Kommunikanten-Pronomen: Sprecher-Pronomen und Hörer-Pronomen
frz. pronom personnel, embrayeur
Sprecher-Pronomen und Hörer-Pronomen im Überblick
andere Bezeichnungen und Zuordnungen
Traditionell werden unter den Termini "Pronomina" oder "persönliche Fürwörter" die Sprecher-Hörer-bezogenen Kommunikanten-Pronomina als Pronomina "der 1. und 2. Person" mit den anaphorischen Pronomina "der 3. Person" er, sie, es zusammengefasst.
morphologische Eigenschaften
Das Formenparadigma von Sprecher- und Hörer-Pronomen ist nach Kasus und Numerus differenziert, beim Hörer-Pronomen gibt es zusätzlich eine Differenzierung nach dem Merkmal vertraut vs. distanziert. Das Paradigma enthält diachron/sprachgeschichtlich erklärbare Wortformen (Suppletivformen) des Lexems.
SPRECHER- | PRONOMEN | HÖRER-PRONOMEN | ||||
SINGULAR | PLURAL | SINGULAR | PLURAL | DISTANZFORM | ||
NOMINATIV | ich | wir | du | ihr | Sie | |
AKKUSATIV | mich | uns | dich | euch | Sie | |
DATIV | mir | uns | dir | euch | Ihnen | |
GENITIV | meiner | unser | deiner | euer | Ihrer |
Im Französischen wird zwischen zwei Flexionsparadigmen von Kommunikanten-Pronomina unterschieden, zwischen den unbetonten Formen einerseits und den betonten (auch 'disjunktive', 'auffällige' oder 'unverbundene' genannten) Formen andererseits, deren Gebrauch allerdings gewissen Bedingungen unterliegt. Die betonten Pronomina sind nicht kasusspezifiziert, sie weisen keine Kasusmarker auf.
Im Deutschen wird der Unterschied neutralisiert (die Gleichsetzung von moi und mir/mich ist ein typischer Fehler französischer Lerner), oder durch einen Betonungsunterschied wiedergegeben:
Il est plus grand que moi. (Er ist größer als
ich.)
Toi, tu n'as pas ces problèmes. (Duhast diese Probleme nicht.)
Ausführlichere Informationen über die betonten / unbetonten frz. Kommunikanten-Pronomina in der Einheit "Flexion der Pronomina" (vgl. den entsprechen konstrastiven Verstecktabsatz)
Die Bezeichnung 'indirektes Objekt'
syntaktische Eigenschaften
Ein Sprecher-Pronomen regiert in der Subjektfunktion die 1. Person beim finiten Verb, ein Hörer-Pronomen regiert die 2. Person. Im Numerus besteht Kongruenz zwischen Subjektspronomen und finitem Verb. Die Distanzform regiert, unabhängig von singularischem oder pluralischem Bezug, immer die 3. Person Plural.
PRONOMEN | VERBSTAMM | FLEXIONSAFFIX | |
Ich | -e | das nicht. | |
Du | -st | das nicht. | |
Wir | versteh | -en | das nicht. |
Ihr | -t | das nicht. | |
Sie | -en | das nicht, liebe Leserin? | |
Sie | -en | das nicht, liebe Leserinnen? |
In den deutschsprachigen Gebieten hat sich die Distanzform im Laufe der Geschichte mehrmals geändert, oder sie war regional verschieden. Zwei ältere Formen sind aus der Literatur bekannt: das "Ihrzen" und das "Erzen" (Analogbildungen zu "Duzen" und "Siezen"); eine dritte, der Pluralis majestatis, ist noch heute bei Würdenträgern üblich. Es ist diachron eine Verschiebung von der 2. zur 3. Person zu beobachten:
1. Ihr (als Plural des allgemeinen
du, ohne Genus- und Numerusdifferenzierung; seit dem Mittelalter ursprünglich an
Höhergestellte gerichtet, dann von gleich zu gleich):
Allein der Richter sagte:
"Wißt Ihr, wo Ihr steht, und wer über Euer Leben zu sprechen hat?" [Johann Peter Hebel,
Das heimliche Gericht]
2. er/sie (Singular; groß oder klein
geschrieben; eher an Untergeordnete oder Dienstboten gerichtet) war bis zu seinem Niedergang Ende
de 17. Jh. Vorläufer des heutigen, das Ihr ersetzenden pluralischen
Sie:
HAUPTMANN: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein
tugendhafter Mensch! [Georg Büchner, Woyzeck]
Hat sie den Fischen schon
frisches Wasser gegeben, Minna?
3. Pluralis majestatis (an eine
hochgestellte Einzelperson gerichtet, Pronomina und Verb im Plural):
Haben Eure
Majestät / Exzellenz / Durchlaucht schon gefrühstückt?
Im Französischen gibt es seit Jahrhunderten als Distanzform das pluralische Hörerpronomen vous, Gegenstück des deutschen Ihr. Vous hat wie Ihr keine Genus- und Numerusdifferenzierung, ist also unabhängig von maskulinem, femininem oder pluralischem Bezug:
Vous n'êtes pas très heureux / heureuse // heureux / heureuses.
In manchen vornehmen französischen Familien reden noch heute die Ehegatten einander und/oder die Kinder die Eltern mit vous an (vouvoyer), was bei gleichzeitigem Gebrauch des Nachnamens auch zu Ironiezwecken genutzt werden kann:
Edouard, avez-vous préparé le champagne? (Eduard, haben Sie den
Champagner bereit gestellt ?
De la Fourche, vous êtes même incapable de faire la vaisselle
! (De la Fourche, Sie können noch nicht mal Geschirr spülen!)
Sprecher- und Hörer-Pronomina sind nur eingeschränkt, durch nachgestellte Ergänzungen, zu Pronominalphrasen ausbaubar:
wir alle, Sie beide, du, der du alles besser weißt, du mit deinem blöden Beispiel, du Esel, ich armes Würstchen
Vorangestellte Attribute oder Artikel sind ausgeschlossen.
Zur Verwendung der Kommunikanten-Pronomina in Relativsätzen siehe auch Pronominalphrase.
Für das Deutsche gilt: Wenn das Relativpronomen Subjekt ist, kann das Kommunikanten-Pronomen im Relativsatz wiederholt werden, und das Verb kongruiert dann mit dem jeweiligen Pronomen:
Ich, der ich auf dem Land aufgewachsen
bin, ...
Ich sage es dir, die du schon immer meine beste
Freundin gewesen bist.
Wird das Kommunikanten-Pronomen nicht wiederholt, kongruiert das Verb mit dem Relativ-Pronomen und steht in der 3. Person:
Ich, der auf dem Land aufgewachsen ist,
...
Ich sage es dir, die schon immer meine beste Freundin gewesen
ist.
Im Französischen kongruiert das Verb des Relativsatzes immer mit dem Bezugspronomen der 1. oder 2. Person:
Moi qui ai grandi à la campagne ...
Je le dis à toi qui as toujours été ma meilleure amie.
Nous qui sommes nés ici ...
semantische und funktionale Eigenschaften
Sprecher-Pronomen und Hörer-Pronomen verweisen in einer Äußerung auf den aktuellen Sprecher bzw. die Sprechergruppe und den aktuellen Hörer bzw. die Hörergruppe. Sie haben also deiktische und keine anaphorische Funktion. Dennoch substituieren sie sich im Textverlauf anaphorisch selbst, solange derselbe Referent gültig bleibt. Die Formen im Akkusativ und Dativ haben aber zusätzlich noch eine anaphorische Lesart: In der Verwendung als Reflexiva (ich verrate mich, wir genehmigen uns noch einen) sind sie gebundene Anaphern, da sie immer syntaktisch innerhalb eines Satzes zurückweisen
auf das Nominativkomplement (Knom):
Ich habe dich vor mir gewarnt.
auf das Akkusativkomplement (Kakk):
Du hast mich vor mir gewarnt.
selten auf das Dativkomplement (Kdat):
Ich empfehle dir am besten
dich selbst.
Du empfiehlst ihm am besten
sich/ihn selbst.
Zum Bezug des Reflexivpronomens siehe auch Flexion der Pronomina.