Nominalisierungsverb und Funktionsverb

Nominalisierungsverben bilden den Prädikatsausdruck nur in Verbindung mit einem Nomen, das von einem Adjektiv oder Verb abgeleitet ist:

eine Frage stellen, eine Vereinbarung treffen, zur Kenntnis nehmen, in Verlegenheit geraten, Abbitte leisten, einen Besuch abstatten.

Diachron betrachtet verfestigen sich die Verbindungen und am Endpunkt einer solchen Entwicklung ist die Verbbedeutung "verblasst". Treffen in eine Vereinbarung treffen hat semantisch mit dem lexikalisierten treffen nichts mehr gemein.

Funktionsverben sind eine Teilklasse der Nominalisierungsverben. Meist handelt es sich um Zustands- oder Bewegungsverben (stehen, liegen, setzen, stellen, legen). Sie gehen Kombinationen mit inhaltsstärkeren abstrakten, oft deverbalen Nomina ein. Dieses Nomen wird als Akkusativkomplement oder in einer Präpositionalphrase angeschlossen, sodass ein sogenanntes 'Funktionsverbgefüge' entsteht.

Zustimmung erteilen/finden, in Verlegenheit sein/kommen/geraten, zur Kenntnis nehmen/geben, zum Vortrag bringen etc.

Dabei ist die Verbindung soweit verfestigt, dass die Nominalphrase bzw. die Präpositionalphrase nicht verändert werden kann. Sie kann im Numerus nicht verändert (1), nicht erfragt (2), nicht mit kein- negiert (3) und nicht koordiniert (4) werden. Einige Nomina können auch nicht attribuiert (5) werden:

(1) *Sie wollten die Gesetzesvorlagen zu den Abstimmungen bringen.
(2) Wohin wollten sie die Gesetztesvorlagen bringen? *Zur Abstimmung.
(3) *Wir nehmen das Projekt in keinen Angriff.
(4) *Er brachte das Stück zur Aufführung und zum Produzenten.
(5) *Die Behörde stellte den Vorfall in vollkommene Abrede.

Funktionsverben thematisieren die Art und Weise eines Vorgangs (z. B. Übergang, Dauer, aktivische und passivische Perspektive). Ein Funktionsverbgefüge wie zum Vortrag bringen ist somit spezifischer als das einfache Verb vortragen.

ÜBERGANGDAUERAKTIVISCHE PERSPEKTIVEPASSIVISCHE PERSPEKTIVE
in Angst geratenin Angst seinin Verlegenheit bringenin Verlegenheit geraten
sich in Verbindung setzenin Verbindung stehen / bleibenzum Ausdruck bringenzum Ausdruck kommen
in Gang bringenin Gang haltenzur Vernunft bringenzur Vernunft kommen

Funktionsverbgefüge werden vor allem schriftsprachlich und vorzugsweise in behördensprachlichen Kontexten verwendet. Sie bilden sowohl mit ihrem nominalen als auch mit ihrem verbalen Bestandteil Reihen aus, die das System des verbalen Wortschatzes ausbauen:

in Verbindung setzen (stehen, sein)
in Betrieb nehmen (sein)
in Angst geraten (versetzen)
Zustimmung erteilen (finden)

in Angriff (in Anspruch, in Betrieb, in Empfang, Kenntnis, Einblick, Einfluss) nehmen
in Arbeit (in Auftrag, zu Ende, in Erfüllung, in Druck) gehen
Anwendung (Anerkennung, Gehör, Aufnahme, Berücksichtigung, Unterstützung, Beachtung) finden

Abzugrenzen sind Funktionsverbgefüge von Phraseolexemen (Typ: das Bett hüten, sich ins Fäustchen lachen).


(1) Il pugile umbro non abbandona la speranza di riuscire a dimostrare che quel farmaco non ha alterato le sue capacità […]. [CdS, 04-07-95]

(2) Un giorno maestro Domenico, durante una vacanza sui monti pisani, si addormenta e cade in un sonno profondo. [CdS, 29-08-95]

Auf den ersten Blick unterscheiden sich diese beiden Sätze überhaupt nicht von ähnlich strukturierten Sätzen. In (1) sieht la speranza aus wie ein Akkusativkomplement (it. complemento diretto) zum Verb abbandonare und die Präpositionalphrase in un sonno profondo im zweiten Beispielsatz könnte man für ein Adverbialkomplement (genauer: it. complemento locativo dinamico) zu cadere halten. Die Verben in diesen Sätzen haben aber eine Besonderheit: sie tragen nicht die räumlich-konkrete Grundbedeutung wie sie in den Beispielen (18) und (19) vorkommt. In (1) verlässt niemand einen Ort /eine Person und in (2) bezeichnet cadere keine durch die Gravitation bedingte Bewegung nach unten. Eigentlich haben beide Verben in diesen Sätzen hauptsächlich nur eine grammatische Funktion: Sie tragen die Modus-, Tempus-, Person- und Numerusendungen. Die eigentlichen Bedeutungsträger sind die Substantive speranza und sonno. Trotzdem ist in den obigen Beispielen das Verb nicht völlig ohne Bedeutung: Zusammen mit abbandonare drückt speranza eine punktuelle - terminative Aktionsart aus, und cadere zeigt an, dass es sich bei cadere in un sonno profondo um eine inchoative Aktionsart handelt.

Im Italienischen werden all die Verben, die nur eine grammatische Funktion haben, verbi supporto genannt (dt. Funktions- oder Stützverben), und die Verbindung eines Verbs mit einem Substantiv so wie in den Beispielen (1) und (2) nennt man (it.) costrutto a verbo supporto (dt. Funktionsverbgefüge). Oft aber nicht immer steht dem Konstrukt mit einem Funktionsverb ein einfaches Vollverb gegenüber:

fare una chiacchierata > chiacchierare;
fare un controllo > controllare;
fare una passeggiata > passeggiare;
dare una risposta > rispondere
.

Funktionsverbgefüge wie dare un’occhiata oder mettere qcn. in difficoltà / in pericolo, mettersi al coperto, prendere atto, essere in discussione stehen hingegen in keiner Korrelation zu einem einfachen Vollverb. Allerdings besteht zwischen den beiden Varianten ein wichtiger Bedeutungsunterschied: Das Funktionsverbgefüge ist präziser, da es sich auf verschiedene Phasen des Geschehens (Anfang, Dauer, Vollzug, Ergebnis, Iteration u. a.) beziehen kann.

Die verbi supporto bilden im Italienischen eine sehr große Klasse, die nicht leicht „isolierbar“ ist (Elia/Martinelli/D’Agostino, 1981: 40). An dieser Stelle kann man nicht auf Einzelheiten eingehen, da die Beschreibung der zahlreichen Subklassen von Funktionsverben und der syntaktischen Eigenschaften der Substantive oder Adjektive, die sich mit ihnen verbinden können, den Rahmen dieses kontrastiven Kommentars erheblich sprengen würde. Die zahlreichen Untersuchungen auf diesem Gebiet gehen auf verschiedenartige Ausführungen ein, insbesondere auf syntaktische und semantische Charakterisierungen, wie z. B. die Restriktionen im Artikelgebrauch, den Grad der Kombinatorik der verbi supporto und die Verwendung eines Attributs bei Substantiven. Ein brauchbarer Ansatzpunkt für die Ermittlung der Funktionsverben ist aber gewiss folgender: Die wichtigsten Eigenschaften dieser Verben sind ihre semantische Leere und ihr Vorkommen in nominalen oder adjektivischen Gefügen.

Auch im Italienischen gibt es viele Funktionsverben mit Nominal- und Präpositionalphrasen, und diese Verbindungen sind ziemlich verfestigt, aber anders als im Deutschen können einige Phrasen erfragt und pronominalisiert werden, andere dagegen nicht:

(3) Maria prova amarezza (soltanto quando è stanca).
(3a) Cosa prova Maria (soltanto quando è stanca)? − Amarezza.
(3b) Maria la prova (soltanto quando è stanca).

(4) I poliziotti dettero un’occhiata svogliata al suo passaporto.
(4a) ? Cosa dettero i poliziotti? − Un’occhiata svogliata.
(4b) ? I poliziotti la dettero.

(5) Lui non mise in discussione il peso della fratellanza.
(5a) *In cosa /*dove lui mise il peso della fratellanza?
(5b) *Lui mise il peso della fratellanza in ciò/.

(6) Questo politico è ormai caduto in disgrazia.
(6a) *In cosa/*dov’è caduto ormai questo politico?
(6b) *Il politico ormai ci è caduto.

(7) Maria è in ansia.
(7a) *In cosa/*dov’è Maria?
(7b) *Maria è in ciò/.

Viele Gefüge mit Funktionsverben wie avere nostalgia / potere oder provare compassione / pietà / pena kommen nur artikellos (Nullartikel) vor, und ohne Variation der ursprünglichen Bedeutung wären die Varianten mit einem Determinativ unkorrekt: avere *la, *una nostalgia; provare *la, *una compassione (man siehe dazu: Cantarini, 2004: 94).

Auch die it. costrutti a verbo supporto können im Numerus nicht verändert (8 und 9) und auch nicht koordiniert werden (10, 11 und 12):

(8) *Maria prova nostalgie.

(9) *Max è in ammirazioni davanti a Maria.

(10) *La macchina è in riparazione e in officina.

(11) *Max fa una passeggiata e cestini di paglia.

(12) *Max accarezza una speranza e il volto di Ada.

Es sei kurz darauf hingewiesen, dass es zu diesen it. Funktionsverben − wie im Deutschen − gleichlautende Hilfsverben (essere und avere), Kopulaverben (essere) oder Vollverben (it. verbi predicativi) gibt. Dazu nur einige Beispiele:

(13) Sono andato alla Grotta e ho vissuto grandi emozioni. [CdS, 29-09-95] (Hilfsverb)

(14) Era una donna difficile ma affascinante. [CdS, 30-09-95] (Kopulaverb)

(15) Eravamo alla Fiera del Libro di Francoforte. [CdS, 22-06-95] (Vollverb)

(16) Le zucchine all’origano che ho mangiato erano proprio pessime. [CdS, 01-09-95] (Hilfsverb)

(17) […] Anche la “Michigan Militia” ha una sua banca dati accessibile con modem. [CdS, 23-04-95] (Vollverb)

(18) Poi Constant aveva incontrato Madame de Stael e abbandonò Isabelle. [CdS, 02-03-95] (Vollverb)

(19) Un incidente sul lavoro: l’uomo cadde da un palo della luce. [CdS, 02-07-95] (Vollverb)

Nominalisierungen und Adjektivisierungen im Italienischen.

Prädikatsausdrücke bildet man nicht nur mit Verben und ihren Komplementen: Es gibt viele Fälle, in denen der zentrale Knoten des Satzes aus einer lexikalischen und syntaktischen Einheit besteht, der Verbindung eines verbo supporto mit einer Nominal- oder Adjektivphrase. Demzufolge fungiert das Funktionsverb als Stütze, „als Hilfsverb von Substantiven, aber auch als Hilfsverb von Adjektiven“. (Vietri, 2004: 45)

Sätze wie:

(20) Il pubblico desidera informazioni concrete.

(21) Il pubblico è desideroso di informazioni concrete.

(22) Il pubblico ha desiderio di informazioni concrete.

haben dieselbe Bedeutung, d. h. jede hier markierte Wortkette ist Paraphrase der anderen zwei Sequenzen und weist eine Äquivalenz-Beziehung zu den anderen Wortgruppen auf. Operatoren sind in (20) das Verb desiderare, in (21) die Wortgruppe essere desideroso di und in (22) avere desiderio di. Morphophonologisch betrachtet korreliert das Verb desiderare mit dem Substantiv desiderio und dem Adjektiv desideroso, mit denen es dasselbe lexikalische Morphem, die Wurzel desider-, gemeinsam hat. Wenn man an dieses lexikalische Morphem das Verbalsuffix –are anhängt, bildet man das Verb desiderare. Durch Anhängen vom Suffix -io bzw. -oso bildet man das Substantiv desiderio und das Adjektiv desideroso.

Unter nominalizzazioni (dt. Nominalisierungen) und aggettivalizzazioni (dt. Adjektivisierungen) versteht man im Italienischen alle Wortverbindungen, in denen der Prädikatsausdruck nur aus einem Nomen oder einem Adjektiv zusammen mit einem Funktionsverb besteht. Träger der Bedeutung sind in diesen Gefügen nur die Substantive oder die Adjektive, die zusammen mit den Funktionsverben essere, avere und fare vorkommen. Diese verbi supporto fungieren als Stütze für all die Nomina oder Adjektive, mit denen sie sich verbinden und geben dabei nur Informationen über Modus, Tempus, Person, Numerus und Aspekt. Es ist kein Zufall, dass im Italienischen solche nominale oder adjektivische Operatoren auch nomi predicativi und aggettivi predicativi genannt werden, gleich wie die verbi predicativi (dt. Vollverben), die eine eigene Bedeutung haben und in der Lage sind, ohne weitere Verben oder stützende Nominal- und Präpositionalphrasen einen Satz zu konstituieren.

Abzugrenzen sind die it. costrutti a verbo supporto von Phraseolexemen wie cercare il pelo nell’uovo oder chi sbaglia paga, acqua passata non macina più.

Literatur: Cantarini, 2004; Elia/Martinelli/D’Agostino,1981; D’Agostino E./ Elia A., 1998; Vietri, 2004.


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