Konditionalgefüge
Konditionalgefüge setzen sich zusammen aus einem Teil, in dem eine Bedingung formuliert wird, und einem Teil, der zum Ausdruck bringt, was dieser als Folge zugordnet wird.
Für die Formulierung der Bedingung können Subjunktorsätze mit wenn, falls, sofern sowie Verberst-Untersätze verwendet werden. Würde-Formen können gleichermaßen in Untersatz und/ oder Obersatz für die Formulierung der Bedingung und/ oder der Folge verwendet werden und zwar mit und ohne Zukunftsbezug.
(Böll 1963, 258)
Richtige Klamotten? - Ich bin Damenschneiderin geworden. - Ja? - Also, wäre ich geworden, wenn ich's zuende gemacht hätte.
(Heike Makatsch und Stefan Siller 1997 in SDR 3/ Leute)
Wäre er festgebunden gewesen , hätte ihn die Stange sicher durchbohrt .
(Grzimek 1959, 154)
Diese Aussage wäre überzeugender, würden im Erinnerungsvermögen des Zeugen Schulz nicht arge Lücken klaffen.
(Spiegel 4/1970, 54)
Würde diese - vorläufig gering anmutende - Abkühlung noch 250 Jahre in gleichem Maße anhalten, begönne in Europa eine neue Eiszeit.
(Spiegel 5/1970, 133)
Bei Konditionalgefügen kommt bei der Interpretation des Bedingungsteils diese allgemeine semantische Beschränkung zum Tragen.
Beschränkung für den Konjunktiv Präteritum
Mit dem Wissen des Sprechers ist jederzeit vereinbar, dass, was unter Verwendung des Konjunktiv Präteritum bzw. Präteritumperfekt formuliert wird, nicht zutrifft. Im Irrealis ist diese Beschränkung - wie meist beim Konjunktiv Präteritum - verschärft zu 'nach allem, was ich über Vergangenheit und Gegenwarrt weiß, kann dies nicht zutreffen'. Beim Potentialis unterbleibt diese Verschärfung.
Die Beschränkung stellt - abhängig von Verwendungssituation und Sprecherwissen - die Weichen für eine Interpretation von Konditionalgefügen als 'Irrealis' (kontrafaktisches Konditionalgefüge) oder Potentialis.
Darüber hinaus kann für Irrealis und Potentialis dieser Zusammenhang zwischen Bedingung p und Folge q angegeben werden:
q = Folge
~q = Verneinung von q
Aus Sicht des Sprechers ist es mit dem einschlägigen Wissen eher vereinbar, dass p und q der Fall ist, als dass p und ~q der Fall ist. Es geht also darum, wie wahrscheinlich es ist, dass sowohl p als auch q der Fall ist, unabhängig davon, ob p selbst als nicht zutreffend oder als noch realisierbar betrachtet wird.
Dasselbe gilt auch bei indikativisch formulierten Konditionalgefügen. Dort ist jedoch die semantische Beschränkung für den Konjunktiv Präteritumzu zu ersetzen durch diese Beschränkung für den Gebrauch von Indikativen in Konditionalgefügen.
Beschränkung für den Indikativ in Konditionalgefügen
Es ist mit dem Wissen des Sprechers vereinbar, dass zutrifft, was im Bedingungsteil formuliert wird.
Auch ein indikativisches Bedingungsgefüge ist kein 'Realis', auch dort wird hypothetisch argumentiert, doch wird auf die Wahrscheinlichkeit von p abgehoben. Den Gegensatz zwischen konjunktivischen und indikativischen Konditionalgefügen macht folgende konstruierte Sachlage deutlich:
Die Zuschauer warten auf den Auftritt von Rod Evans. Sie können äußern:
Aber auch:
Nach dem Auftritt des Rocksängers, der natürlich nicht gelächelt hat, können sie nur noch sagen:
Bezogen auf dieselbe Situation aber nicht:
Das zeigt auch ein Vergleich der unterschiedlichen Wahrheitsbedingungen für Wenn Oswald Kennedy nicht ermordet hat, hat ihn jemand anders ermordet und Wenn Oswald Kennedy nicht ermordet hätte, hätte ihn jemand anders ermordet. Im ersten Fall handelt es sich um einen sogenannten reduktiven Schluss: Da Kennedy bekanntermaßen ermordet wurde, muss ihn Oswald oder eben ein anderer ermordet haben. Dagegen ist im zweiten nichtreduktiven Fall die Behauptung anfechtbar: Der Mord hätte auch unterbleiben können.
Bei kontrafaktischen Konditionalgefügen kann man stets davon ausgehen, dass aus Sprechersicht p und q nicht zugleich der Fall sind. Nicht ausgeschlossen wird hingegen, dass q selbst der Fall sein könnte. Ist q ohnehin der Fall, wird darauf meist ausdrücklich mittels auch, doch, dennoch, erst recht hingewiesen. Gefüge mit auch wenn oder selbst wenn werden oft den Konzessivsätzen zugeordnet.
oder
Unterbleibt ein solcher Zusatz, wird meist auf dem Wege einer sogenannten pragmatischen Implikatur darauf geschlossen, dass weder p noch q zutrifft. Wird eine Folge q durch einen Satz mit Verneinung ausgedrückt, also mit ~q, ist die pragmatische Implikatur auf die Faktizität von q oder die Nicht-Faktizität von 'nicht-q' weniger zwingend, oft sogar ausgeschlossen.
Auch der Wissensstand des Sprechers kann Potenzialität begründen: Weiß ein Sprecher über Faktizität oder Nicht-Faktizität vergangener oder gegenwärtiger Sachverhalte p und q nicht Bescheid oder kommt es ihm darauf nicht an, kann er zu einem Konditionalgefüge greifen, denn es ist in jedem Fall mit seinem Wissen vereinbar, dass p nicht zutrifft.
Hier wird nicht ausgeschlossen, dass Hans in der Stadt ist, doch die Wahrscheinlichkeitsgewichtung fällt eher zu Ungunsten von p aus, im Unterschied zu Aber ist er in der Stadt, wird er sich bestimmt melden. Die Perspektive nur wahrscheinlicher Nicht-Faktizität bleibt erhalten.
Zukunftsbezogene, aber auch wissensbezogene Potenzialität wird besonders herausgestellt, wenn im Bedingungsteil p an Stelle des Konjunktiv Präteritum sollte(n) verwendet wird.
Zukunftsbezogene Potenzialität | Sollte sich nun die Ansicht durchsetzen, dass ein Kampf zwischen
Erhard und ihm nicht im Interesse der Union liege, wäre auch die von Barzel
formulierte Voraussetzung seiner Kandidatur nicht gegeben, auch wenn sie ihm
angeboten würde. (Frankfurter Allgemeine 10.2.1966, o. S.) |
Wissensbezogene Potenzialität | Sollte Ulbricht auf eine vorschnelle Bonner Ablehnung spekuliert
haben, so hätte er falsch spekuliert. (Spiegel 53/1969, 18) |
Ebenfalls mit potenzialer Verwendung, jedoch unter stärkerer Betonung der Wahrscheinlichkeit von q, wird hier auch der Indikativ im Folgesatz verwendet. Mischformen, in denen in einem der Gefügeteile Indikativ wie wird, im anderen Konjunktiv Präteritum wie wäre gebraucht wird, sind möglich.
(Frankfurter Allgemeine 16.2.1966, o.S.)
Nicht immer sind solche Mischgefüge als kontrafaktisch oder als rein potenzial zu interpretieren. Zumal bei würde-Formen im Folgeteil ist an erlebte Rede zu denken.
(Böll 1963, 282)
So genannte Exzeptivgefüge mit es sei denn (dass) stellen eine weitere Spezialform konditionalen Argumentierens dar. P es sei denn q kann paraphrasiert werden durch 'p außer wenn q'. Der Obersatz von Exzeptivgefügen ist indikativisch, sofern keine anderen Gründe für Modalität vorliegen; im Untersatz wechseln Konjunktiv, Indikativ Präsens und Indikativ Präteritum. Bei der Auswahl spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:
1. Handelt es sich bei q um eine Tatsache , die dem Zutreffen von p im Einzelfall entgegensteht, wird Indikativ gewählt.
(Ullrich 1960, 82)
2. Handelt es sich um nur gedachte Ausnahmefälle, steht der Konjunktiv.
(Die Zeit 13.9.1985, 3)
3. Auch die Textsorte scheint eine Rolle zu spielen. In Anweisungstexten und in mündlicher Rede wird Indikativ bevorzugt.
(Freiburger Korpus, 2)
In massenmedialen Texten wird Konjunktiv Präteritum bevorzugt.
(Die Zeit 21.6.1985, 39)