Formen der Negation
Die Feststellung, nicht jede Negation müsse das gesamte Diktum im Skopus haben, ist nicht so zu verstehen, als würde damit die Existenz von Negationen mit grundsätzlich verschieden weitem Skopus angenommen. Negationen wirken stets als Zurückweisung eines Geltungsanspruchs bezüglich einer Proposition, und nichts, was dieser Proposition zuzurechnen ist, kann der Negation entzogen sein. Teil- oder Sondernegationen selbst nicht-propositionaler Komponenten von Propositionen sind deshalb nicht möglich.
Der Eindruck, es gebe Sondernegationen mit engerem Skopus, ist auf das Zusammenwirken der Negation mit Fokussierungs- und Kontrastierungseffekten zurückzuführen, die bei Negationen besonders ins Auge fallen. Stellt man diese Effekte in Rechnung, können drei Arten von Negation unterschieden werden:
Pauschale Negation kann dabei als die Basisoperation betrachtet werden. Sie leistet im Diktum dasselbe wie ein pauschales
als Reaktion auf eine Behauptung. Sie lässt offen, worauf sich zu Zurückweisung im Einzelnen stützen könnte. Fokusbezogene und kontrastierende Negationen leisten mehr als pauschale Negationen. Fokusbezogene Negationen identifizieren zusätzlich etwas, das als hinreichender Grund für die Negation gelten soll: Was auch immer, dies eine jedenfalls in diesem Zusammenhang nicht. Kontrastierende Negation geht noch weiter: Sie weist zwar einen gegebenen Geltungsanspruch in seiner Besonderheit zurück, erlaubt aber davon auszugehen, dass, wenn schon dieser nicht aufrechtzuerhalten ist, so doch eine existenzielle Verallgemeinerung dieses Anspruchs.
Pauschale Negation
Die semantische Beschreibung der pauschalen Negation ist mit der Klärung ihrer allgemeinen Funktion und der Bestimmung des Skopus abgeschlossen. Da jede fokusbezogene und kontrastierende Negation immer eine pauschale Negation einschließt, ist aus semantischer Sicht keine weitere Spezifikation der pauschalen Negation erforderlich. Die syntaktische Beschreibung muss jedoch auch die besondere Charakteristik dieser Form der Negation berücksichtigen.
Die Syntax pauschaler Negation unterscheidet sich von der Syntax fokusbezogener und kontrastierender Negation in mehreren Punkten. Die Unterschiede zeigen sich zum Teil allerdings nur bei mündlicher Rede:
- Pauschale Negation zeichnet sich aus durch das Fehlen markierter Wortstellung und Betonung.
- Der Negationsausdruck befindet sich im Verbzweitsatz stets im Mittelfeld.
- Argumentausdrücke, die als indefinite NP realisiert werden, stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck. Als Ausdruck der Negation dient ein k, das dem ersten indefiniten Aktikel vorangestellt wird:
(Tiroler Tageszeitung, 03.04.1997, Betrifft: Artikel "Lebensrettende Nachtflüge")
- Argumentausdrücke, die als definite Nominalphrase oder Pronominalphrase realisiert werden, stehen im Verbzweitsatz links vom Negationsausdruck.
(die tageszeitung, 31.10.1988, S. 12)
Doch Hertha habe ihm das Haus nicht verkauft.
(Berliner Zeitung, 08.07.1998, S. 20)
- Argumentausdrücke, die als definite Präpositionalphrasen realisiert werden, stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck:
(Mannheimer Morgen, 03.11.1994, Feier mit offenen Wünschen)
(die tageszeitung, 04.07.1987, S. 4)
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass ausdrucksgleiche Präpositionalphrasen, die nicht in Argumentfunktion, sondern in der Funktion einer Propositionsspezifikation gebraucht werden, bei pauschaler Negation links vom Negationsausdruck stehen müssen:
Steht die Präpositionalphrasen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck, wird die Negation als kontrastierend verstanden:
- Quantifikationsausdrücke, die Argumentausdrücke oder Ausdrücke von Propositionsspezifikationen einleiten, stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck, wenn - erstes Beispiel - die entsprechende Quantifikation sich im Skopus der Negation befindet, links davon mit ihrem Bezugsausdruck, wenn - zweites Beispiel - die Negation sich im Skopus der Quantifikation befindet:
(Berliner Morgenpost, 30.04.99, S. 4)
(Frankfurter Allgemeine, 1993)
- Quantifikativ-Pronomina als Quantifikationsausdrücke stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck und bilden zum Teil mit ihm zusammen einen speziellen Ausdruck, wenn - so bei den ersten vier Beispielen - die Quantifikation sich im Skopus der Negation befindet, links davon, wenn - so beim letzten Beispiel - die Negation sich im Skopus der Quantifikation befindet:
(vii)
(Thomas Mann, Erzählungen, Mario und der Zauberer, Ein tragisches Reiseerlebnis, 1930, S. 683)
(die tageszeitung, 08.10.1987, S. 7)
(die tageszeitung, 17.03.1987, S. 8)
(Mannheimer Morgen 03.01.87, S. 14)
(die tageszeitung, 03.08.1993, S. 12)
- Ausdrücke von Prädikatspezifikationen stehen im Verbzweitsatz rechts vom Negationsausdruck:
(St. Galler Tagblatt, 29.08.1998, Balsam)
- Ausdrücke von Propositionsspezifikationen stehen im Verbzweitsatz links vom Negationsausdruck:
(St. Galler Tagblatt, 06.11.1999)
- Ausdrücke von Geltungsspezifikationen können rechts oder links vom Negationsausdruck stehen, wenn sich die Negation in ihrem Skopus befindet:
(die tageszeitung, 04.07.1991, S. 1)
(die tageszeitung, 21.04.1987, S. 9)
Fälle, in denen sich eine Geltungsspezifikation im Skopus einer Negation befindet, sind stets kontrastierend:
- Ausdrücke von Geltungsrestriktionen verhalten sich wie Ausdrücke von Geltungsspezifikationen.
- Ausdrücke von Kommentierungen, Diktumsgraduierungen, Modalfunktionen, Diskursorganisatoren und Abtönungen stehen stets links vom Negationsausdruck, sofern sie nicht im Nachfeld stehen:
(Züricher Tagesanzeiger, 01.07.1998, S. 53)
(Frankfurter Rundschau, 029.04.1997, S. 21)
(Frankfurter Rundschau, 012.12.1998, S. 15)
(St. Galler Tagblatt, 07.02.1998, 5,6 Prozent weniger eingenommen)
Fokusbezogene Negation
Fokusbezogene Negation leistet alles, was auch pauschale Negation leistet, doch sie reicht in einer wesentlichen Hinsicht auch darüber hinaus. Sie setzt dazu auf die in einem Diktum realisierte Fokussierung auf. Diese kann auf zweierlei Weisen erreicht werden: durch Topikalisierung oder Akzentuierung des Exponenten einer Phrase. Auch Kombinationen beider Verfahren sind möglich. Durch die abweichende Stellung oder Akzentuierung wird die Aufmerksamkeit des Hörers auf eine bestimmte Funktionseinheit gerichtet, die dadurch in den Blickpunkt gerückt - fokussiert - wird.
Wird ein Diktum negiert, wirkt sich eine gegebene Fokussierung dahin gehend aus, dass dem fokussierten Ausdruck eine besondere Bedeutung bei der Identifikation der Evidenz zukommt, auf die sich die Negation stützt.
(ohne Fokussierung)
(Fokussierung mittels Topikalisierung und Akzentuierung)
(Fokussierung mittels Akzentuierung)
Was immer sonst der Fall sein mag, an dem, was fokussiert wird, kann festgemacht werden, dass die Dinge sich so nicht verhalten können: Wenn er ihn nicht verantwortlich macht, mag ein anderer das tun oder auch nicht. Der Umstand, dass er es nicht war, genügt, um die Negation zu rechtfertigen.
Fokussiert werden können Argumente, Prädikate, Prädikatsspezifikationen, Propositionsspezifikationen sowie Geltungsspezifikationen und Geltungsrestriktionen, sofern sie sich im Skopus der Negation befinden. Fokussiert werden können auch Teile dieser Funktionseinheiten, etwa Attribute, Modifikationen von Attributen. Ausgenommen von einer Fokussierung sind alle Einheiten, die sich nicht im Skopus der Negation befinden können, Existenzquantifikationen, die mit dem indefiniten Artikel ausgedrückt werden, sowie das nicht-phorische es (Es geht ihr gut).
Kontrastierende Negation
Kontrastierende Negation identifiziert - wie fokusbezogene Negation - ein auslösendes Element der Negation in ihrem Basisdiktum. Sie reicht dabei jedoch in semantisch signifikanter Hinsicht über fokusbezogene Negation hinaus, denn sie erlaubt eine existentielle Generalisierung. Was dies heißt, können diese drei Beispielpaare zeigen, bei denen jeweils der Schluss vom ersten auf das zweite zulässig ist:
Der Negationsausdruck steht bei kontrastierender Negation stets unmittelbar links von der Phrase oder dem Teilsatz, dem das kontrastierte Element angehört.
Da die Bezugsphrasen meist aus mehreren Wörtern gebildet sind, ist der Gegenstand der Kontrastierung durch die Stellung des Negationsausdrucks nicht immer eindeutig bestimmt.
Zwei Fälle sind zu unterscheiden:
- Wird nichts oder der Phrasenexponent - etwa das letzte Nomen einer Nominalphrase - speziell betont, bezieht sich die Kontrastierung auf die ganze Phrase:
- Wird ein Element der Phrase akzentuiert, bezieht sich die Kontrastierung auf alles, was die Teilphrase zwischen Negationsausdruck und akzentuiertem Wort - dieses eingeschlossen - zum Ausdruck bringt:
(die tageszeitung, 31.10.1989, S. 8)