Das generalisierende Personalpronomen man

Das unflektierbare Pronomen man dient der unspezifischen, generischen (geschlechtsneutralen) pronominalen Bezugnahme auf Personen. Es tritt nur in der Funktion des Subjekts auf, in den übrigen syntaktischen Funktionen wird auf das Ersatzlexem ein-, einen, einem zurückgegriffen.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen:

In vielen Grammatiken wird man den Indefinit-Pronomina zugeordnet. Dagegen spricht aber unter anderem, dass im Unterschied zu diesen Indefinit-Pronomina aufeinanderfolgende Vorkommen von man auf denselben Referenten bezogen sein können, d. h. kontextuell eingebundenes man kann wie Personalpronomina definit referieren.

Generalisierendes Personalpronomen:

Für ein Qualifizierungsprogramm braucht man eine Arbeitserlaubnis, die man nur bekommt, wenn man eine Arbeit vorweisen kann. [taz, 2.1.1991]

Wenn man das Leben auf das reduziert, was man braucht, ist es nicht mehr lebenswert. [taz, 14.1.1993]

Indefinit-Pronomen:

*Für ein Qualifizierungsprogramm braucht jemand eine Arbeitserlaubnis, die jemand nur bekommt, wenn jemand eine Arbeit vorweisen kann.

Die Möglichkeit der generischen Bezugnahme ist nicht nur bei man gegeben, sondern auch bei anderen Personalpronomina. Eine Zuordnung von man zu den Personalpronomina ist daher naheliegender als die Zuordnung zu den Indefinit-Pronomina.

morphologische Eigenschaften

Das Pronomen man (Nominativ) ist nicht flektierbar. Akkusativ und Dativ können durch die Ersatzformen einen/einem des Indefinit-Pronomens ein- ausgedrückt werden. Eine Genitivform ist nicht vorhanden. Sie kann durch eine von-Paraphrase mit dem Ersatzlexem (irgend)jemand- wiedergegeben werden.

Hier steht noch von irgendjemandem der Schirm.

syntaktische Eigenschaften

Die lexikalische Einheit man ist im Satz auf die Subjektfunktion beschränkt und regiert folglich beim finiten Verb die 3. Person Singular. Sie ist (wie die Form es) prinzipiell nicht betonbar.

Im Unterschied zu Indefinit-Pronomina, die anaphorisch fortgeführt werden können, siehe:

Hier hat jemand gepfuscht, weil er es eilig hatte.

ist man nicht durch andere Personalpronomina, sondern nur durch sich selbst anaphorisierbar. Es kann jedoch Bezugsausdruck für Possessiva und das Reflexiv-Pronomen sein und regiert dann das maskuline (Possessor-) Genus von Possessiv-Pronomen oder Possessiv-Artikel:

Man wartet, bis man (*er/sie) von einem würdigen Entdecker gefunden wird. [Berliner Zeitung, 18.01.2006]

Man hatte seinen (*ihren) Spaß.

Man hat sich jeweils seinen (*ihren, *unseren, etc.) Tanzpartner ausgesucht.

Außer in der Kombination man selbst ist man nicht zu einer erweiterten Pronominalphrase ausbaufähig.

semantische und funktionale Eigenschaften

Das Pronomen man dient der unspezifischen, generischen (geschlechtsneutralen) Bezugnahme auf Personen. Aussagen mit generischem man können je nach Kontext von unterschiedlichem Allgemeinheitsgrad sein:

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Bei der heutigen Generation verhält es sich mit der Kleidung ganz ähnlich: Es geht nicht unbedingt darum, was man trägt, sondern wie man es trägt! Stil und Mut zur Aussage würde der neutralen Generation nicht schaden. [die tageszeitung, 18.08.2007]

Sie wollte mit einer neuen Eroberung die erste Nacht verbringen. Eng umschlungen steuerte man aufs französische Bett zu. Doch da lag die Katze. [Welt online, 10.05.2009]

Von der generischen Verwendungsweise kann auch ein partikulärer Gebrauch unterschieden werden, bei dem man wie das Indefinit-Pronomen (irgend)jemand verwendet wird:

Man hat bei uns eingebrochen.

In den Kreisen der Frauenemanzipation hat sich als Gegenstück zum vermeintlich männlich geprägten man das kämpferische (klein geschriebene!) frau etabliert, das zwar nicht konsequent aber doch relativ häufig in Frauenzeitschriften wie Emma, in manchen Werbetexten, ironisch aber auch anderswo, gebraucht wird:

In dieser Firma hat frau das Gefühl, benachteiligt zu werden.
Mit unserem 24-Stunden-Deo kann frau sich in allen Situationen souverän bewegen.

Die verschiedenen für man beobachteten paradigmatischen Ersetzungsmechanismen sind bei frau nicht relevant, da es selbst eine an einen spezifischen Kontext gebundene Ersatzform ist.

Die Verwendungsmöglichkeiten des Indefinitpronomens man sind umgekehrt proportional zu seiner grammatischen Begrenztheit. Man geht auf Mann im Sinne von 'Mensch' zurück. Als "unbestimmtes" singularisches Subjekt mit dem Denotat "irgendein menschliches Wesen" oder mit pluralischer Bedeutung "irgendwelche menschlichen Wesen" kann es sich auf die verschiedensten Gruppierungen von menschlichen Lebewesen beziehen, Sprecher inbegriffen (1) oder nicht (2):

(1) Den Namen dieser Nachwuchspianistin wird man sich merken müssen.
(2) Damals hatte man noch keine Erfahrung mit Reisen zum Mond.

Es kann über Rückschluss auch anaphorisch auf vorerwähnte Personengruppen verweisen, sie wiederaufnehmen und anaphorische Ketten bilden:

(3) Die Gäste strömten in den Saal, man versuchte, einen guten Tisch zu ergattern.
(4) Es wurde gefeiert und getanzt, man hatte offensichtlich gute Laune mitgebracht.

Man ist für alle möglichen theatralischen Gesten und Maskeraden gut, von der schmunzelnden Entschärfung eines Tadels (man statt du oder ihr):

(5) Na, hat man wieder sein Zimmer nicht aufgeräumt?

über saloppe Begrüßungsformeln (man statt wir):

(6) OK, man sieht sich!

das Verbergen der eigenen Person hinter der Anonymität (man statt ich):

(7) Ja ja, wenn man nicht alles selber macht!

bis hin zur affektiven Personifizierung eines Haustiers (man statt du):

(8) Aha, und jetzt möchte man gestreichelt werden?

Immer kann man aber nur Subjekt sein. In allen anderen Fällen wird das Substitut einen/einem bemüht, eventuell auch jemanden/jemandem, im (seltenen) Genitiv die Ersatzform (irgend)jemandes:

(9) Das kann einen schon zur Verzweiflung bringen.
(10) Da stehen einem die Haare zu Berge.

Die Ersatzformen sind hier allerdings von eigenständigen lexikalischen Einheiten "entliehen" (einer, jemand):

(11) Da brat' mir aber einer 'nen Storch!

Sie müssten daher innerhalb der Suppletivformen von denjenigen Einheiten terminologisch unterschieden werden, die wie bei sein nur Varianten eines Stammes sind, ohne dass ihre lexikalische Herkunft noch nachvollziehbar wäre (bin, ist, sind, war). Es bietet sich z.B.der Terminus Substitute an.

Das französische Gegenstück on weist ähnliche Züge auf und weicht dennoch im Detail vom deutschen man ab. Auch on geht auf den Menschen, nämlich homme, zurück. Auch on hat eine indefinite Grundbedeutung:

(12) On ne peut pas se garer ici.
(13) A l'époque, on n'avait pas encore exploré la lune.

On kann, wie man, prinzipiell, und vorzugsweise in markiertem Redestil (Ironie, Distanz), jedes Pronomen ersetzen und damit auf die dahinter stehenden Personen verweisen:

(14) Alors, on ne dit pas merci ? (on statt tu oder vous)
(15) Dans ce travail, on abordera la question de… (on statt je).

Es kann ähnlich wie man anaphorische Ketten bilden :

(16) On riait, on dansait, visiblement on s'amusait bien.

Bei der Übersetzung fällt auf, dass zwischen passivischen Konstruktionen, solchen mit on und anderen unpersönlichen Wendungen jongliert werden muss:

(17) On riait, on dansait,… (-> Es wurde gelacht und getanzt,…)
(18) Il va falloir retenir le nom de cette jeune pianiste. (-> wird man sich merken müssen)

Auch besteht Asymmetrie zwischen man selbst und dem Gegenstück soi-même:

(19) On n'est jamais si bien servi que par soi-même.
(19') Niemand bedient einen so gut wie man selbst.

Der wesentliche Gegensatz ist aber, dass in den meisten Fällen das französische on ein spezielles Verhalten zeigt, das geradezu ein Markenzeichen geworden ist: Es ersetzt oder begleitet das Pronomen nous in allen möglichen Situationen, als Akt der Diskretion, als Zeichen solidarischen Wir-Gefühls, als umgangssprachliches Klischee oder oft nur, um die steife Wiederholung nous, nous zu vermeiden

(20) Excusez-nous, on n'avait pas pensé à cela.
(21) Viens, on s'en va.
(22) Nous, on a l'habitude du froid.

Und sogar in steigender Tendenz mit Anpassung des Adjektivs an Genus und Numerus des Referenten:

(23) On est courageuse, n'est-ce pas ? (Wendung an ein Mädchen)
(24)(Nous,) on est toujours servis les derniers.

Sozusagen als Pendant dieser wir-Verbundenheit wird als Substitut bei nicht-nominativischem Gebrauch vorzugsweise vous, seltener te oder nous verwendet, die sowohl Dativ als auch Akkusativ entsprechen können:

(25) Ces contradictions et mensonges, ça vous perturbe.
(26) On est content quand les gens vous remercient.
(27) Au service militaire, ils ne te font pas de cadeau.
(28) La misère de ces gens ne nous / vous laisse pas indifférents.

Auch hier ist es aus denselben Gründen wie bei man empfehlenswert, die lexematisch eigenständigen Ersatzformen innerhalb der Suppletivformen terminologisch abzusetzen.

Weiterführende Literatur: Dimova 1981, Zifonun 2000, Marschall 1996 (Eurogermanistik 10), Bertrand 2002 (NCA).

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