Redundante Negation

Besonders in der gesprochenen Sprache ist ein Phänomen zu beobachten, das eigentlich eine sprachliche Inkorrektheit darstellt. Es handelt sich um das Auftreten des Negationsausdrucks nicht in Subjunktorphrasen, in denen er eigentlich nicht als semantische Komponente des subordinierten Satzes interpretiert werden darf. Solche semantisch leeren nicht-Verwendungen finden sich in Subjunktorphrasen mit temporalen Subjunktoren, die eine Vorzeitigkeit des vom externen Konnekt bezeichneten Sachverhalts gegenüber dem vom internen Konnekt bezeichneten Sachverhalt ausdrücken, nämlich bevor, bis und ehe. Sie finden sich jedoch auch bei ohne dass.

Brunetti war sich nicht ganz sicher, was er meinte, und er merkte, daß er keine klaren Fragen stellen konnte, bevor er nicht die Unterlagen in dem blauen Ordner gelesen oder jemand den Toten identifiziert hatte. (Leon 1997, 46)

Aber ich kann da noch nichts Endgültiges sagen, ehe ich ihn nicht noch mal vernommen habe. (Kürschner 1983, 182)

Infolgedessen vergeht keine Vorstellung mehr, ohne daß nicht ein ausverkauftes Haus diese Meisterleistung der Regie bewundernd anerkennt. (Die Welt 17.11.1949, 4)

Mitgliedsstaaten spielen bis zum letzten Schluss mit verdeckten Karten und nichts ist entschieden, bis nicht alles entschieden ist. (Die Zeit 4.1.2007, o. S.)

Dass es sich bei nicht um keinen echten Negationsausdruck handelt, sieht man daran, dass es nicht durch einen anderen Negationsausdruck wie keineswegs ersetzt werden kann. Auch kann nicht in den meisten Fällen weggelassen werden. Bei den temporalen Subjunktoren bevor, bis und ehe gibt es eine weitere Alternative mit derselben Äußerungsbedeutung, nämlich die Ersetzung der Subjunktoren durch solange unter Beibehaltung von nicht in der Subjunktorphrase.

Aber ich kann da noch nichts Endgültiges sagen, solange ich ihn nicht noch mal vernommen habe.

In einigen Fällen ist allerdings die Verwendung von nicht bei den genannten Subjunktoren nahezu obligatorisch. Dies ist gegeben, wenn das interne Konnekt aufgrund von Weltwissen als Bedingung für einen negierten, d. h. nicht faktischen Sachverhalt zu interpretieren ist und ausgeschlossen sein soll, dass das interne Konnekt eine Tatsache ist.

Das kriegst du nicht, bevor du ?(nicht) sagst, was du damit machen willst.
Das kriegst du nicht, ehe du ?(nicht) sagst, was du damit machen willst.

Da bevor und ehe nur ausdrücken, dass die mögliche Faktizität des externen Konnekts vor der möglichen Faktizität des internen Konnekts beziehungsweise umgekehrt die mögliche Faktizität des internen nach der möglichen Faktizität des externen Konnekts liegen muss, könnte hier bei einem Wegfall von nicht die Präsupposition abgeleitet werden, dass das interne Konnekt eine Tatsache sein wird. Eine solche Präsupposition soll jedoch bei den betreffenden Subjunktorverwendungen ausgeschaltet werden. Dies geschieht durch die Verwendung von nicht.

Etwas anders ist es in Konstruktionen, in denen ein bedeutungsleeres nicht in Subjunktorphrasen auftritt, die mit ohne dass gebildet werden. Hier ist nicht mit eigenständigem Negationsbeitrag in der Subjunktorphrase durchaus möglich.

Es vergeht kein Tag, ohne dass es nicht regnet.
a. 'Es vergeht kein Tag, ohne dass es regnet.'
b. 'Es vergeht kein Tag, ohne dass Regen ausbleibt.'

Die Verwendungen von ohne dass mit semantisch leerem nicht reihen sich ein in überaus häufig zu hörende und zu lesende Fälle pleonastischer Verwendungen von Ausdrücken einstelliger, den Geltungsmodus ihrer Argumente denotierender Funktoren.

die Möglichkeit, eingreifen zu können
die Notwendigkeit, durchgreifen zu müssen

In solchen Konstruktionen wird gutwillig eines von zwei Vorkommen eines Ausdrucks für dieselbe Modalität einfach weginterpretiert; die Konstruktion wird nicht wörtlich genommen. In diesem Sinne ist die Bedeutung von ohne dass, die den Wahrheitswert der durch den subordinierten Satz ausgedrückten Proposition umkehrt, zweifach ausgedrückt: Zum einen durch ohne und zum anderen durch nicht. Eine solche pleonastische Negation ist bei ohne dass und bei den genannten temporalen Subjunktoren allerdings nur möglich, wenn der vom externen Konnekt bezeichnete Sachverhalt kein Faktum ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das externe Konnekt eine Negation oder das Adverb kaum enthält.

Infolgedessen vergeht keine Vorstellung mehr, ohne daß nicht ein ausverkauftes Haus diese Meisterleistung der Regie bewundernd anerkennt. (Die Welt 17.11.1949, 4)

So vergeht kaum ein Tag, ohne dass aus Jerusalem nicht neue Wehklagen über die deutlich verschlechterten Beziehungen ertönen.

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Autor(en)
Eva Breindl
Bearbeiter
Elke Donalies
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