Formen der Negation

Die Feststellung, nicht jede Negation müsse das gesamte Diktum im Skopus haben, ist nicht so zu verstehen, als würde damit die Existenz von Negationen mit grundsätzlich verschieden weitem Skopus angenommen. Negationen wirken stets als Zurückweisung eines Geltungsanspruchs bezüglich einer Proposition, und nichts, was dieser Proposition zuzurechnen ist, kann der Negation entzogen sein. Teil- oder Sondernegationen selbst nicht-propositionaler Komponenten von Propositionen sind deshalb nicht möglich.

Der Eindruck, es gebe Sondernegationen mit engerem Skopus, ist auf das Zusammenwirken der Negation mit Fokussierungs- und Kontrastierungseffekten zurückzuführen, die bei Negationen besonders ins Auge fallen. Stellt man diese Effekte in Rechnung, können drei Arten von Negation unterschieden werden:

  1. Pauschale Negation
  2. Fokusbezogene Negation
  3. Kontrastierende Negation

Pauschale Negation kann dabei als die Basisoperation betrachtet werden. Sie leistet im Diktum dasselbe wie ein pauschales

Das stimmt nicht!

als Reaktion auf eine Behauptung. Sie lässt offen, worauf sich zu Zurückweisung im Einzelnen stützen könnte. Fokusbezogene und kontrastierende Negationen leisten mehr als pauschale Negationen. Fokusbezogene Negationen identifizieren zusätzlich etwas, das als hinreichender Grund für die Negation gelten soll: Was auch immer, dies eine jedenfalls in diesem Zusammenhang nicht. Kontrastierende Negation geht noch weiter: Sie weist zwar einen gegebenen Geltungsanspruch in seiner Besonderheit zurück, erlaubt aber davon auszugehen, dass, wenn schon dieser nicht aufrechtzuerhalten ist, so doch eine existenzielle Verallgemeinerung dieses Anspruchs.

Pauschale Negation

Die semantische Beschreibung der pauschalen Negation ist mit der Klärung ihrer allgemeinen Funktion und der Bestimmung des Skopus abgeschlossen. Da jede fokusbezogene und kontrastierende Negation immer eine pauschale Negation einschließt, ist aus semantischer Sicht keine weitere Spezifikation der pauschalen Negation erforderlich. Die syntaktische Beschreibung muss jedoch auch die besondere Charakteristik dieser Form der Negation berücksichtigen.

Die Syntax pauschaler Negation unterscheidet sich von der Syntax fokusbezogener und kontrastierender Negation in mehreren Punkten. Die Unterschiede zeigen sich zum Teil allerdings nur bei mündlicher Rede:

  1. Pauschale Negation zeichnet sich aus durch das Fehlen markierter Wortstellung und Betonung.
  2. Der Negationsausdruck befindet sich im Verbzweitsatz stets im Mittelfeld.
  3. Argumentausdrücke, die als indefinite NP realisiert werden, stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck. Als Ausdruck der Negation dient ein k, das dem ersten indefiniten Aktikel vorangestellt wird:
Ich wünsche keinem dieser "Nörgler", daß er einmal auf ein Organ warten muß und es eventuell wegen eines "Flugverbotes" nicht bekommen kann.
(Tiroler Tageszeitung, 03.04.1997, Betrifft: Artikel "Lebensrettende Nachtflüge")
  1. Argumentausdrücke, die als definite Nominalphrase oder Pronominalphrase realisiert werden, stehen im Verbzweitsatz links vom Negationsausdruck.
Die Situation der weniger marktangepaßten Künstler war in diesem Kreis kein Thema.
(die tageszeitung, 31.10.1988, S. 12)

Doch Hertha habe ihm das Haus nicht verkauft.
(Berliner Zeitung, 08.07.1998, S. 20)

  1. Argumentausdrücke, die als definite Präpositionalphrasen realisiert werden, stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck:
Zumal Abiturienten anderer Bundesländer sehr gerne das Angebot im Ländle annähmen, rund ein Drittel der Studierenden stammt nicht aus dem Südweststaat.
(Mannheimer Morgen, 03.11.1994, Feier mit offenen Wünschen)
Er wurde trotz seiner Verletzung nicht ins Krankenhaus, sondern in den Frankfurter Abschiebeknast gebracht, wo er sich zur Zeit noch befindet.
(die tageszeitung, 04.07.1987, S. 4)

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ausdrucksgleiche Präpositionalphrasen, die nicht in Argumentfunktion, sondern in der Funktion einer Propositionsspezifikation gebraucht werden, bei pauschaler Negation links vom Negationsausdruck stehen müssen:

H. arbeitet im Krankenhaus nicht.

Steht die Präpositionalphrasen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck, wird die Negation als kontrastierend verstanden:

H. arbeitet nicht im Krankenhaus, sondern in der Chemiefabrik.
  1. Quantifikationsausdrücke, die Argumentausdrücke oder Ausdrücke von Propositionsspezifikationen einleiten, stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck, wenn - erstes Beispiel - die entsprechende Quantifikation sich im Skopus der Negation befindet, links davon mit ihrem Bezugsausdruck, wenn - zweites Beispiel - die Negation sich im Skopus der Quantifikation befindet:
Milosevic kann nicht viele Monate lang widerstehen.
(Berliner Morgenpost, 30.04.99, S. 4)
Bei dem Absatzeinbruch von VW spielt eine Rolle, daß die meistgefragten Modelle Jetta und Golf viele Monate nicht lieferbar waren.
(Frankfurter Allgemeine, 1993)
  1. Quantifikativ-Pronomina als Quantifikationsausdrücke stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck und bilden zum Teil mit ihm zusammen einen speziellen Ausdruck, wenn - so bei den ersten vier Beispielen - die Quantifikation sich im Skopus der Negation befindet, links davon, wenn - so beim letzten Beispiel - die Negation sich im Skopus der Quantifikation befindet:

(vii)

Sie verstanden nichts, aber die Akzente hielten sie in Atem.
(Thomas Mann, Erzählungen, Mario und der Zauberer, Ein tragisches Reiseerlebnis, 1930, S. 683)
Man muß nicht alles aufheben, was man findet, beispielsweise sollte man eine Bleikaspel von Cäsium 137 liegen lassen.
(die tageszeitung, 08.10.1987, S. 7)
Bislang ist allerdings nirgendwo erklärt worden, es habe sich irgendjemand persönlich bereichert.
(die tageszeitung, 17.03.1987, S. 8)
"Sie haben niemals etwas herausgefunden", sagte sie.
(Mannheimer Morgen 03.01.87, S. 14)
Er antwortete nur: "Sie verstehen so manches nicht."
(die tageszeitung, 03.08.1993, S. 12)
  1. Ausdrücke von Prädikatspezifikationen stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck:
Hoffentlich wird nicht zu dick aufgetragen.
(St. Galler Tagblatt, 29.08.1998, Balsam)
  1. Ausdrücke von Propositionsspezifikationen stehen im Verbzweitsatz links vom Negationsausdruck:
1996 gegründet und noch immer gibt es Never Too Late, fünf nicht mehr ganz junge Herren, die alle etwas gemeinsam haben: sie sind nie zu spät. So hoffentlich auch heute in der Moststube nicht.
(St. Galler Tagblatt, 06.11.1999)
  1. Ausdrücke von Geltungsspezifikationen können rechts oder links vom Negationsausdruck stehen, wenn sich die Negation in ihrem Skopus befindet:
Ich mag Brüssel nicht, weil ich mich dort immer verirre.
(die tageszeitung, 04.07.1991, S. 1)
Eine öffentliche Untersuchung des U-Boot-Geschäfts wird es wegen angeblicher Sicherheitsrisiken nicht geben.
(die tageszeitung, 21.04.1987, S. 9)

Fälle, in denen sich eine Geltungsspezifikation im Skopus einer Negation befindet, sind stets kontrastierend:

H. trinkt entschieden zuviel, nicht weil er Schmerzen hat, sondern ...
  1. Ausdrücke von Geltungsrestriktionen verhalten sich wie Ausdrücke von Geltungsspezifikationen.
  2. Ausdrücke von Kommentierungen, Diktumsgraduierungen, Modalfunktionen, Diskursorganisatoren und Abtönungen stehen stets links vom Negationsausdruck, sofern sie nicht im Nachfeld stehen:
So weit ist es zum Glück nicht gekommen.
(Züricher Tagesanzeiger, 01.07.1998, S. 53)
In Ost-Berlin würde das Empfehlungsschreiben sogar nicht in die Schülerakte aufgenommen.
PVC-haltige Stoffe, so ein Sprecher der Feuerwehr, hätten sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in der Halle befunden.
(Frankfurter Rundschau, 029.04.1997, S. 21)
Wer bequem fahren möchte, muß ja nicht gleich mit seinem Reichtum protzen.
(Frankfurter Rundschau, 012.12.1998, S. 15)
Das Steuerbudget 1997 konnte insbesondere nicht in den Vorgaben aus den natürlichen und juristischen Personen erreicht werden.
(St. Galler Tagblatt, 07.02.1998, 5,6 Prozent weniger eingenommen)

Fokusbezogene Negation

Fokusbezogene Negation leistet alles, was auch pauschale Negation leistet, doch sie reicht in einer wesentlichen Hinsicht auch darüber hinaus. Sie setzt dazu auf die in einem Diktum realisierte Fokussierung auf. Diese kann auf zweierlei Weisen erreicht werden: durch Topikalisierung oder Akzentuierung des Exponenten einer Phrase. Auch Kombinationen beider Verfahren sind möglich. Durch die abweichende Stellung oder Akzentuierung wird die Aufmerksamkeit des Hörers auf eine bestimmte Funktionseinheit gerichtet, die dadurch in den Blickpunkt gerückt - fokussiert - wird.

Wird ein Diktum negiert, wirkt sich eine gegebene Fokussierung dahin gehend aus, dass dem fokussierten Ausdruck eine besondere Bedeutung bei der Identifikation der Evidenz zukommt, auf die sich die Negation stützt.

Er macht ihn nicht verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.
(ohne Fokussierung)
Ihn macht er nicht verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.
(Fokussierung mittels Topikalisierung und Akzentuierung)
Für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen, macht er ihnnicht verantwortlich.
(Fokussierung mittels Akzentuierung)

Was immer sonst der Fall sein mag, an dem, was fokussiert wird, kann festgemacht werden, dass die Dinge sich so nicht verhalten können: Wenn er ihn nicht verantwortlich macht, mag ein anderer das tun oder auch nicht. Der Umstand, dass er es nicht war, genügt, um die Negation zu rechtfertigen.

Fokussiert werden können Argumente, Prädikate, Prädikatsspezifikationen, Propositionsspezifikationen sowie Geltungsspezifikationen und Geltungsrestriktionen, sofern sie sich im Skopus der Negation befinden. Fokussiert werden können auch Teile dieser Funktionseinheiten, etwa Attribute, Modifikationen von Attributen. Ausgenommen von einer Fokussierung sind alle Einheiten, die sich nicht im Skopus der Negation befinden können, Existenzquantifikationen, die mit dem indefiniten Artikel ausgedrückt werden, sowie das nicht-phorische es (Es geht ihr gut).

Kontrastierende Negation

Kontrastierende Negation identifiziert - wie fokusbezogene Negation - ein auslösendes Element der Negation in ihrem Basisdiktum. Sie reicht dabei jedoch in semantisch signifikanter Hinsicht über fokusbezogene Negation hinaus, denn sie erlaubt eine existentielle Generalisierung. Was dies heißt, können diese drei Beispielpaare zeigen, bei denen jeweils der Schluss vom ersten auf das zweite zulässig ist:

Er macht nichtihn verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.
Er macht jemand verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.
Nicht der alte G. macht ihn verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.
Jemand macht ihn verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.
Nicht der alte G. macht ihn verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.
Ein G. macht ihn verantwortlich für die Anfälle von Todesangst, die ihn drei- bis viermal im Monat packen.

Der Negationsausdruck steht bei kontrastierender Negation stets unmittelbar links von der Phrase oder dem Teilsatz, dem das kontrastierte Element angehört.

Da die Bezugsphrasen meist aus mehreren Wörtern gebildet sind, ist der Gegenstand der Kontrastierung durch die Stellung des Negationsausdrucks nicht immer eindeutig bestimmt.

Zwei Fälle sind zu unterscheiden:

  • Wird nichts oder der Phrasenexponent - etwa das letzte Nomen einer Nominalphrase - speziell betont, bezieht sich die Kontrastierung auf die ganze Phrase:
Nicht die Frauenhäuser in Hessen sind gerettet, nicht die Frauenprojekte, sondern allein das Ansehen der CDU.
  • Wird ein Element der Phrase akzentuiert, bezieht sich die Kontrastierung auf alles, was die Teilphrase zwischen Negationsausdruck und akzentuiertem Wort - dieses eingeschlossen - zum Ausdruck bringt:
Nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten, im einzelnen durchaus umstrittenen Grundsätzen über die Möglichkeit der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung kommen zwar an sich hier auch die einzelnen Bundeswehrsoldaten als in ihrer Ehre Verletzte in Betracht, doch müßten dann - so heißt es in dem für die Kammer maßgeblichen Revisionsurteil - "die Äußerungen des Angeklagten (...) so auszulegen sein, daß sie nicht allgemein auf Soldaten, sondern gerade auf die Soldaten der Bundeswehr bezogen waren und auch alle Mitglieder (dieser) Personengruppe betreffen sollten".
(die tageszeitung, 31.10.1989, S. 8)

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