Kontrafaktisches Argumentieren
(Pinkwart 1963, 94)
Einem größeren Menschen wäre es gar nicht möglich gewesen, sich an einem so niedrigen Ast zu erhängen.
(Pinkwart 1963, 156)
Mit beiden Ämtern versehen, erhielte Barzel (...) Einfluss.
(Frankfurter Allgemeine 2.2.1966, o.S.)
Die möglichen Hintergrundumstände, auf die der kontrafaktische Sachverhalt bezogen ist, werden in den Belegen auf unterschiedliche Weise verdeutlicht: Im ersten Beispiel wird ausdrücklich auf nur Gedachtes verwiesen. Im zweiten Beispiel wird mit einem größeren Menschen nicht auf einen aktualen Gegenstand Bezug genommen, vielmehr wird der Gegenstand nur skizziert. Im letzten Beispiel wird durch die Partizipialkonstruktion mit beiden Ämtern versehen ein Sachverhalt skizziert, der wiederum nicht aktual gegeben ist.
Häufig wird auch ein Sachverhalt skizziert, der als faktisch gelten kann, doch im folgenden Satz wird nicht dieser Sachverhalt selbst Ausgangspunkt der weiteren Argumentation, sondern der hypothetische Fall, dass er gerade nicht gegeben wäre. Der Folge-Satz enthält in solchen Argumentationen im Vor- oder Mittelfeld das Adverb sonst, auch da oder dann.
(die tageszeitung 2.1.2010, 13)
Und man muss sich nur vor einem hüten, dass man eben dann wirklich sagt, alle Leut' sind blöd, die etwas über einen schreiben, denn es gibt halt auch die wahnsinnig Guten, äh, und da wär's dann schade, dass man sich um die Chance eines wirklich guten Gesprächs bringt.
(Jürgen von der Lippe 1995 in SDR 3/ Leute)
Kritik ersparte sich der Chauffeur: "Dann hätte mir der Chef eine geklebt."
(Spiegel 49/1969, 82)
Spiegelbildlich dazu verhält sich die Verwendung von Konjunktiv Präteritum und aber: Der kontrafaktische Satz geht voraus, der folgende 'faktische' Satz wird durch aber eingeleitet.
Ähnlich ist auch die Begründungsstruktur in folgendem Beispiel aufgebaut. Auf eine nur angenommene Begründung im Konjunktiv Präteritum (wären) folgt die für wahr gehaltene im Indikativ (war).
(Die Zeit 17.3.1989, 49)
Ähnlichen Kontextbezug weisen Sätze auf, bei denen ein Teil als Kontrast fokussiert wird: Der benachbarte, meist vorausgehende Satz schildert einen faktischen Sachverhalt. Der kontrafaktische Satz skizziert, wie sich die Dinge unter teilweise kontrastierenden Voraussetzungen, etwa bei anderen Beteiligten, verhalten haben könnten.
(Die Zeit 10.10.2001, 42)
Auch mittels eigentlich, streng genommen, an sich kann der Übergang von einem faktischen zu einem möglichen, jedoch nicht realisierten Sachverhalt markiert werden.
(St. Galler Tagblatt 12.2.2009, 37)
Die Formen kontrafaktischen Argumentierens werden häufig durch Paraphrasen auf echte Konditionalgefüge zurückgeführt. Naheliegend ist dies jedoch allenfalls bei unter der Bedingung, dass; gesetzt den Fall; für den Fall dass. Generell besteht keine Notwendigkeit zu einer solchen 'quasi-syntaktischen' Umformung.
(Mannheimer Morgen 18.2.2010, 1)