Kontrastivspezifikation
Ein Verfahren zur Betonung dessen, was ein Diktum zu einem besonderen macht, ist die Kontrastivspezifikation, die ausschließlich auf Dikta im Aussagemodus angewandt werden kann. Durch Kontrastivspezifikation wird erreicht, dass der Sachverhalt, dessen Bestehen mit dem Basisdiktum behauptet wird, vor dem Hintergrund eines anderen Sachverhalts zu sehen ist, dessen Bestehen ebenfalls behauptet wird:
(Die Zeit, Nr. 30 15. Juli 2004, S. 1)
(Frankfurter Rundschau, 20.01.1997, S. 25)
(die tageszeitung, 02.09.1989, S. 15)
(die tageszeitung, 28.04.1988, S. 3)
Rein formal betrachtet, könnten auf diese Weise beliebige Sachverhalte zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Was Kontrastivspezifikationen an Besonderem leisten, lässt sich nur im Hinblick auf die kommunikativen Funktionen entsprechender Sprechhandlungen zeigen. Unter dem semantischen Aspekt der Auswirkung einer Operation auf Wahrheitsbedingungen erweist sich die Kontrastivspezifikation als eine der Komponenten einer logischer Konjunktionen: Beide involvierten Propositionen müssen wahr sein, wenn die relativ zur Basisproposition modifizierte Proposition wahr sein soll.
Der Witz einer Kontrastivspezifikation besteht darin, was die Basisproposition entwirft, im Licht einer weiteren Proposition zu zeigen. Damit es dabei überhaupt zu einem wesentlichen kommunikativen Effekt kommen kann, müssen die betroffenen Propositionen für eine Kontrastierung geeignet sein. Ein Diktum, wie es mit dem folgenden Satz auszudrücken wäre, würde diesem Anspruch kaum genügen:
Ob, was formal wie eine Kontrastivspezifikation gebildet ist, tatsächlich als solche interpretiert werden kann, hängt wesentlich ab von Wissenshintergründen und der Phantasie der Hörer oder Leser und kann insoweit nicht Gegenstand grammatischer Erklärungen sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Verfahren der Kontrastivspezifikation, soweit es die Grammatik betrifft, auf beliebige Dikta anzuwenden ist. Genaue Betrachtung zeigt, dass sich, unabhängig von spezifischen Wissenshintergründen, allgemeine semantische Bedingungen bestimmen lassen, die Kontrastivspezifikationen erfüllen müssen.
Bemerkenswert ist vor allem, dass bei der Anwendung von Kontrastivspezifikationen die Struktur der jeweiligen Basispropositionen in Rechnung zu stellen ist:
- Die maximalen Prädikate der Propositionen müssen verschieden sein, sofern nicht verschiedene Propositionsspezifikationen oder Geltungsspezifikationen vorliegen.
- Die entworfenen Sachverhalte müssen kommensurabel sein.
Einige Beispiele zur Bestätigung der Geltung dieser Bedingungen:
Die mit ?? ausgezeichneten Beispiele sind aus formaler Sicht durchaus korrekt gebildet, wirken jedoch semantisch verquer, weil sie die genannte Bedingung verletzen.
Kontrastivspezifikation sind im Wesentlichen über die Ausdrücke zu identifizieren, mit denen sie formuliert werden. Trifft man in einer kommunikativen Minimaleinheit auf ein wohingegen, ein im Unterschied zu oder ein anders als, liegt in aller Regel eine Kontrastivspezifikation vor.
Probleme bei der Identifikation von Kontrastivspezifikationen kann es geben, wenn ein mit während eingeleiteter Adverbialsatz gebraucht wird. Hier kann es zu Doppeldeutigkeit kommen:
Ob hier eine Zeitspezifikation oder eine Kontrastivspezifikation beabsichtigt ist, lässt sich ohne Hintergrundwissen nicht feststellen. Selbst reiches Hintergrund- und Situationswissen kann unzureichend sein. Klare Entscheidungen sind nur in Fällen möglich, in denen jeweils nur eine Interpretation zulässig ist:
Kontrastivspezifikationen und andere Diktumserweiterungen
Zu Kombinationen von Kontrastivspezifikationen mit gleichartigen und andersartigen Diktumserweiterungen kann festgestellt werden:
- Kontrastivspezifikationen können, wohl aus Gründen der Verständlichkeit, nicht iteriert werden.
- Kontrastivspezifikationen sind mit Propositionsspezifikationen aller Arten kompatibel. Sie haben dabei grundsätzlich weiteren Skopus als die Propositionsspezifikationen. Als Besonderheit ist in diesem Zusammenhang zu vermerken, dass Propositionsspezifikationen, die in der Basisproposition fokussiert sind, in der durch die Kontrastivspezifikation eingeführten Proposition eine Entsprechung haben müssen.
- Auch mit Geltungsspezifikationen anderer Art sind Kontrastivspezifikationen kompatibel. Sie können diese in ihrem Skopus haben oder in deren Skopus auftreten, wenn der Operator den gleichen funktionalen Aufbau hat wie der Operand:
Als gleich gilt der funktionale Aufbau von Operator und Operand auch dann, wenn in beiden Geltungsspezifikationen verschiedenen Typs vorliegen oder wenn eine einzelne Spezifikation einer Koordination von Spezifikationen gegenübersteht:
Inakzeptabel sind dagegen Äußerungen, bei denen eine Geltungsspezifikation einer Propositionsspezifikation, einer Geltungsrestriktion oder einer Weiterführung gegenübersteht:
- Für die Verbindung von Kontrastivspezifikation mit Geltungsrestriktionen und mit Weiterführungen gilt dasselbe wie für die Kombination mit Geltungsspezifikationen anderen Typs.
- Im Skopus von
Kontrastivspezifikationen können Negation und Modalfunktion auftreten. Die
Umkehrung gilt hier nicht, doch kann dies nicht an Beispielen gezeigt werden,
da jede denkbare Formulierung sofort im Sinn der gültigen Skopusbeziehung
interpretiert wird. Die Beschränkung hat wohl praktische Gründe.
Kontrastivspezifikationen brauchen normalerweise nicht eigens negiert oder modalisiert werden, denn die gewünschte Wirkung tritt auch ein, wenn eine der beiden Komponenten des Kontrasts negiert oder modalisiert wird. Die theoretisch gegebene Möglichkeit, nur den Kontrast zu negieren und dabei offen zu lassen, an welcher Komponente das liegt, ist offenbar von zu geringem Interesse, als dass dafür eigens eine Ausdrucksform ausgebildet worden wäre. Will man dennoch unbedingt ein Diktum negieren oder modalisieren, das eine Kontrastivspezifikation einschließt, muss man zu Formulierungen greifen wie Es ist nicht der Fall, dass ... oder Es ist möglicherweise so, dass ....