, Beilage Le Monde diplomatique)
(Züricher Tagesanzeiger, 17.01.1997, S. 21)
- auf Entscheidungsfragen abschlägig antworten
(Züricher Tagesanzeiger, 23.05.1997, S. 51)
(die tageszeitung, 13.04.1987, S. 2)
- Aufforderungen - von Bitten bis zu Befehlen - zurückweisen
(Berliner Zeitung, 19.12.1997, S. 11)
Wie nein können auch Ausdrücken wie keinesfalls oder mitnichten gebraucht werden, doch, während diese auch als Teile einer kommunikativen Ausdruckseinheit auftreten können, kann nein nie als echter Teil einer solchen Einheit fungieren.
An der Beschränkung auf Dikta im Aussage- und Entscheidungsfrage-Modus sowie im Aufforderungsmodus zeigt sich, dass nein keineswegs ein universales Mittel für Zwecke der Negation ist
Genau genommen ist nein nur eine von mehreren einschlägigen verbalen und auch nonverbalen Ausdrucksformen. In wesentlicher Hinsicht dieselbe kommunikative Wirkung ist mit "ablehnenden" Gesten zu erreichen.
Was man so sagt, ist allerdings - in der Regel - erst auf der Basis eines vorgängig geäußerten Diktums zu verstehen und wirkt insofern doch als eine Modifikation. Die Eigenständigkeit als Diktum verdankt diese Form der Modifikation dem Umstand, dass, was sie modifiziert, im Allgemeinen nicht vom Sprecher selbst vorgebracht wurde, jedoch noch so präsent ist, dass es nicht nochmals expliziert werden muss.
Wer nein sagt, reagiert zurückweisend auf den Geltungsanspruch, der mit der zentralen Proposition des Vorgängerdiktums verbunden wird oder werden könnte:
Das Auftreten eines vorgängigen Diktums ist allerdings nicht zwingend. An seine Stelle kann eine nicht-verbale Handlung treten: Mein Partner zeigt mir einen Entwurf für ein Objekt, das wir gemeinsam bauen wollen. Ich betrachte den Entwurf und sage: "Nein." Oder: Jemand gibt mir gestisch zu verstehen, ich soll hier weggehen. Ich sage: "Nein." Oder: Jemand lehnt sich gegen das instabile Balkongeländer, und ich sage warnend: "Nein." Mit einer solchen Warnung wird versucht, das In-Geltung-Kommen eines Sachverhaltsentwurfes ("er stürzt hinunter") zu verhindern. Oder: Ich rufe beim Anblick einer zu Bruch gegangenen teuren Vase frustiert: "Nein!" - ein verbaler Versuch, Geschehenes ungeschehen zu machen.
Ein Nein kann mit einer Spezifikation dessen verbunden werden, was zur Negation der Bezugsproposition führt und was sie akzeptabel machen würde, wenn es anstelle des entsprechenden Redeteils eingesetzt würde:
Wer so auf eine Frage oder Feststellung reagiert, ist allerdings gehalten, etwaige Fokussierungen im vorgängigen Diktum in Rechnung zu stellen:
Für sich betrachtet unterscheidet sich Nein, den Götz von Berlichingen nicht grundsätzlich von den Antworten in den vorhergehenden Beispielen, doch ist es nicht als Antwort auf die zuvor gestellte Frage zu gebrauchen.