Adjektiv-Nomen-Komposita
Im Vergleich zur Nomen-Nomen- und Verb-Nomen-Komposition ist die Adjektiv-Nomen-Komposition (z.B. Buntpapier, Suggestivfrage) morphologisch und semantisch deutlich stärker beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch meist weniger eine Frage des Wortbildungssystems als der Norm: Bildungen, die vom System her möglich wären, werden aus bislang ungeklärten Gründen nicht genutzt; die Wortbildungsprodukte sind systematisch durchaus richtig, aber unüblich. Vgl. System und Norm in der Wortbildung.
Morphologische Eigenschaften
Welche Adjektive gebräuchlicher sind als andere, ist nicht erkennbar: Gleichermaßen genutzt werden einsilbige und mehrsilbige, simplizische und komplexe, derivierte und zusammengesetzte, einheimische und entlehnte Adjektive.
Adjektiv | Beispiel |
einsilbig mehrsilbig | Buntpapier Bitterstoffe |
Adjektiv | Beispiel |
simplizisch komplex | Kleingarten Endlosmonolog |
Adjektiv | Beispiel |
deriviert zusammengesetzt | Mehrfachstecker Schwarzweißfernseher |
Adjektiv | Beispiel |
einheimisch entlehnt | Magermilch Lightprodukt |
Typische Beispiele
Alternativmedizin
Bestnote
Blindflug
Brachialgewalt
Dunkelmänner
Exklusivinterview
Falschgeld
Gebrauchtwagen
Gemischtwaren
Lebendgruppe
Magersucht
Mürbeteig
Softeis
Süßkartoffel
Universalgelehrter
Nicht etablierte Adjektiv-Nomen-Komposita
Nicht etabliert und insofern auffällig sind etwa Bestschüler, Buntkleid, Magerwurst, Schwarzweißschlips, Süßcreme. Auch andere Bildungen sind auffällig. Wie die Belege zeigen, sind Sprecherschreiber solchen Bildungen gegenüber aber durchaus offen. Selbst derivierte Adjektive auf -lich werden durchaus als Ersteinheiten verwendet.
(Mannheimer Morgen 24.4.1986, 3)
Dringlichschalter
(nach Ortner et al. 1991, 802)
Gutbürgerlichküche
(die tageszeitung 11.2.1991, 28)
gemeinsam beim Teueritaliener
(Rühmkorf 1995, 35)
der ürrsünnig berlinernden und Falschdeutsch sprechenden Oma
(ebd., 125)
ein Bewohner des Offenlandes
(Reichholff 1997, 43)
Grünkohl - neben dem Brokkoli der Gesundkohl
(elle bistro 2/1997: 48)
Topaktuelle Bewegtbild-Information
(Beilage zur Telefonrechnung November 1997)
im hochgeschlossenen Bunt-Dress mit knallroten Haaren
(Rhein-Zeitung 27.2.2001, o. S.)
Perfide allerdings auch die Getränkehersteller: Sie suchen jedes Schlupfloch, um ihren Süß-Fusel unter immer jüngere Jugendliche zu bringen.
(Hamburger Morgenpost 26.6.2006, 2)
Die adjektivischen Ersteinheiten treten mitunter als wortbildungsspezifische Varianten zu den frei vorkommenden Formen auf, z.B. Spezialverfahren gegenüber spezielles Verfahren, so auch Eventualfall, Individualverkehr, Sexualverhalten.
Konkurrierende Nomen-Nomen-Komposita
Alternativ zu suffigierten Adjektiven werden der Einfachheit halber meist die weniger komplexen Basen verwendet. So steht Demutsgeste statt Demütiggeste, Klapptisch statt Klappbartisch, Pflanzenkost statt Pflanzlichkost, Sonnenwetter statt Sonnigwetter, Steinskulptur statt Steinernskupltur. Vgl. Das Nomen-Nomen-Kompositum.
Semantische Eigenschaften
Semantisch gesehen sind alle Adjektiv-Nomen-Komposita nach dem gleichen vagen Muster gebildet: Das Adjektiv attribuiert das Nomen in gleicher Weise wie in Nominalphrasen. Auch wenn durch die Komposition immer ein spezieller Effekt erreicht wird, entsprechen Phrasen und Komposita grundsätzlich einander; das Determinans bestimmt das Determinatum hinsichtlich seiner charakteristischen Eigenschaft.
Buntpapier = buntes Papier
Blaukraut = blaues Kraut
Billigmedikament =
billiges Medikament
Endlosmonolog = endloser Monolog
Sonderfall: Klammerform
Nur einige wenige Adjektiv-Nomen-Komposita gehören vermeintlich nicht diesem Attributmuster an. So bedeutet Akutbett nicht unmittelbar 'akutes Bett'. Vgl. auch Immunbiologe, Schnellstraße, Schwarzweißfernseher. In der Forschungsliteratur werden solche Komposita daher mitunter als Klammerformen interpretiert: Akut(fall)bett. Die erste Einheit soll dieser Ansicht zufolge kein Adjektiv, sondern ein gekürztes Nomen sein: akut soll hier für Akutfall stehen. Terminus und Begriff Klammerform sind jedoch fragwürdig. Vgl. Die Klammerform.